Mannheim. Der Coup sollte ein Befreiungsschlag sein, und kurzzeitig war er es auch. Als sich im Oktober 2020 die Ereignisse bei der CDU Mannheim überschlagen, zaubert Kreis-Chef Nikolas Löbel ein Gutachten aus dem Hut, präsentiert es vor Journalisten und lässt sich mit dem anwaltlichen Rückenwind am nächsten Abend von seiner Partei zum Kandidaten für die Bundestagswahl im September 2021 wählen. Seit Mittwoch darf der Wert des damaligen Gutachtens jetzt auch offiziell angezweifelt werden. Denn die Staatsanwaltschaft Mannheim hat ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten eingeleitet. Es bestehe nach dem bislang geführten Vorprüfungsverfahren ein Anfangsverdacht für die Begehung mehrerer Straftaten, unter anderem Untreue.
Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft geht es um die Anmietung von Räumlichkeiten in der Geschäftsstelle des CDU-Kreisverbandes, um die Vergütung von Personal und eine dem Beschuldigten zuzurechnende GmbH.
Rund eineinhalb Stunden nach der Staatsanwaltschaft verschickt der CDU-Kreisverband eine Pressemitteilung. Darin heißt es, der geschäftsführende Kreisvorstand habe vergangene Woche ein Schreiben eines Parteimitglieds erhalten. Darin seien „Beobachtungen rund um die Geschäftsstelle“ geschildert worden. Da man den Inhalt „rechtlich nicht eindeutig“ habe bewerten können, habe man das Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. „Daraus womöglich resultierende Fragen beantwortet der Kreisvorstand der Staatsanwaltschaft gerne, soweit ihm dies möglich ist“, heißt es in der Mitteilung. Deshalb könne man „zum Urheber des Schreibens und dessen Inhalt“ keine weiteren Angaben machen.
Der Kreisverband teilt darüber hinaus mit, die CDU habe für den Kreisverband Mannheim infolge dieses Schreibens mit Blick auf das Parteiengesetz eine vorsorgliche Anzeige beim Deutschen Bundestag veranlasst, „weil mögliche Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht des Kreisverbandes nicht ausgeschlossen werden können, bislang aber auch nicht nachgewiesen sind“. Zur Frage, inwieweit das besagte Schreiben des CDU-Mitglieds Grund für die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens war, ist am Mittwoch nichts zu erfahren. Die Staatsanwaltschaft hatte schon im Oktober ein sogenanntes Vorprüfungsverfahren gegen Löbel eingeleitet.
Im Herbst 2020 hatten Gerüchte die Runde gemacht, wonach es bei der Untervermietung der CDU Mannheim an die Löbel Projektmanagement GmbH Unregelmäßigkeiten gebe. Der „MM“ beantragte deshalb Einsichtnahme in die Geschäftsberichte und Verträge. Dies lehnte die CDU Mannheim mit dem Verweis auf den Datenschutz ab. Die beiden Mitglieder des Kreisvorstandes, Chris Rihm und Andreas Pitz, durften dagegen in die Unterlagen schauen. Sie erkannten trotz vieler Schwärzungen so viel, dass sie unmittelbar danach ihre Ämter niederlegten. Pitz sagte dem „MM“ im Anschluss, er habe Dinge gesehen, von denen er nicht ausschließen könne, dass sie strafrechtlich relevant seien. Rihm und Pitz galten bei den Löbel nahe stehenden Parteimitgliedern fortan als Buhmänner.
„Ungewöhnlich, aber zulässig“
Beide vermieden, das Gesehene konkreter zu schildern, um sich juristisch nicht angreifbar zu machen. CDU-Fraktionschef Claudius Kranz sagte dem „MM“ kürzlich, dass man sich seit Herbst sage: „Es kann nicht sein, dass Herr Pitz eine solche Behauptung aufstellt, ohne dass er eine konkrete Vermutung hat.“ Seiner Meinung nach könnte es sein, dass „im Kontext der ,MM’-Anfrage“ an die CDU, in die Bücher schauen zu dürfen, die Zahlung der Miete erfolgte. Löbel habe damals zu ihm gesagt: „Wir haben das abgeschlossen, ich habe das bezahlt, und gut ist.“ Kranz: „Wenn man böse ist, könnte man sagen: Es gab keinen Vertrag, sondern er wurde rückdatiert. Darüber habe ich aber keinerlei Kenntnis.“
In der Kreisgeschäftsstelle hat die Junge Union (JU) Räumlichkeiten von der CDU Mannheim gemietet. Mieter war bis vor kurzem auch Nikolas Löbel – als Bundestagsabgeordneter mit seinem Wahlkreisbüro (in dem sein persönlicher Referent Thomas Hornung arbeitete) und als Unternehmer für seine GmbH. In diesem Büro verrichtete Löbel auch seine Abgeordnetenarbeit.
In seinem Gutachten bezeichnete es Ralph Landsittel im Oktober als für die Öffentlichkeit eventuell ungewöhnlich, dass Löbel für seine GmbH mit dem CDU-Kreisverband in Person von Kreisgeschäftsführerin Mareike Pilz einen Vertrag mit jährlicher Bezahlung der Miete abgeschlossen hatte. Es sei, so Landsittel, aber zulässig. Ein Schaden ist dem Kreisverband aufgrund der heutigen Null- und Negativzinsphase durch die jährliche Zahlung laut dem Juristen nicht entstanden.
Anhaltspunkte für Rechtsverstöße sah Landsittel in seinem Gutachten nicht. Auf die Frage dieser Redaktion, wie sich seine Einschätzung mit dem nun eingeleiteten Ermittlungsverfahren vertrage, verweist Landsittel am Mittwoch auf seinen Prüfgegenstand. „Der mir vom Kreisvorstand erteilte Auftrag bezog sich ausschließlich auf die Mietverhältnisse. Die Vergütung von Personal und einer ,dem Beschuldigten zuzurechnenden GmbH’ war nicht Gegenstand meines Auftrags. Folglich habe ich hierzu auch keine Feststellungen getroffen“, erklärt Landsittel. „Mir lag der Untermietvertrag zwischen dem Kreisverband Mannheim und der Löbel Projekt Management GmbH vom 15.05.2019 vor. Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückdatierung vorgenommen worden sein könnte, haben sich für mich nicht ergeben.“
Nikolas Löbel war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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