Mannheim. Schon wieder. Die Szenerie an diesem frischen Montagabend weckt Erinnerungen an jenen späten Nachmittag am 31. Mai vergangenen Jahres, an dem Christian Specht und Thomas Strobl (beide CDU) schon einmal vor die Presse getreten sind. Anders als an diesem Abend standen der Oberbürgermeister und der Landesinnenminister damals nicht auf dem Paradeplatz, sondern auf dem Marktplatz.
Nun begleiten Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Specht und Strobl. Und anders als Ende Mai handelt es sich dieses Mal wohl nicht um einen politisch-religiös motivierten Anschlag, sondern um eine Tragödie, die persönlich motiviert scheint, in ihrem Ausmaß und dem Schmerz, den sie verursacht, aber keinen Deut kleiner ist. Im Gegenteil.
Mannheimer Amokfahrt: Ökumenische Andacht für Dienstag angekündigt
Der Oberbürgermeister, sichtlich angefasst, beklagt eine „abscheuliche Tat“, die die Stadt und die hier lebenden Menschen fassungslos zurücklasse. „Weil sie uns überhaupt keinen Hinweis gibt, wie man auf die Idee kommen kann, mit hoher Geschwindigkeit durch Mannheims Fußgängerzone zu fahren.“
Specht spricht damit wohl die Gedanken vieler Mannheimerinnen und Mannheimer aus. Er bedankt sich – wie auch die anderen – bei den Einsatz- und Rettungskräften und informiert über Notfallseelsorge und Bürgertelefon, an das Betroffene sich wenden können (0621/293-6370). Man habe aus dem Anschlag im Mai gelernt, wie wichtig es sei, dass die Stadtgesellschaft eine Möglichkeit habe, „ein solches Ereignis zu verarbeiten“, sagt Specht und kündigt für Dienstagnachmittag eine ökumenische Andacht in der Citykirche Konkordien an.
Das Attentat im Mai. Gerade einmal neun Monate sind seit dem Anschlag auf dem wenige hundert Meter entfernt liegenden Marktplatz vergangen. „Nun stehen wir wieder in Mannheim“, sagt Strobl. Und auch wenn die Hintergründe völlig andere zu sein scheinen, reihe sich die Tat in zu viele in der jüngeren Vergangenheit ein, in denen ein Fahrzeug als Waffe missbraucht worden war. „Wir werden absolute Sicherheit niemals geben können. Wir können unsere Innenstädte nicht zu umzäunten Festungen machen“, erklärt der Innenminister.
Innenministerin Faeser zu Amokfahrt: „Horror am helllichten Tag“
Absolute Sicherheit – häufig ist an diesem Abend jene Formulierung zu hören, die mehr Wunsch als Realität ist, wie der Montagmittag einmal mehr gezeigt hat. Noch am Sonntag glich die Stadt einem solchen Hochsicherheitstrakt, in dessen Grenzen Narren fröhlich und friedlich gefeiert haben. Am Tag danach gibt es keine Poller. Keine Lastwagen als Barrieren. Keine Zäune. Warum auch? Es sind keine Großveranstaltungen geplant. Bis 12.14 Uhr ist es ein normaler, sonniger und ruhiger Rosenmontag in Mannheim, so wie ihn die Stadt schon zig-Mal erlebt hat. Die Tat, erklärt Strobl, stehe aber nicht in Zusammenhang mit der Fasnacht.
Der Oberbürgermeister hofft nun, dass über die Motive der Tat „schnell“ Klarheit herrscht, um daraus Schlüsse zu ziehen, die notwendig seien, um Taten wie diese „unwahrscheinlicher“ zu machen. „Verhindern werden wir sie nie können, aber sie weniger wahrscheinlich machen“, sagt Specht.
Es sei „schwer zu ertragen und auszuhalten“, was passiert ist, konstatiert Ministerpräsident Kretschmann. „Ich wünsche der Bürgerschaft, dass sie das aushalten kann.“ Bundesinnenministerin Faeser spricht ebenfalls von einer „fürchterlichen Gewalttat“, von einem „Horror am helllichten Tag“. Ermittlungsbehörden würden alles tun, um die Hintergründe aufzuklären.
Vertreterinnen und Vertreter der Behörden kommen am Abend im Präsidium zusammen, um die Öffentlichkeit über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer war während der Tat selbst auf den Planken unterwegs, wie sie erzählt. Minutiös schildert sie, wie um 12.14 Uhr erste Notrufe das Präsidium erreicht haben und wie rasch klar wurde, dass es sich um keinen normalen Verkehrsunfall handelt. „Es hat sich schnell herauskristallisiert, dass hier eine gezielte Fahrt mit einem kleinen Pkw durch die Innenstadt erfolgt ist und dass bewusst mehrere Personen erfasst worden sind“, erklärt die Polizeipräsidentin.
Verdächtiger soll „irre“ Geschwindigkeit gehabt haben
Zwölf Minuten nach dem ersten Notruf finden Beamte das Tatfahrzeug verlassen vor. Um 12.43 Uhr wird etwas mehr als einen Kilometer vom Tatort entfernt die Festnahme des Tatverdächtigen bestätigt. Bilder zeigen einen verbeulten Kleinwagen in der Nähe des Arbeitsgerichts. Auch die Risse in der Windschutzscheibe zeugen von dem, was wohl passiert ist. Mit einer „irren“ Geschwindigkeit soll der Verdächtige zuvor über die Planken gerast sein, berichten die Ermittler.
Ein Taxifahrer soll das Auto des mutmaßlichen Täters gestoppt haben, kolportieren zum Zeitpunkt der Pressekonferenz am Abend mehrere Medien. Polizeipräsidentin Schäfer sowie die ebenfalls anwesenden Romeo Schüssler, Leitender Oberstaatsanwalt, und LKA-Präsident Andreas Stenger äußern sich dazu zurückhaltend. Die Information wird weder dementiert noch bestätigt.
Bestätigt wird hingegen ein Schuss. So erklärt Stenger – früher Präsident des Mannheimer Polizeipräsidiums –, dass sich der Verdächtige vor der Festnahme mit einer Schreckschusswaffe in den Kopf geschossen hat. Weitere Schüsse, von denen über den Tag hinweg Gerüchte erzählt haben, können die Ermittler hingegen nicht bestätigen. Auch gebe es bislang keine Hinweise auf einen möglichen Auslöser der Tat.
Rätsel um Zettel in Auto
Auch zu einem Zettel, der möglicherweise im Tat-Auto gefunden worden sein soll und über den am Montag berichtet wird, äußern sich die Ermittler nicht. Ihr sei zu einem Zettel nichts bekannt, sagt Präsidentin Schäfer. „Wenn es einen Zettel gab, werden wir das herausfinden, auch was da drauf steht und ob das relevant ist“, fügt Stenger hinzu.
Am Dienstagvormittag berichtet die dpa ebenfalls von dem Zettel, der eine Formel zu Reaktionsweg, Bremsweg und Anhalteweg zeigen soll. Im linken unteren Ende findet sich laut dpa eine Zeichnung mit einem Fahrzeug und einer Person davor sowie Pfeile, die nach links und rechts zeigen. Die Ermittler messen diesem Fund jedoch keine so große Bedeutung bei: Der Inhalt stelle wohl die Überlegungen des Verdächtigen vor der Tat dar, heißt es.
Der Festgenommene sei bislang „nicht in nennenswertem Umfang“ strafrechtlich in Erscheinung getreten, informiert indes Schüssler auf der PK im Präsidium. Später präzisiert er auf Nachfrage, dass der Verdächtige unter anderem wegen einer Trunkenheitsfahrt und einer Körperverletzung, für die er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, vorbestraft sei. Seine letzte Straftat seien Hasskommentare auf sozialen Medien gewesen und läge bereits rund sieben Jahre zurück.
Ermittlungen wegen Mordes und versuchtem Mordes
Nun wird gegen den 40-jährigen Landschaftsgärtner aus Ludwigshafen wegen zweifachen Mordes und mehrfach versuchten Mordes ermittelt. Es gebe Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Verdächtigen, erklären die Ermittler. Auch eine Hausdurchsuchung soll keine Hinweise auf ein politisches Motiv geliefert haben.
Unklar ist über den Tag hinweg die genaue Zahl der Verletzten. Die wird zunächst mit mehr als 20 angegeben, später am Tag ist mal von zehn, mal von elf oder zwölf die Rede. Am Abend wird offiziell von elf Verletzten gesprochen – davon mehrere schwer. Ob und inwieweit noch Lebensgefahr besteht, können die Ermittler am Abend nicht sagen. Unzählige weitere Passanten dürften zwar keine körperlichen Verletzungen haben, aber womöglich anderweitig traumatisiert sein. Für sie bietet die Opferhilfe Unterstützung an. Ein 54-Jähriger und eine 83-Jährige sterben am Rosenmontag auf den Planken.
Und so bleibt am Montagabend vieles noch unklar. Das macht das Geschehene wohl noch unbegreiflicher. „Wir können heute einfach nur traurig sein und Anteil nehmen“, hatte Ministerpräsident Kretschmann auf dem Paradeplatz gesagt.
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