Ob ich wirklich Interesse hätte, ausgerechnet über sie zu schreiben, fragt mich Morena Heinze, sie sei doch gar keine „typische Sintezza“. Es ist ein Hinweis, der die Befürchtung einer Zuschreibung schon im Worte trägt. Hätte ich die 24 Jahre junge Frau nicht ohnehin treffen wollen – spätestens jetzt gäbe es da den Zündfunken eines Gesprächs, das tiefer führt, genauer hinsieht, verstehen will.
Denn Morena Heinze, das wird schnell klar, hat in ihrer Biografie zwei Welten kennengelernt, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben mögen, aber als Kern ihrer Identität bis heute in ihr wohnen. 1996 in Neustadt an der Weinstraße geboren, sind die Kindheitstage geprägt vom Sinti-Leben auf Wanderschaft. Der Vater ist Scherenschleifer, die nahe Verwandtschaft zieht mit einem Zirkus durch die Lande – der legendäre Sinti-Musiker Schnuckenack Reinhardt ist der Großonkel von Heinzes Mutter. Gemeinsam in ihren Wohnmobilen durchkreuzen sie in Ferienzeiten als Reisende Frankreich, Spanien und ganz Deutschland, leben in der sogenannten Sinti-Zeltmission ihren Glauben aus – und genießen das Leben. „Das waren Zeiten des Zusammenhalts mit Feuer, Essen und Musik bis spät in die Nacht“, wie Morena Heinze heute noch begeistert zurückblickt, um sich zu erinnern, dass sie bald ganz andere Zustände erwarten sollten.
Sie stellt Traditionen offen infrage
Denn als die kleine Morena sechs Jahre alt ist, zieht die Familie in den 1000-Seelen-Ort Ruppertsberg in der Pfalz. Für das junge Mädchen bedeutet das Dorfleben zunächst einen schrillen Kontrast. Doch statt sich des Verlusts der Freiheit und dem Leben auf Reisen zu grämen, findet Morena Heinze zu ihrem Ehrgeiz, entwickelt eine Leidenschaft für den Sport, lässt sich gar zur Schulsprecherin wählen. Jahre später wird sie sagen, sie sei in der Schule zwar nie offen rassistisch angegangen worden, habe aber immer als „die Deutsche“ gegolten. Es ist der Fleiß der Jugend, für den die Heranwachsende gestraft wird, der aber gleichzeitig auch eine Phase persönlicher Emanzipation einläutet. Denn während ihre beiden älteren Schwestern auf Sinti-Art heiraten, die Verbindungen zu ihren Männern geheim und unstet bleiben, beginnt Morena Heinze die Traditionen zunehmend offen infrage zu stellen.
„Ich wollte mich einfach nicht darauf festlegen lassen, immer einen Rock zu tragen, als Frau auf den Haushalt beschränkt zu sein und nur andere Sinti heiraten zu können“, wie sich Morena Heinze erinnert und an Diskussionen mit ihrer Familie zurückdenkt, in denen sie sich fühlte, als spräche sie gegen Wände. Die zugweise Distanzierung lässt nicht lange auf sich warten. Einzig ihre progressiv denkende Mutter und der Glaube geleiten sie auf ihrem neuen Weg, den auch sie selbst als „Aufbruch“ beschreibt.
Denn nach ihrem Abitur lernt die erwachsen gewordene Frau bald schon Robert kennen. Einen blonden, blauäugigen deutschen Mann, der vieles war, aber kein Sinto. Hätte sich Morena Heinze allein an die strengen, wenngleich ungeschriebenen Regeln ihrer Familie gehalten: Eine Hochzeit wäre nicht einmal im Traum denkbar gewesen. Doch die heute 24-Jährige setzt sich durch, stellt ihn der Familie vor, nimmt ihn zum Mann und gründet eine Familie. Eine Entscheidung, für die sich Morena Heinze auch beschimpfen lassen muss. „Es wäre gelogen zu behaupten, dass das keine harte Zeit war, aber ich gehe den Weg des Herrn und ich weiß, dass es gut ist, was ich hier mache.“
Vorbild Zilli Schmidt
Dass sie sich mit ihren klaren Weichenstellungen innerhalb der eigenen Familie ein Stück weit zur persona non grata gemacht hat, ist Heinze vollauf bewusst. Doch dafür schreibt sie in großen Schritten an ihrem eigenen Lebenslauf. In Mannheim findet Heinze in der Gemeinde der Tabernacle Church ihren religiösen Ruheort, an der Universität Landau nimmt sie ein Studium der Erziehungswissenschaft auf – und auch, wenn ihr viele Erlebnisse aus der eigenen Kindheit wie ferne Erinnerungen erscheinen: Die 24-Jährige vergisst die Sinti-Kinder nicht. Auch, weil sie weiß, dass zahllose nicht mit der Gnade einer guten Bildung gesegnet sind. Bereits direkt nach ihrem Abschluss macht Morena Heinze ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Neustadter Kurt-Schumacher-Straße, schafft Perspektiven für benachteiligte Jugendliche und vermittelt durch ihre ganz eigene Geschichte die Hoffnung, dass man es schaffen kann. „Nach dem Nationalsozialismus haben die offiziellen Verbote und Rassismen zwar aufgehört, aber da ist eine Angst weitergegeben worden – und gegen die müssen wir ankämpfen“, wie Morena Heinze feststellt und nach ihrem Studium selbst als positives Beispiel vorangehen will, um die Geschicke „ihrer Menschen“ nachhaltig zu verbessern.
Auf Menschen wie Zilli Schmidt blickt Morena Heinze mit Bewunderung und tiefer Achtung gleichermaßen. Die „heilige Zuversicht“, in den dunkelsten Stunden der Geschichte noch an das Gute zu glauben, hätte sie wohl nicht aufgebracht, ist sich die junge Frau sicher. Dass Morena Heinze die Chance auf ihre neue, moderne Freiheit auch den Verdiensten einer Bürgerrechtsbewegung zu verdanken hat, die Anerkennung und Teilhabe überhaupt erst möglich machten, ist der jungen Frau durchaus bewusst.
Dass sie genau deshalb jedoch auch frei entschied, wie viel der alten kulturellen Werte sie in ihr eigenes, selbstbestimmtes Familienleben überführt: Es ist der konsequente Weg einer Sintezza auf neuen Pfaden, die ihre Wurzeln niemals vergessen wird, aber gleichzeitig unmissverständlich deutlich macht, dass Identität für sie keine Einbahnstraße ist. Eine Erkenntnis so simpel und klar, dass sie einleuchtet, ohne dabei ihren besonderen Glanz zu verlieren. Der Blick auf Morena Heinzes Leben zeigt die Freiheit einer Errungenschaft für das Neue. Eine, für die es Zeit wurde.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-die-junge-buergerrechtlerin-morena-heinze-_arid,1854044.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Mannheim Klartext gegen Antiziganismus