Mannheim. In einem Teil der Mannheimer CDU brodelt es. Grund ist der Umgang mit dem Gutachten, das dem Kreisvorstand vorliegt, dessen genaues Ergebnis er aber unter Verschluss hält - obwohl sich nach seiner Darstellung keine strafbaren Handlungen oder Verstöße gegen das Parteiengesetz ergeben.
Um was geht es in dem Gutachten genau?
Der CDU-Kreisverband Mannheim hatte den Landesverband Ende März dieses Jahres gebeten, eine unabhängige Prüfung der Finanzen des Kreisverbandes vorzunehmen. Die Prüfung sollte den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 10. März 2021 umfassen (im Wesentlichen die Amtszeit des Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel), um die in der Diskussion stehenden Vorgänge rund um die Geschäftsstelle abzudecken. Es ging vor allem um Fragen der Finanz- und Lohnbuchhaltung, der Arbeits-, Darlehens- und Mietverträge. Der Landesverband der CDU beauftragte mit der Prüfung das Wirtschafts- und Steuerprüfunternehmen Mauer aus Reutlingen.
Wie können interessierte Mannheimer CDU-Mitglieder Einsicht in das Gutachten bekommen?
Das geht am Mittwoch, 13. Oktober, von 19 bis 20 Uhr, und am Freitag, 15. Oktober von 18 bis 19 Uhr in den Räumen der CDU-Landesgeschäftsstelle in Stuttgart. Eine Einsichtnahme in Mannheim sei angestrebt, aber noch nicht abgestimmt, sagte die kommissarische Kreisvorsitzende Katharina Funck dieser Redaktion.
Welche Voraussetzungen müssen zur Einsichtnahme erfüllt sein?
Interessierte Mitglieder müssen sich anmelden. Sie müssen zudem zwingend eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichnen. Während der Einsichtnahme ist es verboten, „Aufzeichnungen, Notizen oder Ablichtungen“ zu machen. Erlaubt ist lediglich „die lesende Kenntnisnahme des Abschlussberichts“. Im Gutachten sind zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes einzelne Passagen mit personenbezogenen Daten geschwärzt.
Was steht in der Verschwiegenheitserklärung?
Unter anderem verpflichtet sich der Unterzeichner zur vertraulichen Behandlung aller Informationen und Erkenntnisse. „Ich werde, unerheblich in welcher Form und auf welche Weise, keine Informationen oder Inhalte aus dem Abschlussbericht an Unberechtigte weitergeben, auch nicht an andere CDU-Mitglieder“, heißt es unter anderem. Wer gegen diese und andere Regeln verstoße, mache sich unter Umständen strafbar. Dies könne eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Darüber hinaus könnten zivilrechtliche Konsequenzen und Schadensersatzforderungen folgen.
Was sagen die Kritiker des Kreisvorstands zum Vorgehen?
Diese Parteimitglieder sind verärgert, dass ihnen die Ergebnisse des Gutachtens vorenthalten werden, sie nun nach Stuttgart fahren müssen, dort nur eine Stunde für 20 Seiten haben und im Anschluss das Gelesene nicht einmal mit anderen Parteifreundinnen und -freunden diskutieren dürfen - zumal das Gutachten ja konstatiert, dass alles in Ordnung gewesen sei. Sie kritisieren zudem, dass diejenigen, die Teil der Prüfung waren, die Deutungshoheit über die Inhalte des Gutachtens haben und bestimmen, was davon nach draußen dringt. "Da bleibt einem der Atem weg", sagt Ex-MVV-Chef und Ex-Fraktionsvorsitzender Roland Hartung. "Das Vorgehen ist autoritär und hat nichts mit einer demokratischen Rechtsstaatspartei zu tun." Für Steuerberater Heinrich Braun besteht die derzeitige Parteiführung aus den restlichen Vertrauten Löbels. In dessen Stil sei man die dringliche Aufarbeitung der Finanzen angegangen - eine "weitere Verschleierung und der Versuch, das Thema zu beenden. Unter diesen aberwitzigen Bedingungen ist das Gutachten nicht nur wertlos, sondern die Demokratie wird mit den Füßen getreten. Eine Geldverschwendung, die das gedruckte Papier nicht wert ist", so der frühere Ortsverbands-Schatzmeister Braun weiter. Ulrich Seel, Gegenkandidat von Roland Hörner bei der Wahl zum Bundestagskandidaten, nennt das Gutachten eine absolute Farce. Seel hatte gemeinsam mit dem Parteimitglied Sebastian Boese im Frühjahr auf 16 Seiten Fragen zur Kreisgeschäftsstelle formuliert. Bisher sei keine einzige beantwortet, kritisiert er.
"Das physische Verhindern von Einsichtnahme in das Prüfungsergebnis, das Unkenntlichmachen von Namen Betroffener und das Androhen von Geld- und Freiheitsstrafen bei Nichteinhalten von Verschwiegenheit ist der untaugliche Versuch einer arroganten-, politisch heruntergekommenen- und moralisch defizitären Restvorstandsclique, sich ihrer innerparteilichen und öffentlichen Verantwortung zu entziehen", sagt Ex-Bürgermeister Rolf Schmidt. Er fordert zwei Dinge: ein Zweitgutachen durch Heinrich Braun oder Rechtsanwalt Sven-Joachim Otto (ehemaliger Fraktionsvorsitzender der CDU) sowie den sofortigen Rücktritt des Vorstands.
"Wer nichts zu verbergen hat, braucht das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen", findet Altstadtrat Konrad Schlichter. "Oder findet hier ein Schutz der engsten Löbel-Mannschaft, der engsten Löbel-Strategen, der Strippenzieher im Hintergrund durch den CDU-Landesverband und die Restmitglieder des CDU-Kreisvorstandes statt?" Er fragt zur Einsichtnahme des Gutachtens in Mannheim weiter, wie bekloppt oder töricht der CDU-Landesverband in Stuttgart und der CDU-Restvorstand in Mannheim die Mannheimer Mitglieder halte. Es zeige den eklatanten Führungsmangel bei der CDU Mannheim. "Nicht einmal gegen Angestellte des CDU-Landesverbandes kann sich und will sich der Mannheimer Führungszirkel durchsetzen." Beim Parteivorstand in Mannheim sei das Misstrauen, die Angst gegen kritische, geschädigte Parteimitglieder größer als die notwendige Offenheit zur Aufarbeitung des politischen Scherbenhaufens - personell und inhaltlich zugleich.
Warum wollte der CDU-Kreisverband Mannheim eine Prüfung?
Zum einen sind seit Herbst 2020 Gerüchte im Umlauf, wonach es rund um die Kreisgeschäftsstelle in der Elisabethstraße Mauscheleien gegeben haben könnte, etwa bei Untermietverträgen an den damaligen Bundestagsabgeordneten und Unternehmer Nikolas Löbel. Die beiden damaligen Mitglieder des Kreisvorstands, Chris Rihm und Andreas Pitz, durften am 12. Oktober in die Unterlagen schauen. Unmittelbar nach dem Termin legten sie ihre Ämter nieder. Pitz sagte dem „MM“ im Anschluss, er habe Dinge gesehen, von denen er nicht ausschließen könne, dass sie strafrechtlich relevant seien. Konkreter wollte und konnte er nicht werden, um sich juristisch nicht angreifbar zu machen. Der „MM“ hatte ebenfalls beantragt, in die Bücher schauen zu dürfen. Das lehnte der Kreisvorstand mit Hinweis auf den Datenschutz ab. Zum anderen hatte der geschäftsführende Kreisvorstand der Partei im März ein Schreiben eines Parteimitglieds erhalten, in dem dieser „Beobachtungen rund um die Geschäftsstelle“ schilderte. Der Kreisvorstand leitete das Schreiben an die Staatsanwaltschaft weiter, weil er den Inhalt „rechtlich nicht eindeutig“ bewerten konnte. Zudem veranlasste der Kreisverband eine vorsorgliche Anzeige beim Deutschen Bundestag, „weil mögliche Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht des Kreisverbandes nicht ausgeschlossen werden können, bislang aber auch nicht nachgewiesen sind“. Wie die Bundestagsverwaltung dem „MM“ sagte, ist der Vorgang noch nicht abgeschlossen.
Welche Hinweise gibt es noch, dass geschummelt wurde?
Mehrere. Es gibt die acht Seiten „Beobachtungen rund um die Geschäftsstelle“. Sie beschreiben sehr genau, an welchen Stellen es zumindest unklare Bestimmungen und Regelungen gab, so bei den Untermietverträgen, bei Betriebskosten und Aufgabenbereichen, beziehungsweise Bezahlung von Personal.
Außerdem gibt es mehrere belegbare Auffälligkeiten: Die jährliche Miete für Löbels GmbH (im Mai 2020 fällig) wurde am 14. September 2020 bezahlt: 4750 Euro. Laut Rechtsanwalt Ralph Landsittel waren das 25 Monatsmieten auf einmal, und zwar bis einschließlich Mai 2021. Die jährliche Zahlung sei auf seinen Hinweis zustande gekommen, weil sie weniger Verwaltungsaufwand für die Kreisgeschäftsführerin bedeute, sagte Löbel im Oktober 2020. Ihr sei in der Zeit ihrer Wiedereinarbeitung nach Elternzeit im August aufgefallen, dass die GmbH ihre Miete noch nicht bezahlt hatte. Das habe er dann nachgeholt. Allerdings gibt es einen dicken Widerspruch zu Löbels Darstellung: Die damalige CDU-Kreisgeschäftsführerin hatte dem „MM“ am 28. September 2020 in einer Mail geschrieben, dass seit Beginn der (drei) Mietverhältnisse monatliche Zahlungen an den CDU-Kreisverband geleistet werden. Sie selbst aber hatte den Vertrag mit Löbels Projektmanagement GmbH (mit jährlicher Zahlweise) unterschrieben.
Und es gibt die Aussage von CDU-Fraktionschef Claudius Kranz gegenüber dieser Redaktion. Er sagte im März dieses Jahres, dass man sich seit Herbst sage: „Es kann nicht sein, dass Herr Pitz eine solche Behauptung aufstellt, ohne dass er eine konkrete Vermutung hat.“ Seiner Meinung nach könnte es sein, dass „im Kontext der ,MM’-Anfrage“ an die CDU, in die Bücher schauen zu dürfen, die Zahlung der Miete erfolgte. Löbel habe damals zu ihm gesagt: „Wir haben das abgeschlossen, ich habe das bezahlt, und gut ist.“ Kranz: „Wenn man böse ist, könnte man sagen: Es gab keinen Vertrag, sondern er wurde rückdatiert. Darüber habe ich aber keinerlei Kenntnis.“
Die Mannheimer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Nikolas Löbel wegen des Anfangsverdachts für die Begehung mehrerer Straftaten. Außerdem ermittelt sie gegen zwei weitere Personen.
Gibt es weitere Auffälligkeiten?
Sowohl der „Mannheimer Morgen“ als auch der Neckarstadtblog hatten herausgefunden, dass die Telefonnummer von Löbels Wahlkreisbüro und der Löbel Projektmanagement GmbH in der Vergangenheit unerlaubterweise identisch war. Löbel selbst hatte am 22. Oktober 2020 behauptet, dies sei nicht so gewesen. Zudem nutzte Löbels Wahlkreisbüro dieselbe Faxnummer wie die CDU-Kreisgeschäftsstelle. Besucher der Kreisgeschäftsstelle wissen darüber hinaus, dass Löbel mit seiner GmbH in einer größeres Büro umgezogen ist. Die zu zahlende Miete hatte sich danach aber nicht erhöht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-cdu-mannheim-einsichtnahme-in-das-gutachten-nur-in-stuttgart-moeglich-_arid,1863956.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die CDU Mannheim muss ihr Gutachten offenlegen