Mannheim. „Unbekannter fremder Besitz“ steht auf dem Kartonstück, das mit einer Schnur an der Heiligenfigur befestigt wurde. Der Zettel ist glatt gelogen – zumindest war er damals gelogen, als er geschrieben wurde. Denn die hölzerne mittelalterliche Figur sowie acht Gemälde hat man in der Zeit des Nationalsozialismus Juden abgenommen. Nun sind sie im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe wieder aufgetaucht, ebenso wie andere aus jüdischem Vermögen stammende Kunstwerke.
Ehe das Karlsruher Schloss für viele Jahre geschlossen und saniert wird, hat sich das dort ansässige Badische Landesmuseum (BLM) noch mal mit seiner Vergangenheit befasst und die Depots gesichtet. Nun zeigt es bis 28. September in seiner letzten Ausstellung „Unrecht & Profit“ über 70 erstmals präsentierte Malerei, Keramik, Skulpturen und Textilarbeiten, die einst Verfolgten des NS-Regimes gehörten und dann ins Museum gelangten.
Das Problem: „Meist sind die Namen der Geschädigten nicht mehr zu ermitteln“, bedauert Katharina Siefert, die Provenienzforscherin des Museums. Die deutsche Bürokratie hat zwar reibungslos funktioniert, wenn es darum ging, Juden zu deportieren und ihnen ihr Eigentum wegzunehmen. Da wird alles perfide-penibel aufgelistet von den dafür teils eigens geschaffenen Behörden wie der alleine 45 Mitarbeiter umfassenden „Verwertungsstelle volksfeindliches/volksfremdes Vermögen“ beim Finanzamt Mannheim. Doch wem sie etwas weggenommen haben, diese Namen wurden von den Nazis meist nicht notiert – das war egal, sie wussten ja, dass diese Menschen dem Tod geweiht waren.
Ein kleiner Zettel führt die Kunsthistoriker auf die Spur
„Wir haben aber alles in LostArt eingestellt“, verweist Siefert auf die Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste. Doch die Frage sei natürlich, ob es bei den betreffenden Familien überhaupt Nachkommen gebe und, wenn ja, ob die wissen, dass ihren Eltern oder Großeltern mal Kunstwerke gehört haben, die ihnen entwendet wurden oder die sie unter Zwang weit unter Wert verkaufen mussten.
Auf die Spur der Mannheimer Bilder ist Siefert durch einen Zettel, Din A5 quer, im Generallandesarchiv gestoßen. „Aufstellung der von Herrn Trummer, Mannheim, aus nichtarischem Besitz empfangenen Bilder“, heißt es da mit Schreibmaschine getippt. Acht Gemälde sind da aufgeführt, alle mit Maßen, teils mit Informationen zur Technik wie „Öl auf Pappe“ oder „Öl auf Leinwand“. In drei Fällen werden auch die Namen der Maler genannt, sonst nicht. Eine Flusslandschaft wird etwa Philipp Röth zugeschrieben, das „Bildnis eines älteren Herren“ einem C. Leybold, eine „Landschaft mit Vieh“ Joh. Heinrich Roos. Aber von wem der „Pfad am Waldrand“, der „Waldweg mit Sonnenflecken“, ein Herrenbildnis in spanischer Tracht, die „Dame in der Theaterloge“ oder das Bildnis des späteren Papstes Pius IX. stammen, ist offen.
Doch wie Siefert recherchieren konnte, stammen die Gemälde und die auf der Liste nicht aufgeführte, aber mit eingelieferte Heiligenfigur aus den „Lifts“. Danach sind 1943 über 670 große hölzerne Umzugscontainer aus den von den Nazis ab 1940 besetzten Niederlanden mit Umzugsgut jüdischer Emigranten nach Mannheim gekommen. „Viele könnten also überlebt haben und Nachkommen haben“, nimmt die Kunsthistorikerin an, einige seien aber wohl auch in Vernichtungslager gekommen.
Jedenfalls haben die Container, Kisten und Koffer voller Umzugsgut in erster Linie zur „Versorgung der fliegergeschädigten Bevölkerung“ dienen sollen – damit ausgebombte Familien Hausrat bekommen, den man zuvor Juden weggenommen hat. Aber zunächst sollte es eine „Vorsichtung“ geben, auf sogenannte „museumswürdige Objekte“ – entweder für Landesmuseen, kommunale Häuser oder gar für die „Sonderkommission Linz“, die für Adolf Hitler ein „Führermuseum“ einrichten sollte.
Mannheimer Experten stufen Kunstwerke als „museumswürdig“ ein
Dafür wird eigens eine Kommission eingerichtet. Den Vorsitz hat Kurt Martin, Direktor der Kunsthalle Karlsruhe und für den damaligen Gau Baden zum Sachverständigen berufen. Zudem gehören dem Gremium aus Mannheim Ludwig W. Böhm, stellvertretender Direktor des Schlossmuseums, Kunsthallen-Direktor Walter Passarge und Bildhauer Karl Trummer an. Sie berichten an die städtische „Verwaltung des jüdischen und reichsfeindlichen Vermögens“, dass die meisten Kunstgegenstände an – eigens eingerichteten – Verkaufsstellen Mannheimer Bürgern angeboten werden können, „damit das Reich Geld verdient“, wie sie erklärt.
Nach Karlsruhe ins Badische Landesmuseum werden aus diesen Beständen nach genauer Sichtung als „museumswürdig“ nur die acht aufgelisteten Gemälde und die Holzskulptur gebracht. Insgesamt werden es im Lauf der Jahre sehr viel mehr, nämlich 840 Kunstgegenstände. Gerade über den Mannheimer Kunsthändler Fritz Nagel erwirbt das Museum zahlreiche Exponate aus jüdischem Eigentum. Wegen der Bombardierungen werden viele Schätze ausgelagert, ins Salzbergwerk Heilbronn oder nach Pfullendorf. Nach dem Krieg kehren sie ins Karlsruher Schloss zurück. Die acht Bilder der Mannheimer Liste „sind nie ausgestellt worden, waren immer im Depot“, so Siefert.
Sie nimmt an, dass sich die Mitarbeiter der Nachkriegszeit sehr wohl bewusst gewesen seien, dass die Exponate unrechtmäßig ins Museum gekommen sind. Vermerke wie „Unbekannter Privatbesitz, während des Krieges im BLM untergestellt“ weisen darauf hin. Doch dann habe man sich wohl entschlossen, sie „unhinterfragt“ in den Depots zu lassen, interpretiert Siefert. Für sie ist aber klar, dass alles, was im sogenannten „Entzugskontext“, wie sie das nennt, in ihr Haus kam, letztlich unrechtmäßig in den Depots liegt.
Rückgabe von Münzsammlung ist gelungen
Daher gehe ihre Forschung auch immer weiter. Die Frage sei natürlich, wie die Erben von Eigentümern eventuelle Ansprüche nachweisen könnten. „Wer nimmt schon auf der Flucht Rechnungen mit?“, fragt sie. Aber vielleicht gebe es ja alte Familienfotos, bei denen eines der Gemälde zu sehen und damit das Eigentum belegbar sei.
Als noch schwieriger erweist sich ihre Recherche bei einem Konzertflügel des renommierten Herstellers Bechstein. Das prachtvolle Stück mit Intarsienarbeiten aus Ebenholz und medaillonartigen Schmuckornamenten hat das Museum erst 1971 angekauft – von einer Karlsruher Freimaurerloge. Aber inzwischen stellte sich heraus, dass ihn ursprünglich ein „Dr. Kahn, Mannheim“ erworben hat. Laut Siefert handelt es sich um Rechtsanwalt Richard Michael Kahn, nach seiner zweiten Eheschließung mit der Balletttänzerin Anna Starre Richard Kahn-Starre mit Wohnsitz in einer Villa am Werderplatz 14.
Er ist als großer Musikfreund und Vorsitzender des Philharmonischen Vereins ebenso bekannt wie als Aufsichtsrat der Brauerei Eichbaum-Werger. 1936 zieht Kahn-Starre nach Baden-Baden, wo er 1945 stirbt. Seine Villa hat er schon 1934 an den TSV Mannheim verkauft, der sie abreißen lässt. In Baden-Baden zieht Kahn-Starre in ein großes Haus. Er ist als Jude Repressionen ausgesetzt, wird aber wegen seines bereits hohen Alters und der „Mischehe“ mit einer nicht jüdischen Frau nicht in ein Lager deportiert.
Siefert rätselt jetzt, ob Kahn-Starre den Flügel an die Loge verkauft hat. „Man bräuchte eine Rechnung, einen Beleg“, sagt sie, denn dann hätte ihn die Loge wiederum ans Museum weiterverkaufen dürfen. „Wir wissen nicht, ob wir ihn rechtmäßig oder unrechtmäßig besitzen“, seufzt die Kunsthistorikerin. Es sei auch unklar, welche Möbel der Anwalt beim Umzug nach Baden-Baden mitgenommen habe – mit Bildern dokumentiert ist nur seine Mannheimer Villa. Andererseits sind Freimaurerlogen in der Zeit des Nationalsozialismus verboten, und auch ihnen werden Vermögensgegenstände entzogen. In der NS-Zeit kann sie also den Flügel nicht von Kahn bekommen haben. Siefert will weiter recherchieren. „Provenienzforschung hört nie auf“, sagt sie.
Und es gibt ja auch Erfolge. Als Beispiel dafür nennt sie die Münzensammlung der Pforzheimerin Clara Sigmann. Wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, zieht sie nach dem Tod ihres Mannes erst zu ihrer Tochter nach Mannheim, ehe ihr 1939 die Emigration in die USA gelingt. Über das Zollamt Mannheim muss sie 54 Münzen und Medaillen aber an das Badische Landesmuseum abgeben, offiziell als „Schenkung“. 1956 erhält sie bei einem Rückerstattungsverfahren nur 22 Objekte zurück. Der Rest sei „unauffindbar“, zitiert Siegmann alte Unterlagen.
Doch als dann die Tochter mal nach Mannheim kommt, weil die Stadt Nachkommen früherer jüdischer Mitbürger einlädt, entsteht ein neuer Kontakt. Das Museum entdeckt dann doch 25 weitere Münzen und Medaillen aus der Sammlung, die es 2017 zurückgibt. „So was ist dann schon erfreulich, wenn das gelingt“, atmet sie auf. Und vielleicht finde sich ja auch ein Eigentümer der Gemälde. „Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können Verantwortung übernehmen“, sagt dazu Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums. „Jedes dieser Objekte steht für eine Lücke: für ein Leben, ein Schicksal, einen Menschen. Wir wissen nicht, ob wir alle Antworten finden werden. Aber wir können Fragen stellen, nachforschen – und vor allem: nicht vergessen“, mahnt er.
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