Gesellschaft

Autoattacke in der Rhenaniastraße: So geht es Michael Gangnus heute

Vor über zwei Jahren nimmt Michael Gangnus’ Leben in der Rhenaniastraße eine schicksalhafte Wendung. Seitdem kämpft er - und ist nun auf der Suche nach einer eigenen Wohnung

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Agnes Polewka
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Michael Gangnus ist oft mit seinem Elektro-Rollstuhl unterwegs. Mithilfe seiner Prothese konnte er im Sommer auch wieder laufen. © Privat

Mannheim. Wenn Michael Gagnus auf dem Fahrradweg im Waldpark in seinem elektrischen Rollstuhl Richtung Strandbad im Mannheimer Stadtteil Neckarau unterwegs ist, fühlt sich das Leben gut an. Frei und selbstbestimmt, ein bisschen wie früher. „Die erste Fahrt mit meinem E-Auto war einfach nur richtig schön“, sagt der 59-Jährige und lächelt.

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Michael Gangnus sitzt in seinem Rollstuhl im Zimmer eines Mannheimer Pflegeheims und berichtet, wie es ihm in den vergangenen Monaten ergangen ist. Dort befand er sich auch im März 2023, als er im Gespräch mit dieser Redaktion erstmals seine Geschichte erzählte: An einem Sonntag im Juni 2022 radelt er auf der Mannheimer Rhenaniastraße entlang, wie so viele Male zuvor. Gangnus denkt an den nächsten Tag, an die Menschen, um die er sich als Altenpfleger kümmert.

Und dann geht alles ganz schnell. Ein Auto rast auf ihn zu und rammt den damals 57-Jährigen. Gangnus wird lebensgefährlich verletzt. Dann fährt das Auto weiter, erfasst das Mannheimer Ehepaar Peter (78) und Monika Lobert (71), die Senioren sind auch auf ihren Rädern unterwegs. Beide sterben. Einige hundert Meter weiter hält der Fahrer auf einen vierten Radfahrer zu - der 32-Jährige überlebt die Autoattacke leicht verletzt.

Geschichte von Michael Gagnus wird erst Monate später bekannt

Die Geschichte von Michael Gagnus und den anderen Betroffenen der Autoattacke wird erst viele Monate später bekannt, als der Prozess gegen den Autofahrer beginnt. Wegen der psychischen Erkrankung des Mannes findet das Verfahren nicht-öffentlich statt. Und Michael Gagnus beschließt damals, dieser Redaktion seine bewegende Geschichte zu erzählen. Später tun dies auch der andere Überlebende und die Tochter des getöteten Paars.

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Michael Gagnus zählt im Frühjahr 2023 seine schweren Verletzungen auf - die zertrümmerte rechte Schulter, den amputierten linken Unterschenkel, die vielen gebrochenen Knochen und inneren Verletzungen. Er spricht damals über sein altes Leben, in dem er auf dem Mannheimer Lindenhof wohnte und als Altenpfleger anderen Menschen half. Wie er auf Metal-Konzerten unterwegs war oder Zeit in seinem Garten verbrachte.

Nach der Veröffentlichung loggen sich unzählige Menschen in ihrem Online-Banking ein oder machen sich auf den Weg zur Bank. Um Michael Gangnus finanziell zu unterstützen. Für Rücklagen zu sorgen, damit er sich bald wieder ein eigenständiges Leben aufbauen kann. Und Gangnus ist wenige Wochen nach dem ersten Treffen mit dieser Redaktion „einfach nur überwältigt“. Neben tausenden von Euro spenden die Menschen in der Stadt ihm auch Trost. Im Verwendungszweck ihrer Überweisungen finden sich aufbauende Botschaften: „Es geht immer weiter - gib’ nicht auf“ oder „Adler halten zusammen“. Weil Michael Gangnus einer von ihnen ist, bis zum 12. Juni 2022 in die SAP Arena zu Eishockeyspielen der Adler Mannheim pilgerte.

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In der Zeit nach der Entscheidung des Gerichts - der Autofahrer muss dauerhaft in die Psychiatrie - hegt Gangnus große Hoffnungen. „Ich wollte alles auf einmal regeln“, sagt er heute. Er führt Gespräche mit Ärzten wegen einer weiteren Schulter-OP - zwölf Mal ist er da schon operiert worden. Und danach will er so schnell wie möglich in eine eigene Wohnung ziehen, vielleicht auch wieder arbeiten. Doch sein Körper signalisiert ihm: Ich brauche mehr Zeit. „Es gab immer wieder körperliche Rückschläge und ich habe dann verstanden, dass nur eins nach dem anderen funktioniert.“ Auch wenn das bedeutet, das alles viel langsamer vorangeht, als er sich das wünschen würde.

Es gab immer wieder körperliche Rückschläge und ich habe dann verstanden, dass nur eins nach dem anderen funktioniert.
Michael Gangnus

Seit dem Sommer läuft er regelmäßig Runden mit seiner Prothese. „Aktuell passt sie aber nicht mehr richtig“, sagt Gangnus. Der 59-Jährige hofft, bald mit einer neuen Prothese das Training wiederaufnehmen zu können und auf eine Reha in einer Spezialklinik. Durch gezielte Übungen hat er an der Beweglichkeit und Kraft seiner Schulter gearbeitet. „Ich kann wieder mit Messer und Gabel essen, das ist richtig gut“, sagt er.

Gangnus konnte durch die hohe Spendenbereitschaft Umzug finanzieren

Mehr noch: In den vergangenen Wochen hat der 59-Jährige verschiedene Wohnungen besichtigt. „Ich bin inzwischen so weit, dass ich wieder alleine wohnen könnte - mit Unterstützung durch mobile Pflegedienste Bislang kassierte er eine Absage, von anderen Vermietern gab es bislang noch keine Rückmeldung. Eine kleine barrierefreie Wohnung, anderthalb oder zwei Zimmer, mehr brauche er nicht, sagt Gangnus. Am liebsten würde er künftig in den südlichen Stadtteilen wohnen, um in der Nähe seiner Familie zu bleiben.

Durch die hohe Spendenbereitschaft der Mannheimerinnen und Mannheimer könnte er problemlos einen Umzug finanzieren. Nun hofft Gangnus auf die passende Wohnung mit seinen eigenen Möbeln, die Freunde für ihn eingelagert haben. „In diesem Rahmen wären auch andere Dinge machbar - eine Beziehung zum Beispiel“, sagt der 59-Jährige und freut sich über Zuschriften von Menschen, die eine passende Immobilie vermieten möchten.

Die vielen Nachrichten, die Michael Gangnus im Frühjahr 2023 und in den Monaten danach erreichten, hätten ihm viel Kraft gegeben, sagt er heute. Auch über die Tat zu sprechen, habe ihm geholfen. „Mit jedem Gespräch ist das, was passiert ist, etwas kleiner geworden“, sagt Gangnus. Auch wenn er den 12. Juni 2022 nie vergessen wird.

Redaktion

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