Mannheim. Wenn Kommunen Projekte starten, folgt das oft einem Ritual: Auf Pressemitteilungen folgen Einladungen zu Terminen, bei denen ambitionierte Pläne nicht selten mit ebensolchen Worten vorgestellt werden. Die Verwaltung präsentiert sich gern als Motor der Modernisierung – als jemand, der Probleme erkennt und Lösungen entwickelt. Mal geht es um digitale Services, mal um Bauprojekte oder soziale Programme. Die Botschaft ist auch in Mannheim oft dieselbe: Hier bewegt sich etwas, soll Zukunft gestaltet werden.
Doch nicht jedes Vorhaben eignet sich für eine derartige Inszenierung. Manches bringt von Beginn an mehr Zweifel als Begeisterung. Statt Aufbruchsstimmung eher Pflichterfüllung. Genau so wirkt derzeit ein Vorhaben, das nun auch Mannheim umsetzen muss: die Bezahlkarte für Geflüchtete. Das Modell ist politisch umstritten.
Auch bei Thorsten Riehle, der als Sozial- und Wirtschaftsdezernent für die Einführung in Mannheim zuständig ist. „Mich überzeugt die Karte nicht“, sagt der SPD-Politiker. Einführen muss er sie trotzdem. Kommunen in Baden-Württemberg können bei Umsetzungen von Maßnahmen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht frei entscheiden. Sie sind an höhere Behörden gebunden. Fragen und Antworten zur Bezahlkarte.
Was ist die Bezahlkarte und wer bekommt sie überhaupt?
Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte die Karte im November 2023 beschlossen, der Bundestag im April 2024 das Gesetz verabschiedet, der Bundesrat diesem zugestimmt. „Das Hauptziel besteht darin, die Überweisung von Leistungen an Angehörige im Ausland sowie an Schleuser zu verhindern“, erklärt eine Sprecherin des Landesministeriums für Justiz und Migration dieser Redaktion. Vom Staat bezogene Leistungen sollen so nur im Inland eingesetzt werden können. „Durch die Maßnahme sollen Deutschland und Baden-Württemberg für irreguläre Migration insgesamt weniger attraktiv werden.“
Die Karte wird an Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verteilt. In Mannheim betrifft das derzeit etwas mehr als 1.100 Menschen, von denen rund 220 die Karte bereits erhalten haben. Die Ausgabe soll bis Jahresende abgeschlossen sein.
Wie funktioniert die Bezahlkarte?
Vereinfacht gesagt: wie eine Kreditkarte. Asylbewerberinnen und Asylbewerber müssen die VISA-Karte nutzen, die regelmäßig aufgeladen wird und mit der sie monatlich bis zu 50 Euro Bargeld abheben können. Falls sie einem sozialversicherungspflichtigen Erwerb nachgehen, wird dieses Geld auf ihr Gehaltskonto überwiesen. „Wir sehen Chancen, dass die Bezahlkarte das Thema Arbeitsaufnahme vorantreiben kann“, sagt Riehle. Zumindest gebe es in einer der Unterkünfte, die bereits mit Karten ausgestattet ist, dafür „erste Tendenzen“.
Was kritisieren Riehle und seine Mitarbeiter?
Insgesamt passt die Bezahlkarte für Riehle aber in eine misslungene Integrationspolitik des Bundes. Statt Teilhabe und Integration zu fördern, baue die Politik Hürden. „Wir brauchen Menschen für den Arbeitsmarkt, lassen sie aber erst arbeiten, wenn sie die Sprache können. Dafür müssen sie Kurse besuchen, die sich ziehen und kosten“, kritisiert er. „Die Lebenswirklichkeit von Menschen, die aus Syrien, aus Afghanistan oder sonst woher zu uns geflüchtet sind, ist nicht, dass ich innerhalb von zwei Wochen Deutsch lerne und dann ist alles gut. Das sind lange Prozesse.“ Zudem müssten Abschlüsse erst umständlich anerkannt werden, sagt der Bürgermeister.
Kompliziert ist laut Riehle nun auch die eingeführte Bezahlkarte. Die funktioniert wie eine Kreditkarte, die allerdings nicht alle Händler akzeptieren. Zudem fehlten kommunalen Verwaltungen Handlungsspielräume bei der Auszahlung von Bargeld. Das System schränke den Alltag seiner Nutzer ein und sei eine weitere Integrationshürde, kritisiert er. „Mich ärgert, dass wir an vielen Stellen unsere Ideen, wie wir eine Gesellschaft gestalten wollen, nicht den Realitäten anpassen, sondern immer noch eine Hürde oben drauflegen.“
Zudem ist mit der Einführung ein hoher Aufwand verbunden. So berichten Klaus-Jürgen Ammer, Beauftragter für die Unterbringung von vulnerablen Gruppen, und Manuela Skotnik aus dem Fachbereich Arbeit und Soziales, dass das achtköpfige Sachbearbeiterteam für jeden der mehr als 1.100 Kartenempfänger einen persönlichen Termin vereinbaren müsse. Zudem muss die Verwaltung jede Überweisung prüfen, die nur an freigegebene IBANs möglich sind. Die Stadt kritisiert außerdem Probleme beim Support aufgrund von Datenschutz sowie technischer Probleme in App und Browser. So erzählt Ammer die Anekdote, dass Passwörter nicht funktionieren würden, wenn Browser und App in arabischen Sprachen eingestellt sind, in der von rechts nach links geschrieben wird. Die Passwörter müssten dann spiegelverkehrt eingetippt werden. „Der Aufwand ist enorm“, sagt Skotnik. „Unserer Einschätzung nach wird er auch auf Strecke höher bleiben als zuvor.“
Insgesamt sei die Bezahlkarte „keine gute Idee“, sagt Riehle und schließt sich der Kritik des Migrationsbeirats an. Das Gremium hatte im Juni bereits moniert, die Karte würde unter anderem Teilhabe erschweren und Aufwand erhöhen.
Was sagt das Ministerium zur Kritik?
Das weist Kritik zurück. „Die Einführung erfolgte geräuschlos, ohne größere Probleme oder Komplikationen“, sagt die Sprecherin. Dem Ministerium seien „keine grundlegenden Probleme“ bekannt.
Sie erklärt, dass Prozesse vereinfacht werden, indem weniger Bargeld im Umlauf ist. Gerade deshalb würde sich der Verwaltungsaufwand verringern, nicht verkomplizieren. Man müsse Leistungen nicht mehr in bar oder mit Barschecks auszahlen. „Dieser Aspekt bietet nicht nur einen vereinfachten Verwaltungsprozess, sondern auch einen erheblichen Sicherheitsgewinn, weil das Risiko von Bargeldverlusten oder -diebstahl minimiert wird.“
Die Bezahlkarte sei „bewusst so konzipiert“, dass sie kein vollständiges Bankingsystem darstellt. So soll das Ziel, „irreguläre Migration insgesamt weniger attraktiv“ werden zu lassen, erreicht werden. Dass die Bezahlkarte ins VISA-System integriert wurde, ermögliche eine „hohe Flexibilität und Reichweite bei der Nutzung“. Für alle andere Fälle gebe es die Möglichkeit, monatlich 50 Euro Bargeld abzuheben, erklärt die Sprecherin.
Die LTK-Fraktion im Gemeinderat hatte beantragt, dass sich die Verwaltung beim Land für eine kommunale Wahlfreiheit zur Einführung einsetzt. Als Vorbild wurde unter anderem Heidelberg genannt. Wie steht Riehle dazu?
Der verweist darauf, dass die sogenannte Opt-out-Option in dieser Angelegenheit „ein stumpfes Schwert“ sei, sagt Riehle. „Die Einführung ist verpflichtend – ob uns das gefällt oder nicht.“
Ein Sprecher der Stadt Heidelberg erklärt dieser Redaktion, dass Oberbürgermeister Eckart Würzner sich auf Beschluss des Gemeinderats ans Land gewandt habe. „Das Land hat auf das Schreiben geantwortet und dem Wunsch nach einer Opt-Out-Regelung in Baden-Württemberg eine Absage erteilt.“ Auch in Heidelberg wird die Bezahlkarte nun bis Jahresende eingeführt. Davon betroffen sind 50 Bedarfsgemeinschaften. Auf die Frage nach einer grundsätzlichen Bewertung geht die Verwaltung eher ausweichend ein: Der Gemeinderat habe beschlossen, dass die Karte „möglichst diskriminierungsfrei und menschenfreundlich ausgestaltet“ werden müsse. Das habe das Land „erneut bestätigt und die Stadtverwaltung setzt den Beschluss nun um“.
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