Kriminalität

Amokfahrt in Mannheim: Was bislang bekannt ist

Zum Wochenende hin verdichten sich Hinweise auf eine psychische Erkrankung als Motiv des mutmaßlichen Mannheimer Amokfahrers. Trotzdem sind viele Fragen offen.

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Sebastian Koch
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Mit diesem Auto soll Alexander S. am Montag auf den Planken zwei Menschen getötet und weitere teilweise schwer verletzt haben. © Michael Ruffler

Genau eine Woche wird am Montag vergangen sein, seit ein Autofahrer auf den Planken in Mannheim zwei Menschen getötet, mindestens elf weitere zum Teil schwer verletzt und viele verängstigt, schockiert und verunsichert hat.

Oberbürgermeister Christian Specht und das Forum der Religionen laden am Montag um 12.14 Uhr zu einem interreligiösen Gebet auf dem Paradeplatz ein, um der Toten zu gedenken, für die Verletzten zu beten und sich gegenseitig Trost zu spenden. Die seit Dienstag am Plankenkopf stationierte Notfallseelsorge soll aufgrund der großen Nachfrage über das Wochenende zwischen 11 und 17 Uhr ansprechbar bleiben, teilte die Stadt mit.

Mannheimer Oberbürgermeister will mit Gebet nach Amokfahrt Menschen zusammenbringen

Nach dem „schrecklichen Ereignis vom Montag“ habe sich gezeigt, dass staatliche Institutionen „sehr gut“ funktionieren und reibungslos mit privaten Organisationen zusammenarbeiten würden, sagte Oberbürgermeister Christian Specht am Freitagabend dieser Redaktion. „So konnten wir Schlimmeres verhindern und die körperlich und seelisch Verletzten versorgen.“ Das Stadtoberhaupt hofft, mit dem Gebet am Montag Menschen jeder Herkunft und Glaubensrichtung zusammenzubringen. „So können wir die Gemeinschaft in unserer Stadt weiter stärken.“

12.14 Uhr. Zu dieser Zeit ist der erste Notruf eingegangen. Zwei Tote und mehrere Schwerverletzte fordert die Fahrt, die schließlich ein Taxifahrer heldenhaft stoppt. A. Muhammad sagt am Mittwoch, er sei kein Held, sondern einfach ein Mannheimer Muslim.

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Knapp eine Woche nach der Fahrt sind noch viele Hintergründe unklar. Hinweise verdichten sich aber, wonach der festgenommene Alexander S. psychisch labil war. Die Vermutung einer Amokfahrt drängt sich auf. Vielleicht sogar ein versuchter erweiterter Suizid? Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstagabend dieser Redaktion, dass der 40-Jährige bei seiner Festnahme Polizistinnen und Polizisten aufgefordert haben soll, ihn zu erschießen. Schließlich habe er sich mit seiner mitgeführten Schreckschusswaffe selbst in den Mund geschossen. Er überlebt. Die für das Führen einer Schreckschusswaffe nötige Erlaubnis besaß er nicht, erklärte die Sprecherin weiter.

Mutmaßlicher Mannheimer Amokfahrer Alexander S. wurde in eine JVA gebracht

Mit Verweis auf laufende Ermittlungen kommentiert sie am Freitag weitere Fragen dieser Redaktion indes nicht, etwa ob ein Abschiedsbrief vorliegt oder es Hinweise darauf gibt, wann Alexander S. den Entschluss gefasst haben soll, sich erschießen zu lassen – vor der Tat oder erst vor der Festnahme? Am Mittwoch hatten LKA und Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass bei Alexander S. „seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung“ vorliegen soll. Ob er sich bereits im vergangenen Jahr hatte das Leben nehmen wollen, wie berichtet wird, kommentiert die Sprecherin am Freitag ebenfalls nicht.

Sein Gesundheitszustand sei jedenfalls trotz des Schusses „so stabil“ gewesen, dass er bereits einen Tag nach der Festnahme das Krankenhaus verlassen konnte. Alexander S. wurde in eine Justizvollzugsanstalt überführt – nicht in eine psychiatrische Einrichtung. Zwar gehen die Behörden von einem psychischen Motiv aus. Das aber bedeute nicht automatisch, dass der Verdächtige schuldvermindert oder gar schuldunfähig gehandelt haben könnte, erklärt die Sprecherin. Diese Feststellung wäre für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung nötig. „Um hierzu genauere Feststellungen treffen zu können, werden wir ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag geben.“

Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste waren am Montag mit starken Kräften auf den Planken im Einsatz. © Michael Ruffler

Gegen Alexander S. liegt ein Haftbefehl wegen Mordes in zwei Fällen, versuchten Mordes in fünf Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in elf Fällen vor. Auch am Freitag hat er sich laut Sprecherin zu den Vorwürfen noch nicht geäußert. Zudem halten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt an der Annahme fest, dass kein politisches Motiv zugrunde liegt.

Frankfurter Jurist kritisiert frühe Festlegung auf psychisches Motiv

Trotz der Hinweise auf eine psychische Motivation wirft der Fall auch politische Fragen auf. Warum konnte Alexander S., der eine rechtsextreme Vergangenheit hat, in der Öffentlichkeit eine Schreckschusswaffe mit sich führen? Wie hängen seine psychische Gesundheit und das Umfeld, in dem er sich bewegt hat, miteinander zusammen? Hat jenes Umfeld möglicherweise dazu beigetragen, dass der psychisch wohl labile Alexander S. sich politisch radikalisiert haben könnte? Und spielt das für die spätere Tat überhaupt eine Rolle?

Alexander S. soll in Gruppen verkehrt haben, die dem Rechtsextremismus und den Reichsbürgern zugeordnet werden. 2018 war er vom Amtsgericht Weinheim wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt worden, erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Donnerstagabend weiterhin. Demzufolge hat er auf Facebook unter einem Bild, das Adolf Hitler zeigt, die Parole „Sieg Heil from Germany“ gepostet. In einem in rechtsextremen Kreisen beliebten sozialen Netzwerk sind Bilder zu finden, die Alexander S. mit einem Gewehr im Anschlag und anderen Waffen zeigen sollen.

Bereits im Herbst 2010 war er wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem wurde eine verminderte Schuldfähigkeit festgestellt. Ob die Tat allerdings einen Bezug zum Rechtsextremismus hat, ist nicht bekannt.

Behörden und Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) hatten bereits am Montagabend von einem psychischen Motiv gesprochen und erklärt, ein politischer Hintergrund und ein Zusammenhang mit der Fasnacht sei unwahrscheinlich. Das „überrascht“ angesichts der Vergangenheit von Alexander S. etwa den Strafrechtler Matthias Jahn von der Universität Frankfurt. Es könne noch nicht klar sein, ob ihn nicht doch auch ein politischer Beweggrund motiviert habe, sagte er dem ZDF. Deshalb sei diese „sehr frühe Festlegung doch irritierend“. Der Leitende Oberstaatsanwalt Romeo Schüssler entgegnete: „Alleine, dass jemand Verbindungen hat, spricht ja noch nicht für eine entsprechende Motivation.“ Auch der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch hatte gegenüber dieser Redaktion davor gewarnt, politische Motive zu früh auszuschließen.

Landesinnenminister Thomas Strobl (2. v. l.) – hier mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (v. l.), Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht – sprach bereits am Montagabend von einem psychischen Motiv für die Tat. © Michael Ruffler

Die Behörden verweisen darauf, mögliche Verbindungen und Hinweise zu prüfen. „Für die konkrete Tat“ aber lägen derzeit keine Hinweise auf politische Hintergründe vor, „sondern vielmehr eine psychische Erkrankung“, hatte eine Sprecherin des LKA am Mittwoch dieser Redaktion gesagt. Auch bislang gesichtete Dokumente und andere Asservate würden dies untermauern. Daran hat sich bis zum Wochenende offenbar nichts geändert.

Polizeipräsidium Mannheim weist Kritik zurück

Die Tat geschah am Rosenmontag. Fasnacht. Viel wurde vor diesen Tagen über mögliche Anschläge spekuliert, viel vor solchen gewarnt. Und auch wenn die Tat vermeintlich nichts mit Fasnacht zu tun zu haben scheint, wie Strobl bereits am Abend gesagt hatte – hätte sie durch eine größere Polizeipräsenz und ein umfangreicheres Sicherheitskonzept verhindert werden können? Schließlich gab es mit dem Fasnachtsmarkt eine Fasnachts-Veranstaltung in der Innenstadt. Das jedenfalls fragen sich Leser in Schreiben an diese Redaktion.

Das Polizeipräsidium weist diese Kritik zurück. Neben intelligenter Videoüberwachung in weiten Teilen der Innenstadt und Konzepten für ein schnelles Eingreifen würden Streifen auf den Planken wiederholt Präsenz zeigen – rund um die Fasnachtstage auch am Fasnachtsmarkt, erklärt eine Sprecherin des Präsidiums am Freitagmorgen dieser Redaktion.

Für eine dauerhafte Präsenz am Montag hätten aber Hinweise oder Erkenntnisse gefehlt, „aus welchen sich eine konkrete Gefährdung“ ableiten ließen, erläutert die Sprecherin. Auch habe man mit keinem „besonders hohen Besucheraufkommen“ rechnen müssen– im Gegensatz etwa zum Sonntag, an dem der Fasnachtsumzug in der Innenstadt mit etwa 250.000 Menschen stattgefunden hat. An diesem Tag war die Zufahrt auf die Planken etwa durch Lkw-Barrieren geschützt.

Ein Sprecher des Landesinnenministeriums teilt gegenüber dieser Redaktion die Einschätzung des Präsidiums. Zwar geht das Ministerium weiterhin von einer „hohen abstrakten Gefahr dschihadistisch motivierter Gewalttaten“ aus, erklärt er. „Den Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg lagen aber weder vor der Fastnacht noch liegen aktuell Erkenntnisse oder Hinweise vor, aus denen sich eine konkrete Gefährdung durch einen Anschlag in Baden-Württemberg ableiten lässt.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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