Vor dem Gebäude des TSV Neckarau steht an diesem Tag ein Auto mit ukrainischem Kennzeichen, ganz so, als ob jemand aus der Ukraine mal eben zu Besuch wäre. Man kann ahnen, dass dies nicht so ist. „Wir haben eine Vereinswohnung, die an den Sportverein angeschlossen ist. Zurzeit ist sie an Bekim Kabashi, den Wirt der Vereinsgaststätte vermietet, dieser hat sie für zwei ukrainische Familien zur Verfügung gestellt“, sagt Volker Proffen, der erste Vorsitzende Verein. An diesem Tag wird die Unterkunft mit zwei Zimmern nun bewohnbar gemacht.
„Wir haben einen Aufruf bei der Fußball-Altherrenmannschaft gestartet, und auch beim Vorstand. Etwa 20 Leute bauen an einem Tag eine komplette Wohnung auf, das ist wie bei einer Einrichtungs-Doku.“ Bei den Geflüchteten aus der Ukraine handelt es sich um Oksana Grynko mit ihrem Sohn Iegor (16) sowie um Elena Grynko mit ihren zwei Söhnen, Artem (16) und Andrej (12). Sie sind bereits zu Beginn des Krieges zu Oksanas ältester Tochter Nicole Bräutigam geflohen, die in Mannheim lebt und gerade ihr Studium im Fach Soziale Arbeit abgeschlossen hat.
Bomben morgens kurz vor fünf
Wie die fünf Leute - plus zwei kleine Hunde - zur Vereinswohnung des TSV Neckarau gekommen sind, ist etwas kompliziert. Es lief über Bekannte und Studienfreunde, die in den sozialen Medien um mehrere Ecken miteinander vernetzt waren. Sobald der Kontakt bestand und die Geflüchteten da waren, wurden die Jungs in zwei verschiedene Altersklassen der Fußballmannschaften aufgenommen und mit Sportkleidung ausgestattet. Als der Bezug der Wohnung anstand, riefen die Trainer der beiden Jahrgänge zur Unterstützung auf. „Wir haben jede Menge Geld- und Sachspenden für die Einrichtung bekommen. Alles ist da“, so Proffen.
Wohnraum für Geflüchtete
- Die Stadt Mannheim sucht dringend Wohnraum für Geflüchtete und bittet dabei auch um die Hilfe von Privatpersonen.
- Mannheimerinnen und Mannheimer, die kostenlos Wohnraum zur Verfügung stellen möchten, können diesen online unter www.mannheim.de/unterbringungsangebot oder unter der städtischen Ukraine-Hilfe-Hotline (0621/2 93-32 99) melden.
- Mitzuteilen ist, um welche Art von Wohnraum es sich handelt (privat/gewerblich/Mitbewohner) und wie viele Zimmer für welchen Zeitraum und für wie viele Personen zur Verfügung stehen. Die Stadtverwaltung wird sich dann melden. red/imo
Auch wenn die Stimmung in der Vereinswohnung an diesem Tag positiv ist und in jedem Zimmer fleißig gearbeitet wird, muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Das ist kein nettes Fußball-Camp zur Förderung junger Spieler, hier sind Leute vor dem Krieg geflohen. „Wir wohnen eigentlich in Kiew, mein Mann arbeitet in Charkiw. Dort waren wir zu Besuch. Am 24. Februar, morgens um dreiviertel fünf, sind wir aufgewacht wegen des Geräuschs der Bombardierung. Es war ganz laut, und die Fenster haben vibriert. Wir haben gleich verstanden, es ist Krieg“, berichtet Oksana, die sehr gut Deutsch spricht, von den dramatischen Stunden, als alles angefangen hat.
Sofort packten sie ihre Taschen, schnappten den Hund und waren innerhalb von 15 Minuten im Auto. „Wir wollten nach Kiew zu unserer anderen Wohnung, haben es aber nicht geschafft, denn dort fielen auch schon Raketen.“ Oksana betont, dass die russische Sprache zum Alltag gehört und nicht verboten ist. „Iegor spricht Russisch in der Schule, meine Mutter lebt in einem ukrainischen Dorf und spricht Russisch. Die Großeltern sprechen es, weil sie es in der Sowjetunion gelernt haben.“ Letztendlich mussten Oksanas und Elenas Ehemänner im Land bleiben, während sich die Frauen mit den Jungs auf die lange Fahrt machten. „Wir dachten, der Westen bliebe verschont, aber nein, auf einmal war die ganze Ukraine betroffen“, so Nicole. Die Fahrt haben die Familien wie im Schockzustand hinter sich gebracht, die Erleichterung kam erst mit der Ankunft bei der Tochter in Mannheim. „Ich kann nicht glauben, dass 2022 so etwas passiert“, sagt Oksana.
„Wir bekommen so viel Hilfe“
Doch es gibt Lichtblicke, die die Situation mildern: „Wir bekommen so viel Hilfe, schon auf der Flucht - Papiere für den Hund, Essen, Benzin.“ Ihre Tochter hat einen Studentenjob an der Kasse im Supermarkt und hat in letzter Zeit oft von Kunden gehört, dass sie Sachen für die Ukraine-Hilfe einkaufen. „Ich habe noch nie so viel Hilfe bekommen in meinem Leben“, meint Nicole. Auch ein Benefiz-Fußball-Turnier hat der TSV Neckarau auf die Beine gestellt, der Erlös geht an die Ukraine-Hilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Beeindruckende Hilfe für Geflüchtete in Mannheim