Festungen in der Region – das waren meist riesige Anlagen wie Mannheim, Landau, Frankenthal oder Philippsburg, die ganze Städte umschlossen. Waren, denn von ihnen blieb nur wenig erhalten. Es gibt aber auch Miniaturfestungen. Viele dieser kleinen Anlagen hatten Burgen als Vorgänger, so auch Otzberg über dem Ort Otzberg-Hering im Odenwald. Sie wird erstmals 1231 erwähnt. In der Urkunde bestätigt der Pfalzgraf dem Erzbischof von Mainz Absprachen, deren Inhalt in dem Schriftstück aber leider nicht aufgelistet sind. Eventuell geht es darum, handgreifliche Auseinandersetzungen um die Burg zu verhindern, die dem Kloster Fulda gehört.
1390 verkauft die Abtei den Otzberg an die Kurpfalz, die hier ihren am weitesten im Norden gelegenen Stützpunkt etabliert, das Oberamt Otzberg. Doch die mittelalterliche Burg kann modernen Belagerungsmethoden nicht mehr widerstehen. Das zeigt sich 1504, als hessische Truppen im Landshuter Erbfolgekrieg die Burg erobern. Die Kurpfalz zieht die Konsequenzen und veranlasst den Umbau zu einer kleinen Festung.
Platz für Kanonen
Was unterscheidet eine Festung von einer Burg? Klarheit bringt eine Definition in der Zeitschrift der Deutschen Burgenvereinigung: „Im engeren Sinne handelt es sich bei Festungen (…) um Wehrbauten, die zum Einsatz von Feuerwaffen – überwiegend Kanonen – gegen Feuerwaffen konzipiert wurden.“ Der alten Burg wird unter anderem eine zusätzliche Mauer vorgeblendet, dahinter liegt eine breite Plattform zur Aufstellung von Kanonen. Neben dem Graben gibt es weitere Befestigungen im Vorfeld: ein Wall mit Palisade, Geschützstellungen und das „Gebück“, ein Dickicht aus dornenbewehrten Büschen wie zum Beispiel Weißdorn.
Archiv der Kurpfalz
All das verhindert 1622 nicht, dass kaiserliche Truppen während des Dreißigjährigen Kriegs die Anlage erobern, immerhin dauert die Belagerung aber mehrere Wochen. 1647 steht ein französisches Heer unter General Turenne vor den Wällen. Dieser lässt den Kommandanten auffordern, ohne Gegenwehr zu kapitulieren, da er ansonsten „über die Mauern herausgehangen werde“. Der Kommandant, der nur über eine schwache Besatzung verfügt, beeilt sich, diesem drastischen Ultimatum Folge zu leisten.
Nach Kriegsende kommt der Otzberg wieder an Kurpfalz zurück und erfüllt während des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688 bis 1697) eine wichtige Funktion: Hier lagert das kurpfälzische Archiv, das ansonsten wohl mit der Stadt Heidelberg in Flammen aufgegangen wäre. Ab 1711 besteht die Garnison nicht mehr aus aktiven Soldaten, sondern aus Invaliden – ein klares Indiz für die schwindende Bedeutung der Festung, die moderner Artillerie nicht mehr standhalten kann. Ab 1783 dient der Otzberg als Gefängnis. 1789 treten die noch brauchbaren Geschütze die Reise nach Mannheim an, der Rest wird als Schrott verkauft.
1802 löst das Großherzogtum Hessen die Kurpfalz als Besitzer des Otzbergs ab, nach mehreren vergeblichen Anläufen über die Jahrhunderte. Einige Gebäude verfallen ab 1826 dem Abriss, erst Ende des 19. Jahrhunderts stoppt eine Sanierung die Zerstörung. Heute gehört die Festung dem Land Hessen, und seit 2003 kümmert sich die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten darum.
Besucher-Infos
Entfernung von Mannheim: 75 Kilometer
Fahrzeit: etwa eine Stunde
Parken: in Otzberg-Hering, von dort aus kurzer, mäßig steiler Aufstieg
Öffnungszeiten: Außenbereich täglich ab 8 Uhr, Turm dann, wenn Gaststätte geöffnet ist. Gaststätte: Freitag und Samstag ab 12 Uhr, Sonntag ab 10 Uhr
Anschrift: Burgweg 28, 64853 Otzberg
Homepage: https://www.schloesser-hessen.de/de/veste-otzberg
Literatur: Elmar Brohl: Festungen in Hessen, Regensburg 2013; Thomas Biller: Burgen und Schlösser im Odenwald, Regensburg 2005. kba
Der Besucher erreicht nach kurzem, mäßig steilen Anstieg das Festungstor. Der kundige Blick bemerkt die Aussparung in der Mauer, die einst die Zugbrücke aufnahm. Sogar die Rollen, in denen die Ketten liefen, sind noch vorhanden, ebenso die alten Torflügel. Schon von hier fällt der Blick auf das Wahrzeichen der Anlage: den runden Bergfried, vom Volksmund wegen seiner Farbgebung treffend „weiße Rübe“ genannt. Seine Höhe beträgt heute 17 Meter. Ursprünglich hatte der um 1230 errichtete Turm ein Stockwerk mehr, das wohl nach dem Dreißigjährigen Krieg abgetragen wurde. Ob es beschädigt war oder ob man feindlicher Artillerie ein weniger großes Ziel bieten wollte, ist unbekannt.
Wer den Turm besteigen will, muss 75 Stufen bewältigen. Von unten nach oben geht es problemlos. Aber Vorsicht beim Abstieg: Wer den Kopf nicht einzieht, macht unliebsame Bekanntschaft mit der Decke. Trotzdem lohnt die Mühe, denn der Panoramablick ist atemberaubend und zeigt, an welch strategischem Punkt die Wehranlage steht.
Carsten J. Reimers ist der Betreiber des Biergartens, den mächtige Kastanienbäume beschatten. Da die drei intakten Gebäude auf der Burg bald umfassend saniert werden, muss er sich mit einer Verkaufshütte begnügen. Der Pächter macht das Beste daraus, bietet seinen Gästen seit Ostern 2022 Tiroler Spezialitäten, ebenso regionale, „weil es eine hessische Burg ist“. Von Freitag bis Sonntag hat der Biergarten geöffnet. „Und an allen vier Adventswochenenden haben wir einen Weihnachtsmarkt,“ kündigt er an.
Spontan macht Carsten J. Reimers für Interessierte eine Führung. Zuerst die Besichtigung des Brunnenhauses. 50 Meter tief ist der Schacht, „eine technische Meisterleistung“. Der Pächter erzählt, dass ein Erdbeben im 16. Jahrhundert Teile des Brunnens zum Einsturz brachte, der schnellstmöglich saniert wurde. Denn: „Eine Burg ohne Wasser ist sinnlos.“ Das Original-Tretrad von 1788 bewegten Wassertreter, kein erstrebenswerter Beruf. Die Brunnenputzer hatten es ebenfalls nicht leicht. „Das war harte und gefährliche Arbeit, und daher kommt das Sprichwort ‘schaffen wie ein Brunnenputzer’“.
Auch die sanitären Einrichtungen früherer Zeiten spricht Carsten J. Reimers an. Er zeigt auf einen gut erhaltenen Aborterker in der Kasernenruine. Das gemeine Volk benutzte eine außerhalb der Festung gelegene Sickergrube. „Wenn jemand fragte, wo die nächste Burg liegt, sagte man ihm: Immer der Nase nach.“ Der Pächter erzählt von den Invaliden und den Gefangenen, die in den Gebäuden lebten. Unter Letzteren soll auch ein Alchemist gewesen sein. Viele Vertreter dieser Gattung wollen aus unedlen Metallen Gold herstellen, oft im Auftrag von Fürsten.
Besondere Sagen
Da das Scheitern programmiert ist, üben sie einen Hochrisikoberuf aus. So lässt Herzog Friedrich I. von Württemberg fünf Alchemisten hinrichten. Als prominentester „Investor“ in diese zweifelhaften Unternehmungen gilt Kaiser Rudolf II., der auf der Prager Burg eine Alchemistenküche einrichten lässt. Als Nebenprodukte der „Goldmacherei“ gelingen aber auch wissenschaftliche Entdeckungen wie die Formel zur Herstellung von Porzellan.
Es wäre erstaunlich, wenn sich um eine alte, düstere Befestigungsanlage wie den Otzberg keine Sagen ranken würden. So soll irgendwo unter der Festung eine goldene Bildsäule aus heidnischer Zeit vergraben sein. Zwei unterirdische Gänge führen laut alten Erzählungen vom Berg herab, und eine weiße Frau soll auf der Festung umgehen. Carsten J. Reimers hat sie noch nicht gesehen: „Ich trinke aber schon seit Jahren keinen Alkohol.“
Sanierung geplant
Das Konzept für die künftige Nutzung der Gebäude steht noch nicht, aber vorbereitende Untersuchungen sind bereits erfolgt, wie der Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen mitteilt. War man bisher der Auffassung, dass lediglich der Turm und Teile des Torbaus noch von der alten Burg stammen, so brachten die Untersuchungen neue Erkenntnisse: Im ehemaligen Kommandantenhaus hat sich im ersten Obergeschoss der mittelalterliche Wehrgang der Ringmauer erhalten, im ehemaligen Palas sogar Teile des Dachstuhls aus dieser Epoche. 2025 sollen die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein. Wird Carsten J. Reimers dann noch Gäste verköstigen? „Der Pachtvertrag läuft bis Ende 2023. Dann sehen wir weiter.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-erleben-eine-festung-im-kleinformat-_arid,1999134.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html