Mannheim. England gegen Deutschland: Der Klassiker fesselt am Dienstagabend wieder die Fußball-Fans. Auf dieser Seite erinnern sich sieben Redakteure des „Mannheimer Morgen“ an die hitzigen Duelle der beiden Teams – von 1966 bis 2016.
EM-Lust nach Schwimmbad-Frust
Von Florian Karlein
Wer weiß, ob ich heute überhaupt noch mit der Nationalmannschaft fiebern würde, hätten Andreas Möller, Stefan Kuntz und Andi Köpke das frühe 0:1 in Wembley 1996 nicht noch umgebogen. Der Halbfinalsieg im Elfmeterschießen ist der erste große Triumph, den ich als junger Fußball-Fan mit der DFB-Elf feiern konnte – bis heute ist mir im Gedächtnis eingebrannt, wie Köpke nach seiner Parade gegen Southgate lässig aufspringt, als sei nichts gewesen, und wie Möller im Paul-Gascoigne-Stil provokant jubelt. Erst zwei Jahre zuvor war für mich als Zehnjährigen eine Welt zusammengebrochen – aus im Viertelfinale der Weltmeisterschaft gegen Bulgarien. Konnte doch nicht sein! Immerhin war die WM in den USA, das erste Turnier, das ich bewusst miterlebt und die Stimmung dazu aufgesogen habe. Das jähe Ende traf mich damals wie ein Schlag. So sehr, dass ich mich weigerte, am Nachmittag mit meinen Eltern ins Schwimmbad zu gehen. Erst Möller, Kuntz, Köpke und Co. haben mein Verhältnis zur Nationalmannschaft 1996 wieder gekittet. Schöner Bonus: Das seitdem traditionelle familieninterne Turniertippspiel habe ich damals zum ersten Mal gewonnen. Das einzige Mal. (Florian Karlein)
Erst pure Kinderfreude, dann pure Kindertränen
Von Stephan Töngi
1966 geht mir bis heute nach. Mit neun Jahren befand ich mich in meiner Fußball-Sozialisation: 1860 München holte mit seinem legendären Torwart Petar Radenkovic (der vorher bei Wormatia Worms war) die Meisterschaft – und wurde zu meinem einen Lieblingsverein. Borussia Dortmund gewann am 5. Mai den Europacup der Pokalsieger gegen den FC Liverpool – und wurde mein zweiter Lieblingsclub. WM-Finale am 30. Juli, 15 Uhr – schon wieder England! Natürlich war ich fußballverrückter Bub sicher, dass wir gewinnen. Das Spiel schaute ich im Wohnzimmer meiner Großeltern, meine Eltern besaßen keinen Fernseher. Auf dem Teppich unter dem Tisch. Das aus vielen Kehlen gesungene Gospelstück „Oh When the Saints go marching in“ hatte es mir angetan, auch wenn ich es nicht verstand. Der Funke sprang aus London ins weit entfernte Worms-Pfeddersheim über. Wolfgang Webers 2:2 in letzter Sekunde ließ mich meine Eltern stürmisch umarmen. Pure Kinderfreude eben. Das 3:2 sorgte für Ernüchterung: Natürlich behauptete ich, der Ball war nicht drin. Richtig sehen konnte ich das auch aus meiner Perspektive nicht. Als Indiz reichte mir die Nationalität des sowjetischen Linienrichters Tofik Bachramow. Dann flossen pure Kindertränen. Ich war untröstlich. Fußball ist weiter meine Leidenschaft, Dortmund sowie 1860 sind meine Lieblingsvereine. Und unsere Nationalelf kann diesmal bei mir etwas gutmachen.
Elfmeter-Jubel in weißem Feinripp
Von Steffen Mack
WM-Spiele im eigens eingerichteten WM-Studio – das war großartig. Bei einem Kumpel stand 1990 in der Wohnung ein Zimmer leer. Er stellte einen Fernseher rein, hängte eine Deutschlandfahne auf, fertig. Es gab auch einen puristischen Dresscode: Man durfte nur im weißen Feinripp-Unterhemd rein. Daran hielten sich selbst die Mädels klaglos. Außer beim Endspiel (1:0 gegen Argentinien) war es nie so voll wie beim legendären Halbfinale gegen England. Um sich jubelnd in den Armen zu liegen, musste man sie nur ausbreiten. Überraschend hatte Teamchef Franz Beckenbauer Thomas Häßler und (erst- und letztmals bei dieser WM) Olaf Thon aufgestellt, um den wuchtigen Engländern um Paul Gascoigne mit Spielstärke zu trotzen. Klappte mittelgut. Am Ende siegte Deutschland nach Elfmeterschießen 4:3, sogar Thon traf. In der regulären Spielzeit hatte Andreas Brehme das Führungstor geschossen, den Ausgleich Gary Lineker – der seither ja behauptet, Deutschland gewinne immer. Höchste Zeit, dass er mal wieder recht behält.
Richtig heiß vor dem Schwarzweiß-Fernseher
Von Walter Serif
Das legendäre „dritte Tor“ bei der WM 1966 habe ich leider nie live gesehen – damals war ich erst vier. Doch bei der Revanche vier Jahre später in der Gluthitze von Mexiko wurde es mir erstmals vor dem Schwarzweiß-Fernseher richtig heiß. Die Engländer führten im dramatischen Viertelfinale nach zwei Treffern von Mullery und Peters bereits mit 2:0, doch dann wurde Alf Ramseys Arroganz bestraft. Er wollte seinen Spielmacher Bobby Charlton für das Halbfinale schonen und wechselte ihn aus, obwohl der erst 20-jährige Franz Beckenbauer gerade den Anschlusstreffer erzielt hatte. Uwe Seeler besorgte eine Viertelstunde vor Schluss den Ausgleich – und Gerd Müller erzielte den Siegtreffer in der Verlängerung. Dass das verlorene „Jahrhundertspiel“ gegen Italien noch turbulenter werden würde, ahnte ich nicht. Vier Jahre später lief ich mit meinen Freunden durch Balingen – und wir jubelten „Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister!“
Fachmann im Kino: „Des Ding is durch!“
Von Sebastian Koch
Weltmeisterschaft. Achtelfinale. Deutschland gegen England. Was ein Klassiker. Auch für mich, damals 18 Jahre alt. Als großer Fußballfan sind sie natürlich schon bekannt gewesen, die großen Duelle der Erzrivalen: Europameisterschaft 1996, Weltmeisterschaft 1990 oder natürlich Wembley 1966. Letztere beiden Spiele konnte ich schlicht und ergreifend aus praktischen Gründen nicht sehen, an 1996 erinnerten in diesen Tagen diverse Sportschau-Rückblicke besser als das eigene Gedächtnis. Nun also stand der erste „echte“ Klassiker bevor. In Südafrika. Obwohl – eigentlich in Mannheim. Im Cinemaxx, wo der Freundeskreis damals alle deutschen Spiele anschaute. Und was soll man sagen? Es wurde historisch! Eines dieser Spiele, an das man tatsächlich noch lange zurückdenkt. Mein gewaltiger Fußballsachverstand zeigte sich dabei schon nach etwa 30 Spielminuten und Lukas Podolskis 2:0 in den beruhigenden dem Sitznachbar und der Bierflasche zuraunenden Worten: „Jo, des Ding is durch!“ Keine fünf Minuten nach dieser Expertenprognose köpfte Matthew Upson das 1:2, wenige Sekunden danach schoss Frank Lampard das 2:2 – also zumindest fast. Der Ball sprang mehr oder weniger deutlich hinter der Torlinie auf, nur der Schiedsrichter aber war anderer Meinung. Und so wurde aus Wembley 1966 Bloemfontein 2010. Und das Ergebnis? Das lautete am Ende 4:1, Thomas Müller traf in der zweiten Halbzeit doppelt. Aber wie gesagt: Eigentlich war das Ding ja nach dem 2:0 schon durch.
Müller-Fieber über den Wolken
Von Timo Schmidhuber
Sonne, Meer, ein schönes Hotel: Der Urlaub – der erste mit unserer großen, damals eineinhalbjährigen Tochter – war perfekt. Bis auf den Rückflug an jenem 27. Juni 2010, einem Sonntag. Denn der Flug war ziemlich passgenau zu der Zeit, als die Deutschen nachmittags bei der WM in Südafrika im Achtelfinale gegen England antraten. Mit viel Wunschdenken fragte ich mich, ob sie das Spiel wohl auf den kleinen Flugzeug-Bildschirmen zeigen, auf denen man sonst sieht, über welche Länder und Meere die Maschine gerade fliegt. Zur Sicherheit bat ich meinen Freund Martin, mir die Partie auf Video (ja, das gab’s damals noch) aufzunehmen. Natürlich wurde das Spiel im Flugzeug nicht übertragen, der Pilot sagte allerdings die Tore durch – was die Sache aber nur noch schlimmer machte, weil man erahnen konnte, was sich da in Südafrika für ein Spektakel ereignete. Klose, Podolski und zweimal Müller: 4:1 für Deutschland – und ich hatte es nicht gesehen! Doch zurück in Mannheim lag schon die Videokassette vor der Wohnungstür. Was für ein toller Freund!
Des Geldes wegen fremdgejubelt
Von Julian Eistetter
An das Spiel können sich vermutlich nur noch eingefleischte „Schlaaand“-Fans erinnern – und mit der Anekdote werde ich mir unter ihnen sicher keine Freunde machen. Es war im März 2016, Deutschland empfing England zu einem ersten Härtetest im Jahr der EM in Frankreich. Jogis Jungs als amtierende Weltmeister waren bei dem Freundschaftsspiel in Berlin gegen damals schwächelnde Engländer klar favorisiert. Das sahen auch die Buchmacher so, die Quote für einen Auswärtssieg der Truppe von der Insel lag bei mehr als 5. Aus 10 Euro konnte man im Siegesfall also mehr als 50 machen. „Übertrieben“, dachte ich, und baute die Engländer in eine Kombination mit vier weiteren Spielen ein. Fünf Euro Einsatz, mehr als 1000 Euro möglicher Gewinn. Am Abend fehlte tatsächlich nur noch der Sieg der Engländer, und das Gefluche war groß, als Mario Gomez in der 57. Minute auf 2:0 für Deutschland stellte. Sonst passiert mir das eigentlich nie, aber ich schaltete willentlich und bei vollem Bewusstsein ein Fußballspiel aus und ging zu einem Freund. Als ich dort später im Ticker las, dass England das Spiel noch zu einem 2:3 gedreht hatte, konnte ich es kaum glauben. Der Jubel war groß. Aber das war rein geschäftlich, versprochen.
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