Stadtgeschichte - Klaus Hiltscher betritt 1962 als einer der Ersten die Kaiserring-Passage – jetzt erinnert er sich zurück

Erinnerungen an die Anfangsjahre der Mannheimer Borelly-Grotte

Von 
Marco Mandese
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Aktuelle Aufnahme: Einer der seit 2016 verschlossenen Zugänge zur Kaiserring-Passage von innen. © Michael Ruffler

Mannheim. Von Marco Mandese

„Es war unheimlich hell“ erinnert sich Klaus Hiltscher zurück an seinen ersten Eindruck von der Borelly-Grotte. Der Mannheimer gehört zu den Ersten, die die Kaiserring-Passage, wie die Borelly-Grotte eigentlich heißt, im Frühjahr 1962 betreten durften.

Kurzhistorie der Kaiserring-Passage

  • 1962 wurde die Kaiserring-Passage am Hauptbahnhof erbaut. Im Volksmund wird die Unterführung Borelly-Grotte genannt, in Anlehnung an den damaligen Stadtoberbaudirektor Wolfgang Borelly.
  • Relativ schnell entpuppte sich die Passage unter der Erde als architektonischer Stadtmakel und wurde zum Schauplatz von stetig zunehmender Kriminalität.
  • Seit 2016 ist die Kaiserring-Passage nicht mehr begehbar. Nach der Entkernung wird der Hohlraum bis zum 12. September an den Wochenenden zugeschüttet.
  • Mit dem Punk- und Wave- Festival „Abenteuer unter Tage“ erlebte die Borelly-Grotte 1987 ihren subkulturellen Höhepunkt.
  • Klaus Hiltscher zählt zu den ersten Mannheimern, die die Passage betreten durften. Auf seinem Flickr-Blog Affendaddy veröffentlicht er online unter anderem eigene Fotos der Stadt. 

Der damals 15-Jährige war gerade in seinem zweiten Lehrjahr zum Dekorateur in einer Warenhauskette. Einige Mannheimer Unternehmen hatten in der Passage bereits Werbeflächen angemietet, meistens in Form von Schaufenstern. So auch das Warenhaus, für das Hiltscher arbeitete. Während sein Ausbilder sich in einem Café amüsiert habe, tapezierte der heute 75-Jährige das Schaufenster, in dem Damenmode präsentiert werden sollte, erzählt er. „Alles glänzte am Tag der Eröffnung“, sagt Hiltscher und beschreibt zwei Lokale, ein Zigaretten- und Zeitungsgeschäft sowie einen Blumenladen, die ihm besonders gut im Gedächtnis geblieben sind. Die Passage strahlte - auch wegen der guten Beleuchtung.

Zu Beginn „war es eine ganze normale Passage, nur unter der Erde“, erklärt Klaus Hiltscher. Die Unterführung weckte anfangs noch Neugierde unter den Menschen in der Stadt. Trotzdem gab es früh erste Verbesserungsvorschläge, berichtet der 75-Jährige. Insbesondere an die nicht umgesetzte Idee, die Decke zu verglasen, erinnert er sich gut. Nach rund zwei Jahren flachte das Interesse an der Borelly-Grotte bereits ab. Das Schaufenster des Warenhauses sollte ursprünglich monatlich umgestaltet werden. Schnell wurde dieser Plan verworfen, bis nur noch ein Foto des Warenhauses mit Adressenangabe im Fenster hing. Spätesten 1964 habe man die Werbefläche komplett aufgegeben.

Klaus Hiltscher hat den Bau der Mannheimer Borelly-Grotte 1962 hautnah miterlebt. © Klaus Hiltscher

Kneipen ersetzen Geschäfte

Grund dafür sieht Hiltscher in erster Linie in Planungsfehlern der Unterführung. Man habe nicht beachtet, dass Ältere oder Menschen mit Behinderung die steilen Treppen nicht problemlos auf- und absteigen konnten. Nach Protesten sei eine Rolltreppe eingebaut worden, allerdings nur auf der Tattersall-Seite. Danach kam ein verglaster Fahrstuhl Ende der 60er Jahre. Der wurde jedoch so schnell wieder abgebaut, „dass sich kaum ein Mannheimer an ihn erinnern kann“, meint Hiltscher. Irgendwann sind die meisten Geschäfte verschwunden, wurden von Kneipen und Bars ersetzt. „In Bahnhofsnähe war das noch nie ein Zeichen für Qualität“, sagt der 75-Jährige. Er ist der Meinung, dass „der Zirkus“ in der Kaiserring-Passage begonnen hat, als die Lichter gedämmt und die Unterführung immer dreckiger wurde. Scheiben wurden eingeschmissen, die Kriminalität in der Passage stieg. Und so wurde der im Volksmund verwendete Name Borelly-Grotte zur selbsterfüllenden Prophezeiung: „Grottenhässlich eben“, lacht Hiltscher.

Anfang der 70er Jahre hätte sich die Borelly-Grotte fast zum Kulturort gemausert. Mit einem Flohmarkt, der aber schnell an einen anderen Ort verlegt wurde. Ein Jahrzehnt später erlebt die Unterführung dann aber doch noch einen Höhepunkt: das Punk- und Wave-Festival „Abenteuer unter Tage.“ Vom 3. bis zum 5. Juli 1987 strömten zahlreiche Jugendliche durch die Unterführung, um ein Stückchen Mannheimer Underground-Kultur miterleben zu können. „In den 80ern waren die Jugendlichen nicht mehr so einheitlich“, erklärt der 75-Jährige.

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Blog mit 23 Millionen Aufrufen

Punks, Rocker und Menschen aus anderen Szenen waren dort vertreten, fährt er fort. Neben Ausstellungen und Filmvorführungen sind unter anderem die Düsseldorfer Band Der Plan, die zu den Vorreitern der Neuen Deutschen Welle zählen, die Mannheimer Musikgruppe Schwefel um Musiker und Produzent Norbert Schwefel sowie Kiev Stingl aufgetreten. Hiltscher nennt es „ein schräges Ereignis“, das sogar auf Video festgehalten wurde: „in Schwarzweiß, Andy-Warhol-mäßig, man hat kaum etwas erkannt“. So seien nun mal diese „Avantgarde-Sachen“ gewesen.

Dokumentiert hat er das Festival auf dem Onlinedienst Flickr. Über 23 Millionen Aufrufe konnte sein Blog bisher generieren. Auf der Internetseite teilt er Bilder über Musik des 20. Jahrhunderts, aber auch eigene Fotografien von Mannheim. Von der Kaiserring-Passage hat er kein eigenes Bild veröffentlicht. „Ich hatte nie das Bedürfnis ein Bild von der Grotte zu machen“, erklärt er höhnisch.

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