Mannheim. Die Familien auf der Hochstätt – einer der kinderreichsten Stadtteile Mannheims – bleiben weiter ohne eine wohnortnahe kinderärztliche Versorgung. Der Antrag der Mannheimer Kinderärztin Stefanie Schwarz-Gutknecht auf eine Sonderbedarfszulassung wurde vom zuständigen Zulassungsausschuss, der zu gleichen Teilen aus Vertretern der Krankenkassen sowie aus Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) besetzt ist, abgelehnt.
„Das ist traurig. Ich habe lange gekämpft und bin nun wirklich enttäuscht“, sagt die Kinderärztin im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Medizinerin betreibt eine Kinderarztpraxis am Wasserturm und wollte auch die Hochstätt mitversorgen. Monatelang hatte sie um einen halben Sitz, also 20 Stunden in der Woche, gekämpft. Die Räumlichkeiten waren bereits ebenso organisiert wie eine Kollegin, mit der sie sich die Sprechstunden teilen wollte.
Zu wenige Kinder nehmen im Mannheimer Stadtteil Hochstätt Vorsorgeuntersuchungen wahr
Die Hochstätt zählt zu den sozialstrukturell auffälligen Stadtteilen. Nur gut die Hälfte der Kinder nimmt hier beispielsweise an der Vorsorgeuntersuchung U8 teil. „Dabei ist gerade diese Untersuchung, die im Alter von etwa vier Jahren durchgeführt wird, sehr wichtig“, erklärt Schwarz-Gutknecht. Hier müssten Förderbedarfe wie zum Beispiel Logopädie erkannt werden, um Entwicklungsverzögerungen rechtzeitig entgegensteuern zu können.
Deshalb hatte sich die Kinderärztin vor allem auf die Sozialpädiatrie konzentrieren wollen. Darunter versteht man den Teil der Kinderheilkunde, der sich mit der Gesundheit und der Entwicklung von Kindern in ihrem sozialen Umfeld befasst und zum Ziel hat, ihre Teilhabe zu fördern. Der Hausarzt auf der Hochstätt, der vor allem akute Erkrankungen auch von Kindern mitbehandelt, darf keine Überweisungen an ein Sozialpädiatrisches Zentrum ausstellen. Das dürfen nur Kinderärzte. In Sozialpädiatrischen Zentren, die oft an Kinderkliniken angesiedelt sind, werden Kinder mit Entwicklungsstörungen, Behinderungen, Verhaltensauffälligkeiten und chronischen Erkrankungen behandelt.
Kassenärztliche Vereinigung will sich zur Ablehnung einer Kinderarztpraxis auf der Hochstätt nicht äußern
Mit ihrer bestehenden Praxis, in der sie noch zwei weitere Kinderärztinnen und eine Weiterbildungsassistentin beschäftigt, kann sie die Hochstätt nicht noch mitversorgen. „Ich bin voll ausgelastet“, berichtet Stefanie Schwarz-Gutknecht.
Die KVBW will sich zu der Entscheidung nicht öffentlich äußern. „Die Sitzungen der Zulassungsausschüsse sind immer nicht-öffentlich. Daher bitten wir um Verständnis, dass wir Entscheidungen auch nicht öffentlich kommentieren können“, teilt KVBW-Sprecher Kai Sonntag auf Anfrage mit. Allgemein aber sei ein Sonderbedarf „mit hohen prozessualen Risiken“ verbunden. Der Gesetzgeber habe vorgegeben, dass die Ärzte im Umfeld des Sonderbedarfs ein Drittwiderspruchsrecht hätten. Daher müsse der Zulassungsausschuss erst einmal eine Stellungnahme der Ärzte in der Umgebung einholen. Auch wenn der Zulassungsausschuss dann zustimmen würde, hätte jeder dieser Ärzte die Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen. „Ich möchte noch einmal betonen, dass das nichts mit der KVBW zu tun hat, sondern gesetzlich so geregelt ist“, so Sonntag.
„Ich bedauere die Entscheidung. Das war ein gutes Angebot der niedergelassenen Kinderärztin“, kommentiert Peter Schäfer, Leiter des Mannheimer Gesundheitsamtes, die Entscheidung des Zulassungsausschusses. Zwar sei man als Stadt keine Verfahrensbeteiligte gewesen. „Aber wir haben das Vorhaben von Frau Schwarz-Gutknecht unterstützt“, so Schäfer. Man sei im Dialog mit der KVBW und werde diese Entscheidung sicher hinterfragen. „Es geht darum, dass wir gemeinsam die Situation verbessern. Ohne Schuldzuweisungen“, ergänzt der Gesundheitsamtschef.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch, der sich schon mehrmals für eine gerechtere Verteilung des kinderärztlichen Angebots über alle Stadtteile hinweg eingesetzt hat, kritisiert die Ablehnung des Sonderbedarfs im Gespräch mit dieser Redaktion. „Es ist ein fatales Signal, dass ausgerechnet die Hochstätt als der Stadtteil mit der im Schnitt jüngsten Bevölkerung Mannheims keine eigene Kinderarztpraxis erhält, obwohl eine Ärztin ausdrücklich bereit gewesen wäre, dort tageweise Sprechstunden in angemieteten Praxisräumen anzubieten“, so Weirauch.
Die nächste Praxis in Seckenheim sei mehrere Kilometer weit weg, und für viele Familien, gerade aus sozial benachteiligten Haushalten, stelle diese Entfernung ein erhebliches Hindernis dar. „Kinderarztpraxen müssen dort entstehen, wo der Bedarf am größten ist, und nicht nur dort, wo es sich wirtschaftlich am besten rechnet“, sagt der Landtagsabgeordnete.
SPD-Landtagsabgeordneter Weirauch will Entscheidung überprüfen lassen
Er kündigt zudem an, die Entscheidung der KVBW über das Landesgesundheitsministerium als oberste Rechtsaufsichtsbehörde überprüfen zu lassen: „So schnell geben wir nicht auf, zumal die Folgen mit fehlenden Vorsorgeuntersuchungen und Impflücken gravierend sind.“
Laut aktuellem Versorgungsbericht der KVBW liegt der Versorgungsgrad mit Kinderärztinnen und -ärzten im Planungsbezirk Mannheim bei 131,5 Prozent. Wenn der Versorgungsgrad den Wert von 110 Prozent übersteigt, wird der Bereich für Neuzulassungen gesperrt. Es darf dann keine neue Praxis eröffnen. Eine Möglichkeit, trotz der formalen Überversorgung ein weiteres kindermedizinisches Angebot zu errichten, ist der Antrag auf Sonderbedarfszulassung.
Auch andere Mannheimer Stadtteile sind ohne kinderärztliche Versorgung. Was erhebliche Auswirkungen hat, insbesondere in Bezug auf Bildungsgerechtigkeit und soziale Teilhabe, wie Peter Schäfer weiß. In unterversorgten Stadtteilen müssten Eltern oft lange Wartezeiten für Termine in Kauf nehmen oder weite Wege zurücklegen, um eine kinderärztliche Versorgung zu erhalten. Dies könne dazu führen, dass Kinder seltener präventive Untersuchungen oder notwendige medizinische Behandlungen erhielten, was wiederum ihre Entwicklung und Bildungschancen beeinträchtige.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Kindermedizinische Versorgung: Entscheidung an den Menschen vorbei