Mannheim/Ilvesheim. Die Angstattacken der Zwillingsmädchen waren nicht mehr zu stoppen. Als die Sirenen ertönten, ein Alarm nach dem anderen über Stunden hinweg, als die ganze Familie immer wieder in den Keller rannte, um Schutz zu suchen vor möglichen Luftangriffen und die 14-Jährigen nur noch weinten, da wusste Ludmilla Kovalyk: „Wir müssen hier raus.“ Die Ukrainerin aus Lwiw, einer Stadt ganz im Westen des Landes, schluckt die Tränen weg, während sie erzählt, wie sie sich vergangenen Donnerstag, als Russlands Präsident Wladimir Putin ihrer Heimat den Krieg erklärt hat, für die Flucht entschied.
„Es war die schiere Verzweiflung“, sagt die 37-Jährige, ihr Haus liege in der Nähe des Flughafens, und allen sei klar gewesen, die wichtigen Infrastrukturanlagen werden bei einem Angriff zuerst bombardiert.
Kostiv schafft Platz für die Gäste
Zwei Tage dauerte die Reise in die Sicherheit, eine Fahrt zu Freunden über Mannheim nach Ilvesheim. „Uns geht es gut, aber wir haben andere in Gefahr zurückgelassen“, sagt Ludmilla Kovalyk. Sie werde niemals den Moment des Abschieds vergessen, die letzten Minuten am ukrainisch-slowakischen Grenzübergang bei Uschgorod, wo ein paar hundert Erwachsene und Kinder warteten. Der Kuss ihres Mannes, der aufgrund der angeordneten allgemeinen Mobilmachung auch als Jurist jederzeit eingezogen werden kann und deshalb das Land nicht verlassen darf. Das Schluchzen der Töchter, zwei Papakinder, die die Trennung nur schwer verkraften. Und die Not von Demian, 20 Monate alt, der so unruhig ist wie nie zuvor.

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Nur wenig erholsamen Schlaf hat die ukrainische Familie seit ihrer Ankunft in Deutschland gefunden. Die Sorge um die Klassenkameraden, um die Großmutter, um den Vater zu Hause lässt sie das Handy nur selten weglegen. Der Krieg ist weit weg und doch ganz nah auf dem Display. Ludmilla Kovalyk hat keine Ahnung, wie lange sie mit ihren Kindern bleiben wird. Sie hat in der Hektik zu wenig Kleidung mitgenommen, nur einen einzigen Pyjama für die zwei Mädchen. „Ich sage mir immer wieder, wir werden den Krieg gewinnen und können bald zurück in unsere Heimat.“
Solange es nötig sei, könnten die ukrainischen Freunde bleiben, versichert Yuliya Kostiv und ist froh, dass die Zwillingsmädchen nicht mehr ganz so blass und ganz so schweigsam sind wie am Abend der Ankunft. Die 41-Jährige schuf Platz im Einfamilienhaus. Das Büro wurde Gästezimmer, ihre beiden Jungs müssen vorübergehend zusammenwohnen. Die Leiterin eines Caritas-Pflegezentrums in Mannheim hat ziemlich genau die eine Hälfte ihres Lebens in Lwiw und die andere in Baden-Württemberg verbracht. Ihrer Heimat ist sie tief verbunden, „Lwiw ist das kleine Wien, eine wunderschöne Stadt.“ Und obwohl sie familiär längst abgenabelt ist, („wir haben dort nur noch eine 78-jährige Tante“) reist sie regelmäßig zurück in die Ukraine, zuletzt zum Skifahren im Januar.
Gäste aufnehmen ist das eine, Spenden sammeln das andere. Kostiv ist Mitglied im Verein Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Rhein-Neckar, und so sitzt sie nach ihrem Tagwerk als Chefin im Pflegezentrum zurzeit bis spätabends mit anderen Vereinsmitgliedern in Online-Schalten, um zu organisieren, was am nötigsten gebraucht wird. „Schlafen und essen kann ich irgendwann wieder in Ruhe“, sagt sie und ist von Müdigkeit gezeichnet.
Es fehlt Diesel für die Lastwagen
Der Verein hat etliche Arbeitsgruppen eingerichtet, eine für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen, eine andere für die Spendenlogistik. „Am Samstag haben wir den ersten Lkw mit 24 Tonnen Hilfsgütern losgeschickt, am Montag und am Dienstag folgten die nächsten.“ Die ukrainische Regierung habe es ermöglicht, dass die Transporte unkompliziert den Zoll passieren dürfen. „Da gibt es einen grünen Korridor, es wird zwar kontrolliert, aber alles geht sehr schnell“, weiß Yuliya Kostiv. Die Lastwagen würden aus der Ukraine nach Mannheim geschickt und hier mit Spenden beladen werden - jede Menge Kleidung, Decken, Matratzen, Lebensmittel; auch Stromgeneratoren und Medikamente sind gefragt.
Ein Riesenproblem sei der Mangel an Benzin und Diesel in der Ukraine. Ohne Kraftstoff könnten die Spenden nicht verteilt werden. Kostiv, die sich bestens mit Pflegegraden und Beschäftigungsangeboten für Demenzkranke auskennt, ist damit beschäftigt, Spritnachschub für mehrere zehntausend Euro zu organisieren. „Wir brauchen Geld- oder Dieselspenden“, sagt Kostiv. Ein Tanklaster aus der Ukraine werde leer nach Deutschland fahren und weil bisher so ziemlich alles geklappt hat, ist sie trotz der hohen Kosten zuversichtlich: „Wir werden ihn mit Diesel befüllen.“
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