Mannheim. Diego Córdova lebt seit zwölf Jahren in O 7 in den Quadraten. Zur Arbeit nach Ludwigshafen fährt er mit dem Fahrrad. Er sagt, die gefährlichsten Meter seien die kurz vor seiner Wohnung. Ein Auto hat er nicht. Nicht unbedingt aus ökologischen Gründen, eher aus Kosten- und Effizienzgründen. „Ich will nicht im Stau stehen, und ich will die Kosten eines Autos nicht tragen“, sagt der 38-Jährige. Er sei bewusst in die Innenstadt gezogen, um kurze Wege zu haben.
Er erwarte kein ländliches Idyll, aber auch keine Autoposer und Autokolonnen, die sich durch die Kunststraße schieben. Der Verkehrsversuch war für ihn darum der erste Schritt in die richtige Richtung zu einer verkehrsärmeren Innenstadt. „Was machen wir jetzt? Jetzt sind wir wieder beim Status quo von vor einem Jahr.“
Kritik übt er auch am Fokus der Debatten - der habe zu sehr auf dem Handel und weniger auf den Belangen von Fußgängern und Radfahrern. „Die Umsatzeinbußen auf den Verkehrsversuch zurückzuführen, ist schwer, das Kaufverhalten der Menschen hat sich geändert, es wird mehr online eingekauft“, so Córdova.
Kein Auto wegen der kurzen Wege
Auch Henning Koehler lebt mit seiner Familie in den Quadraten, in der Erbprinzenstraße. Ein Auto haben sie nicht mehr, es wurde vor drei Jahren abgeschafft. Die Wege seien kurz, sagt er, Unterhaltung, Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten, alles sei schnell zu erreichen. Die Kinder radeln zur Schule. Er kritisiert, dass Mannheim viel zu lange am Konzept der autogerechten Innenstadt festgehalten habe. „Damit ist der Handel lange Zeit gut gefahren.“Dass in der Innenstadt auch Menschen wohnten und das Auto, ob es parke oder fahre, viel Fläche verbrauche, sei eine Erkenntnis, die sich erst langsam durchsetze.
Dem Verkehrsversuch steht Koehler dennoch ambivalent gegenüber. „Der Grundidee, den Pkw-Verkehr zu reduzieren, stehe ich sehr positiv gegenüber“, betont er. Tatsächlich sei das jedoch nicht passiert, sondern der Verkehr sei aufgrund der Sperrung in der Fressgasse nur umgeleitet worden. „Durch unsere Straße, die Erbprinzenstraße, es war grauenhaft.“ Er plädiert für die Idee der Parkschleifen: Wer nicht in der Innenstadt wohnt, wird vom Ring aus zum nächstgelegenen Parkhaus gelotst und von dort aus wieder zurück auf den Ring. „So ließe sich der Transitverkehr reduzieren.“
Superblocks wie in Barcelona als Beispiel
Auch die Superblocks in Barcelona seien ein gutes Beispiel für nachhaltige Mobilität. Bei dem Konzept werden Häuserblocks zusammengefasst, und innerhalb dieser Blocks haben Fußgänger und Fahrradfahrer Vorrang, die Straßen, die bislang von Autos genutzt wurden, werden für anderen Nutzungen frei.
Warnungen von Teilen des Handels, dass die Mannheimer Innenstadt aussterbe und Besucher ausblieben, hält Koehler für überzogen. „Das sind irrationale Ängste, das ist ein Beharren auf althergebrachten Routinen.“
Von Abbruch total überrascht
Jutta Schroth wohnt in C 7 neben der Friedrich-List-Schule. Sie ist Vorsitzende des Bürgervereins Innenstadt West, der sich für die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner einsetzt. Seit dem Verkehrsversuch haben viele von ihnen im wahrsten Sinne des Wortes aufgeatmet - denn der Autoverkehr habe sich in den Quadraten Abis K, wo die meisten Mitglieder des Vereins wohnen, teils drastisch reduziert.„Der Abbruch des Verkehrsversuchs hat uns total überrascht, die Kommunikation seitens der Stadt war eine völlig andere“, betont Schroth.
So habe es im Februar zwei Termine gegeben, das Cityforum und der Runde Tisch Masterplan Mobilität, zu denen der Bürgerverein eingeladen war, und da sei der weitere Zeitplan besprochen worden. Danach sollte erst im Mai die Entscheidung fallen, ob die Sperrungen in der Kunststraße und Fressgasse bestehen bleiben. „Und zwar auf Basis von Auswertungen von Verkehrszählungen und Befragungen, die dann vorliegen sollten.“
Buga 1975 als Anlass für autofreie Planken
Nun ist es bekanntlich anders gekommen, und Schroth zeigt sich schockiert. „In 50 Jahren hat sich in der Mannheimer Innenstadt verkehrstechnisch so gut wie nichts getan, sämtliche Entwicklungen wurden verschlafen.“ Als besonders paradox bezeichnet sie es, dass ausgerechnet jetzt in Mannheim die Bundesgartenschau stattfindet, die sich noch dazu das Label der Nachhaltigkeit gegeben habe. „Die Hoffnung ist ja, dass die Menschen nach der BUGA in die Innenstadt kommen, das heißt, sie werden aus dem Grün, wo sie sich mit Nachhaltigkeit befassen sollen, in eine vom Pkw dominierte Innenstadt gelockt.“ Ganz anders die Situation zur Bundesgartenschau 1975: Da wurden gerade anlässlich des Blumen- und Blütenfestes die Planken autofrei.
Anwohner fordern Schrittgeschwindigkeit
Der Bürgerverein fordert nun nächtliche Straßensperren und die Einführung von Schrittgeschwindigkeit in einzelnen Bereichen der Quadrate. „Wir fangen wieder bei Null an, nein, bei Minus 1,sämtliche Lerneffekte, die es vielleicht gegeben hat, sind vergessen, und wann es überhaupt weitergeht, ist völlig offen.“
Ebenfalls überrascht zeigt sich Daniel Barchet vom Bürger- und Gewerbeverein Östliche Innenstadt. „Der Abbruch des Verkehrsversuchs kam aus heiterem Himmel, wir hätten niemals damit gerechnet.“ Vermutlich habe die Stadt kalte Füße bekommen, nachdem im vergangenen Oktober das Verwaltungsgericht in Berlin einer Weinhändlerin Recht gegeben hatte, die gegen eine Teilsperrung der Friedrichstraße geklagt hatte. Geklagt hat in Mannheim zwar noch niemand, eine Gruppe von Händlern hatte aber offiziell Widerspruch gegen die Sperrungen eingelegt und sich von einem Anwalt, der namentlich nicht genannt werden will, beraten lassen.
Klagen über mangelnde Kommunikation
Barchet sagt, es „wäre schön gewesen, die Stadt hätte vorher mit uns gesprochen.“ Doch er will auch nach vorne blicken: „Jetzt besteht die Chance, es richtig zu machen.“ Richtig heißt nach seinem Dafürhalten, dass eine Röhre des bislang noch gesperrten Fahrlachtunnels befahrbar sein müsse, es ein digitales Parkleitsystem gebe und die Ableitung des Autoverkehrs auf den Ring an allen Stellen funktioniere. „Wir stehen für eine verkehrsberuhigte Innenstadt ein, aber der Versuch war übereilt.“
Die Klagen des Handels kann er in Teilen nachvollziehen, er sieht die Ladenbesitzer aber auch in der Pflicht, kreativ zu sein, um Besucher in die Quadrate zu locken, etwa mit einem Bon, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen. „Meckern ist das eine,wir wollen Lösungen aufzeigen.“
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