Mannheim. Die Stadt ist noch ganz jung, gar nicht fertig gebaut – und wird schon wieder niedergebrannt, kaputtgeschossen, die Bewohner vertrieben: Vor 400 Jahren erlebt Mannheim seine erste Zerstörung, der – bis zum Zweiten Weltkrieg – noch viele weitere folgen. Ende September 1622 ist es der berüchtigte General der Katholischen Liga, Johann Tserclaes Graf von Tilly, der im Dreißigjährigen Krieg die damals als protestantisches Bollwerk geltende Festung belagert und dann einnimmt.
Ein Besuch in der Stadtgeschichtlichen Ausstellung „Typisch Mannheim!“ im Marchivum zeigt es eindrucksvoll. Gerade erst 1607 gegründet, sind die Quadrate nur zu etwa einem Drittel bebaut. Rund 1200 Menschen leben hier, meist noch von Landwirtschaft und Fischerei außerhalb der Stadtmauern. Aber der Kurfürst will die Friedrichsburg über ihre militärische Bedeutung hinaus als überregionalen Handelsplatz ausbauen. 1608/09 hat er eine Münze gegründet, 1613 die Marktprivilegen bewilligt und damit den Maimarkt gegründet.
Einnahme Mannheims hatte Symbolkraft
Als 1618 der Dreißigjährige Krieg ausbricht, sind von den acht Bastionen der Mannheimer Festung aber vier noch nicht ausreichend befestigt. Doch der pfälzische Kurfürst Friedrich V. hat ihn den Krieg mit der Annahme der böhmischen Königskrone 1619 „mit verursacht“, weshalb er – als „Winterkönig verspottet – nicht nur seine Macht verliert. Er habe damit auch „seine kurpfälzischen Stammlande fast an den Abgrund“ geführt, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. „Symbolhaft steht dafür auch die Einnahme Mannheims durch die kaiserlich-ligistischen Truppen unter ihrem Heerführer Tilly im Herbst 1622“ so Nieß. „Das war weit mehr als nur ein bedeutender militärischer Erfolg“, betont er.
Der zeichnet sich früh ab. Schon am 1. Juli 1622 beginnen die Truppen der Katholischen Liga mit der Belagerung Heidelbergs, die Residenz des – längst geflohenen – protestantischen Pfalzgrafen. Erst nehmen sie den Dilsberg ein, am 16. September Heidelberg, am 20. September das Schloss. Es folgen Plünderungen – so werden die kostbaren Handschriften entwendet und später dem Vatikan zum Geschenk gemacht – und die Rekatholisierung.
Nun marschieren die Soldaten Richtung Mannheim, dem hohe Bedeutung zukommt. Schon am 28. Juni 1620 hat, so ist es Unterlagen im Marchivum zu entnehmen, König Philipp III. aus Madrid an seinen Generalkapitän Ambrosio Spinola in Brüssel einen Invasionsplan geschickt, in dem an erster Stelle die Eroberung von Mannheim steht.
Schwachstellen erkannt
Seine Männer leisten von der Pfalz aus die nötige Vorarbeit, erobern bereits im Sommer 1622 linksrheinisches Gebiet. Bei Neckarau ist bereits seit August in Reiterregiment der katholischen Liga stationiert. Vom Elsass aus stößt im September das Heer des Erzherzogs Leopold von Österreich dazu, ferner vom Bischof von Speyer angeworbene Schanzarbeiter. Mannheim wird also in die Zange genommen.
Tilly weiß, warum er sich beeilen muss. Kommt erst der feuchte Herbst, würden seine Reiter und Männer im Morast vor der Festung versinken. Nun aber profitiert er noch vom sehr trockenen Sommer – die Wasserstände von Rhein und Neckar sind niedrig, die Flüsse bieten also der befestigten Stadt keinen ausreichenden Schutz. „Tilly hatte die Schwachstellen der Verteidiger erkannt und entschloss sich zu einem unverzüglichen Vorgehen“, schreibt der Speyerer Archivar Franz Maier, der sich für die Mannheimer Stadtgeschichte mit dem General und der Schlacht befasst hat.
Am 22. September setzen österreichische Truppen bei Neckarau über den Rhein, Tilly lässt gleich darauf die Burg Eichelsheim – beim heutigen Lindenhof gelegen – angreifen. Die Besatzung der Burg kann sich zwar gerade noch mit Munitionsvorräten in die Festung zurückzuziehen. „Den beim Abzug gelegten Brand konnten die ligistischen Soldaten jedoch schnell löschen, so dass sie jetzt mit Eichelsheim einen gut befestigten Stützpunkt zum weiteren Angriff auf die Festung in der Hand hatten“, schildert Maier den Ablauf.
In der Festung Mannheim hat General Horace de Veer, der englische Kommandeur, das Sagen. Seine Soldaten sind zur Verstärkung der pfälzischen Truppen in der Festung, gemeinsam handelt es sich aber um gerade mal 1400 Soldaten.
Den Hauptangriff auf Mannheim startet Tilly vom nördlichen Neckarufer aus, mehrere Geschützbatterien nehmen die Stadt ins Visier. Der Festung vorgelagerte Schanzen, die Mühlauinsel und der – im heutigen Jungbusch gelegene – Friedhof werden schnell eingenommen. „Angeblich hatte eine übergelaufene Schildwache der Mannheimer Garnison den Bayern verraten, dass sich hier die schwächste Stelle der Befestigung befand“, heißt es in der Stadtchronik. Trotz des heftigen Beschusses sei als einziges Todesopfer eine Frau zu beklagen, der durch eine Kanonenkugel der Kopf weggerissen worden sei.
Nun werden die Angriffe immer heftiger, und da es kaum regnet, können die Angreifer wegen des niedrigen Wasserstands der Flüsse ihre Geschütze nah an der Festung postieren. Nach längerer Belagerung fällt am 18. Oktober die Stadt in Hände der Männer des Generals von Tilly. Viele Bewohner der Stadt versuchen, in die – innerhalb der Stadtmauern ja noch mal eigens gesicherte – Festung Friedrichsburg zu fliehen, die noch den Belagerern standhält. General Horace de Veer will verbrannte Erde hinterlassen, lässt die Häuser – meist Fachwerkhäuser mit Strohdächern – in Brand setzen. „Die meisten Bäu, ausgenommen etliche neue steinerne, welche nit brennen“, so eine zeitgeschichtliche Schilderung, seien dabei in Asche gelegt worden.
Spielball der Mächte
Der englische Kommandeur merkt aber, dass er auch die enge Festung – wo die Bürger unter freiem Himmel lagern, Medikamente und andere Vorräte knapp werden – nicht mehr lange halten kann. Ab 30. Oktober führt General Horace de Veer mit General Tilly drei Tage lang Kapitulationsverhandlungen, fordert für seine Männer einen ehrenvollen Abzug – der wird auch gewährt, „mit klingendem Spiel“, heißt es sogar.
Ab 4. November zieht General Tilly in die eroberten Festung ein. Ob seine Männer geplündert, gemordet und vergewaltigt oder, wie eigentlich verabredet, die verbleibenden Mannheimer wie verabredet weitgehend geschont haben, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen in den Chroniken. Ruhe hat die Stadt ohnehin nur wenige Jahre.
Ab 1629 folgen im Zuge des Dreißigjährigen Krieges immer mal wieder Schlachten, etwa schwedischer und kaiserlicher Truppen. Mannheim sei „Spielball und Geisel wechselnder Mächte“, so das Marchivum. „Als endlich 1648 der Friede besiegelt wurde, war Mannheim ein einziger, nahezu menschenleerer Trümmerhaufen“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. Der, so Nieß, „rasante Wiederaufstieg“, sei dann „vorwiegend einer ungewöhnlichen Migrations- und Steuerpolitik zu verdanken“, verweist er auf die neuen Stadtprivilegien von Kurfürst Karl Ludwig.
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