Interview

„Der Polizeiberuf gehört zu den emotional gefährlichsten der Welt“

Der Messerangriff vom Freitag auf dem Mannheimer Marktplatz, bei dem ein Polizeibeamter ums Leben gekommen ist, erschüttert die Polizei. Eine Kriminal- und Polizeipsychologin erklärt, wie Polizisten mit Gewalterfahrungen umgehen

Von 
Valerie Gerards
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Polizisten bei einer Demonstration. Die Polizeipsychologin Ursula Gasch spricht im Interview darüber, wie Polizisten mit Gewalterfahrungen umgehen © Silas Stein

Mannheim. Streifenwagen in Baden-Württemberg fahren mit Trauerflor, Polizei und Gesellschaft sind bestürzt über den Tod eines Mannheimer Kollegen, der nach der Messerangriff vom Freitag auf dem Mannheimer Marktplatz am Sonntag seinen schweren Verletzungen erlegen ist. Die als Gerichtsgutachterin tätige Kriminal- und Polizeipsychologin Ursula Gasch, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V (DGfK), erklärt, wie Polizisten mit Gewalterfahrungen umgehen.

Frau Gasch, die Bilder des Messerangriffs vom Freitag bekommt man nur schwer aus dem Kopf. Wie ergeht es den Polizisten, die bei dem Einsatz dabei waren?

Ulrike Gasch: Unmittelbar führt ein solches Ereignis bei den meisten Betroffenen zu einem Schock, der von Ungläubigkeit, dem Gefühl der Hilflosigkeit und Entsetzen geprägt ist. Der Körper mobilisiert alle Notfallsysteme, um die Situation zu überleben. Der eine kämpft, der andere flieht, der nächste erstarrt. Polizisten sind dazu ausgebildet, das zu überwinden und helfend einzuschreiten. Dann läuft das erlernte Einsatznotfallprogramm routinemäßig ab.

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Nicht alle Polizeibeamten sind nach dem Einsatz wieder im Dienst. Wie traumatisierend kann eine solche Situation sein?

Gasch: Das können weitreichende Folgen sein, die von sozialem Rückzug bis zur Dienstunfähigkeit und sogar bis zum Suizid führen. Auch bei jemandem, der zunächst unauffällig scheint, können nach jahrelanger Verzögerung Traumafolgesymptome auftreten. Das ist sehr tückisch. Ich habe erlebt, wie ein Polizeibeamter, der als sehr belastbar und zuverlässig galt, seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Man erlebt als Polizist viele Fälle, und dann kommt dieser eine Fall, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich nehme an, so war es bei ihm.

Was sind denn typische Symptome?

Gasch: Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Persönlichkeitsveränderungen können erste Warnsignale sein. Schlafstörungen, Albträume und Flashbacks, also die unkontrollierbare Überflutung mit quälenden Erinnerungen an das Trauma, sind typische Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Unbehandelt entwickeln sich neben der PTBS weitere psychische Erkrankungen, allen voran Depressionen.

Und wie wirkt sich der Angriff auf die Polizeigemeinschaft, auf diejenigen, die nicht dabei waren, aus?

Gasch: Ereignisse wie diese Messerattacke mit tödlichem Ausgang führen zu einer kollektiven Reaktion der Erschütterung und Betroffenheit. Oft ist die Rede von einer spezifischen „Polizeikultur“, das hat mitunter einen abwertenden Klang, ist aber etwas Positives. Denn die besondere kollegiale Verbundenheit spiegelt eine überlebensnotwendige Haltung von Polizisten im Hinblick auf oft nur im Team zu meisternde Gefahrenlagen, die dieser Beruf mit sich bringt. Der Angriff auf einen Polizisten wird folglich als Angriff auf jeden Polizisten verstanden, und zwar überall.

Werden die Polizisten psychologisch betreut?

Gasch: Es gibt kollegiale Ansprechpartner und Psychologen, die im Rahmen der psychosozialen Notfallversorgung intern verfügbar sind. Traumatherapeuten werden regelmäßig extern hinzugezogen. In den ersten vier bis sechs Wochen nach einem traumatischen Erlebnis kommt es bei Betroffenen zu normalen Anpassungsreaktionen, welche in etwa 30 Prozent der Fälle von allein abklingen. Nur, wenn bedeutsame traumaspezifische Symptome nach vier bis sechs Wochen vorhanden sind – das sind ebenfalls 30 Prozent der Fälle - darf PTBS diagnostiziert werden, welche traumatherapeutisch behandelt werden sollte.

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In Ihrer Baden-Württemberg-weiten Studie aus dem Jahr 2000 haben Sie herausgefunden, dass 28,7 Prozent der Polizisten, die mit einem traumatischen Erlebnis während der Dienstausübung konfrontiert waren, eine PTBS entwickelt haben.

Gasch: Die auslösenden Ereignisse lagen durchschnittlich acht Jahre bis zu 32 Jahren zurück. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:6 ist damit zu rechnen, dass ein potenziell traumatisierendes Ereignis zu einer behandlungsbedürftigen PTBS führt. Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie war: Zeit allein heilt keine Wunden.

Auch infolge dieser Studie werden traumatisierte Polizeibeamte heute nach kritischen Einsätzen psychologisch betreut.

Gasch: Allerdings gibt es einen speziellen Aspekt, der bereits aus dem militärischen Bereich bekannt ist und auch für den paramilitärischen Bereich gilt: Polizisten sind immer auch vor ihrem beruflichen Selbstverständnis zu betrachten.

Sie haben, mehr als Zivilisten, das Gefühl, ihren Schmerz aushalten zu müssen, weil es zu ihrem Beruf dazugehört?

Gasch: Genau. Sie möchten ihre Kollegen nicht hängen lassen und weiterhin als belastbar gelten. Das kann zu fatalen und gefährlichen einsatzbezogenen Konsequenzen führen. Aber auch gegenüber der Familie gilt es, keine Verwundbarkeit zu zeigen.

Und daran können dann sie selbst, Freundschaften und Familien zerbrechen.

Gasch: Ja. Der Polizeiberuf gehört zu den emotional gefährlichsten der Welt. Emotional mag vielleicht verniedlichend klingen, aber das ist es nicht. Eine emotionale Schieflage kann schlimmstenfalls Leben kosten.

Kann man Polizisten im Vorfeld auf Mord, Vergewaltigung und andere Gewalttaten vorbereiten?

Gasch: Ja und nein. Im Rahmen der Ausbildung gibt es die Konfrontation mit Grenzsituationen und realitätsgetreues Einsatztraining. Aber um wirklich belastbar zu bleiben und mit kritischen Situationen besser umgehen zu können, sind die psychische Eigensicherung und das mentale Training wichtig. Unsere Psyche ist wie eine Brücke: Wenn sie zu starr ist, bricht sie. Wenn sie schwingen kann, hält sie viel aus. Wer gute kommunikative Fähigkeiten hat, hat bessere Chancen, keine PTBS zu entwickeln – und gute Chancen, von einer PTBS zu genesen.

Wie sehr müssen Polizisten damit rechnen, dass eine Situation entgleist?

Gasch: Immer.

Gerade ist ein Kollege im Dienst gestorben, da müssen die Beamten schon wieder einen Einsatz mit besonderen Herausforderungen meistern, wenn die Bundes-AfD am Freitag eine Kundgebung auf dem Marktplatz abhält. Wie gelingt ihnen der Spagat zwischen ihrer Trauer und dem Einsatz?

Gasch: Die Beamten werden umso mehr bestrebt sein, auch in Gedenken an ihren Kollegen, den Einsatz gut zu meistern. Auch wenn eine Dynamik nie hundertprozentig vorhersehbar ist: Wir haben es mit Profis und Menschen zu tun, die ihr Bestes geben.

Antifa gegen Rechte, die Bürgerbewegung Pax Europa gegen den Islam, Free Palestine gegen Israel, dazwischen die Polizei, die für die Sicherheit aller Bürger sorgen und die Gruppierungen auseinanderhalten muss. Woran liegt es, dass Polizisten bei solchen Einsätzen schnell zum Feind erklärt und dann auch angegriffen werden?

Gasch: Die Polizei repräsentiert eine mit dem Gewaltmonopol ausgestattete Organisation, um im Falle einer Gefährdung von Sicherheit und Ordnung zu reagieren. Das ordnende Eingreifen der Polizisten wird oft als Angriff auf die freie Entfaltung betrachtet und rücksichtslos bekämpft. Ein Angriff kann daher auch aus einer Ecke kommen, aus der man ihn zunächst nicht vermutet. Wo Gruppierungen aufeinanderprallen, ist im Zweifel der einschreitende Dritte Gegner. Dass in den Uniformen Menschen stecken, ist dabei uninteressant. Es wäre wünschenswert, dass sich alle Mitbürger Gedanken darüber machen, wie viel jedem Polizisten und jeder Polizistin im Dienstalltag zugemutet und abverlangt wird.

Freie Autorin

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