Amokfahrt

Amokfahrt in Mannheim: Politisches Motiv nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich

Im Landtag wird am Mittwoch über die Amokfahrt in Mannheim diskutiert. Dabei geht es vor allem um die Frage nach dem Motiv.

Von 
Sebastian Koch
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Mit diesem Auto soll Alexander S. zwei Menschen auf den Planken getötet haben. © Michael Ruffler

Mannheim. Etwas mehr als zwei Wochen sind vergangen, seit ein Autofahrer über die Planken gerast ist, dabei zwei Menschen getötet und 14 weitere teilweise schwer verletzt hat. Noch immer gibt es viele offene Fragen zum Umfeld des Festgenommenen Alexander S. und vor allem zum Motiv für die Tat am Rosenmontag.

Mit diesen Fragen hat sich am Mittwochnachmittag der Innenausschuss des Landtags befasst. 90 Minuten lang stellen sich Innenminister Thomas Strobl (CDU), der Präsident des Landeskriminalamts (LKA), Andreas Stenger, und der Leitende Oberstaatsanwalt Romeo Schüssler den Fragen der Mitglieder des Ausschusses. Nach anderthalb Stunden ist klar: Viele neue Erkenntnisse gibt es nicht. Die Ermittlungen sind umfangreich, sie laufen, das betonen die Verantwortlichen vielfach, auf Hochtouren und – in alle Richtungen. Das wird vor allem Strobl nicht müde zu betonen.

Der Minister fühlt sich missverstanden. Noch am Montagabend, wenige Stunden nach der Tat– bei der ein 54-Jähriger und eine 83-Jährige getötet worden sind –, hatten die Ermittler erklärt, sie vermuten die Gründe in psychischen Problemen von Alexander S.. Hinweise auf ein politisches Motiv gebe es nicht, hieß es damals. Die daraus folgende Interpretation, Ermittler würden ein politisch-extremistisches Motiv ausschließen, sei aber gänzlich falsch, sagt Strobl. Hinweise auf mögliche Kontakte des Täters ins rechtsextreme Milieu seien bekannt und stünden im Fokus der Ermittlungen. Auch deshalb sei der Staatsschutz involviert, sagte Strobl.

CDU-Innenminister Strobl weist Kritik zurück

Der CDU-Politiker zitiert einen nicht näher benannten Presseartikel, wonach er den Verdächtigen als „psychisch krank abgestempelt“ und sich wenig für dessen rechtsextremistischen Hintergrund interessiert hätte. „Das weise ich in aller Deutlichkeit und in aller Schärfe zurück“, erklärt der Innenminister. Es handle sich hierbei um eine Unterstellung, die jeglicher Substanz entbehre. „Keiner der Verantwortlichen – weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Polizei– hat bis jetzt ein politisches Tatmotiv ausgeschlossen.“ Strobl, Stenger und Schüssler werden dies in der Diskussion mehrfach wiederholen.

Die Ermittlungen ziehen also ausdrücklich auch rechtsextreme Motive in Betracht. Allerdings: Bis heute liegen laut Schüssler „keine konkreten Hinweise“ für eine solche oder eine anderweitig politisch oder religiöse Motivation vor. „Das heißt aber nicht, dass wir das ausschließen.“

Alexander S. war seit Jahren psychisch auffällig und in Behandlung. Zudem soll er bei seiner Festnahme Polizisten gebeten haben, ihn zu erschießen. Details über eine Diagnose gibt Schüssler am Mittwoch nicht bekannt. „Wir wissen aber, dass er Medikamente verschrieben bekommen hat, die er zur Tatzeit nicht eingenommen hat.“

Am Rosenmontag waren zahlreiche Einsatzkräfte auf den Planken im Einsatz. © Michael Ruffler

Strobl informiert zudem darüber, dass sich die Bundesanwaltschaft über die Ermittlungen informiert habe. Zuletzt habe sie Anfang dieser Woche zum wiederholten Male davon abgesehen, die Ermittlungen an sich zu ziehen. Das passiert nur in schwerwiegenden Fällen, die den Staatsschutz beeinträchtigen, die die innere und äußere Sicherheit gefährden könnten – etwa bei einer politischen Straftat wie dem Messer-Attentat von Mannheim am 31. Mai vergangenen Jahres.

Die Debatte um die Motivlage hatte Fahrt aufgenommen, nachdem die Online-Plattform Exif Verbindungen von Alexander S. in rechtsextreme Kreise öffentlich gemacht hatte. Der 40 Jahre alte Deutsche war außerdem unter anderem vorbestraft, weil er 2018 auf sozialen Medien unter ein Bild, das Adolf Hitler zeigt, „Sieg Heil from Germany“ kommentiert hatte.

Verdächtiger Alexander S. besaß mehrere Waffen

LKA-Chef Stenger räumt auf Nachfrage aus dem Ausschuss ein, dass den Behörden die Verbindung von Alexander S. zur Gruppe „Ringbund“ vor dem Artikel zunächst nicht bekannt gewesen sei. Die von Neonazis und Reichsbürgern geführte „lokale Organisation“ sei laut Stenger in Bayern aktiv, in Baden-Württemberg oder bundesweit spiele sie dagegen keine Rolle. Ermittlungen hätten nun das Ziel, zu klären, wie stark Alexander S. in die Strukturen der Gruppe eingebunden war. Andere Erkenntnisse, etwa die Teilnahme von Alexander S. an Versammlungen von Rechtsextremen und Reichsbürgern, sowie einschlägige Fotos in sozialen Netzwerken seien hingegen bereits vor der Exif-Recherche bekannt gewesen.

Der Täter war Ermittlern zufolge im Besitz mehrerer Waffen. So soll Alexander S. nicht nur eine Schreckschusswaffe besessen haben, mit der er sich bei der Festnahme in den Mund geschossen hat, wie Strobl bestätigte. Man habe auch ein Luftgewehr sichergestellt. Für den Besitz beider Waffen benötige es keine Erlaubnis – allerdings dafür, die auch in der Öffentlichkeit zu führen. Diese Erlaubnis hatte Alexander S. nicht.

Die Abgeordneten informieren sich in mehreren Fragerunden über den Stand der Ermittlungen. So will der Mannheimer Boris Weirauch (SPD) etwa wissen, ob der Notfall mithilfe der Videoüberwachung oder erst durch Notrufe erkannt worden sei – beides sei gleichzeitig geschehen, antwortet Stenger. Andere wollen unter anderem wissen, ob Alexander S. bereits in Nähe der Planken war, bevor er um 12.14 Uhr auf diese eingebogen sein soll (das sei Gegenstand der Ermittlungen, indem etwa Handydaten ausgewertet werden, erklärt Stenger), ob sich Alexander S. inzwischen geäußert habe – das ist nicht der Fall – oder ob er auch nach seiner letzten Verurteilung 2018 auffällig gewesen sei, woraus sich eine Gefahr hätte ableiten können. Das verneint Stenger.

Kontroverse bei Diskussion über Einsatzkonzept

So war Alexander S. zwar auch bereits 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das damalige Opfer aber hätte aus seinem Umfeld gestammt und sei nicht zufällig ausgewählt worden, erklärt der LKA-Chef. Und Minister Strobl stellt klar: „Es hat nichts gegeben, was auf eine solche Tat hätte hindeuten können.“

Kontrovers wird die Debatte bei Nachfragen zum Einsatzkonzept der Polizei. So will Weirauch unter anderem auch wissen, ob die Planken am Tattag stärker geschützt gewesen seien. Schließlich sei Rosenmontag gewesen und sowohl am Tag zuvor als am Tag darauf in Mannheim Straßenfasnacht. Am Montag selbst hatte zudem der Fasnachtsmarkt stattgefunden.

Strobl verteidigt das Einsatzkonzept und die Polizei gegen die „Schärfe der Fragen“, die vermuten lassen könnten, „dass da irgendetwas schiefgelaufen ist“, antwortet er im Laufe der Diskussion. Der Innenminister bescheinigt den Einsatzkräften mehrfach eine „exzellente“, „erstklassige“ und „nicht zu beanstandende“ Arbeit, etwa durch schnelles Eingreifen. „Ich fände es nicht in Ordnung, wenn hier der Eindruck entstünde, dass das in irgendeiner Art und Weise diskreditiert wird.“

„Mannheim ist extrem belastet“

Das wiederum kritisiert Weirauchs Fraktionskollege Sascha Binder. Fragen zum Einsatzkonzept dürften ja noch erlaubt sein. „Wenn das nicht mehr erlaubt ist, frage ich mich, welche Rolle das Parlament noch spielen soll“, kritisiert Binder. Strobl entgegnet, dass Fragen selbstverständlich zulässig seien. „Es ist dem Innenminister aber auch unbenommen, es zurückzuweisen, wenn er den Eindruck hat, dass Einsatzkräfte diskreditiert werden sollen.“ Strobl sieht „keine Veranlassung“, das Konzept zu kritisieren.

Die Mannheimer Grünen-Abgeordnete Susanne Aschhoff – sie darf als lokale Abgeordnete dem Ausschuss beiwohnen – verweist auf das hohe Aufkommen politischer Veranstaltungen in Mannheim und will wissen, inwieweit die Stadt zur Bewältigung dieser Herausforderungen mit der Unterstützung des Landes rechnen könne. Strobl gibt Aschhoff recht. „Mannheim ist auch durch ein intensives Demonstrationsgeschehen extrem belastet.“ Der Innenminister sichert dem Polizeipräsidium weiterhin Unterstützung zu, falls diese angefordert werde.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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