Mobilität

Als für den Lindenhof eine U-Bahn geplant wurde

Im September 1995 wird die Straßenbahnlinie von der Mannheimer Innenstadt ins Neubaugebiet Niederfeld eingeweiht. Verschiedene Pläne dazu gibt es seit Jahrzehnten.

Von 
Konstantin Groß
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Einweihung des ersten Abschnitts der B-Linie am 23. September 1995. Am ersten Tisch vorne links sitzt MVV-Chef Roland Hartung und ihm gegenüber Oberbürgermeister Gerhard Widder, um sie herum unzählige bekannte Mannheimer Gesichter. © "MM"-Archiv

Mannheim. Die Klage ist oft zu hören: Neubaugebiete werden geplant, ohne für deren angemessene Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zu sorgen. In Bezug auf das Niederfeld im Süden Mannheims wird dieser Fehler vermieden. Als dieser Stadtteil in den 1990er Jahren entsteht, müssen und können Vorhaben umgesetzt werden, die schon lange in den Schubladen der Planer schlummern.

Denn bereits in den 1960er Jahren legen Experten erste Konzepte auf, um den immer stärken anschwellenden Blechlawinen in den Mannheimer Süden durch Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs Herr zu werden. 1969 erarbeitet der renommierte Verkehrsplaner Professor Karlheinz Schächterle einen Generalverkehrsplan für die Rhein-Neckar-Region. Die von ihm vorgeschlagene Straßenbahnverbindung in den Mannheimer Norden nennt er Linie A, jene in den Süden Linie B – ein Begriff ist geboren, der die Verkehrspolitik in Mannheim jahrzehntelang beschäftigen wird.

U-Bahn scheitert an den Kosten von 1,2 Milliarden D-Mark

Bei der Verwirklichung dieser B-Linie liegt das Problem nicht in Neckarau, sondern auf dem Lindenhof. Die Führung durch die nur 18 Meter breite Meerfeldstraße ist ein schier unüberwindliches Hindernis. Dem Geist der Zeit entsprechend, ist die Trassenführung zunächst als U-Bahn geplant. Aus Kostengründen werden diese Pläne vor der OB-Wahl 1980 auf Eis gelegt.

1985 machen Stadt und Mannheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) einen neuen Anlauf. Diesmal sieht die Planung lediglich eine teilweise Versenkung der Trasse vor, die sogenannte Trog-Lösung. Das Planfeststellungsverfahren startet, in Berlin wählen die Mitglieder des Technischen Ausschusses bereits die Kacheln für die Tunnelwände aus. Doch 1989 scheitert auch diese Lösung an unzähligen Einsprüchen. Begründet sind sie in den stadtplanerisch zu monumentalen Rampen und dem durch sie verursachten Wegfall von Hunderten von Parkplätzen. Das Projekt ruht erstmal.

Ein Zustand, an den sich manche vielleicht noch erinnern: die westliche Haupterschließungsachse des Almenhofs, die Steubenstraße, in Höhe des Heinrich-Lanz-Krankenhauses 1976 noch ohne Straßenbahntrasse, die erst zwei Jahrzehnte später entstehen wird. © Verein Geschichte Alt-Neckarau

Zur Hilfe kommt der B-Linie schließlich der Tod ihres „Bruders“: Am 13. März 1990 scheitert im Hauptausschuss des Gemeinderates am Einspruch von CDU-Fraktionschef Hans Martini der Spurbus, die neuartige Nahverkehr-Anbindung in die Gartenstadt, also die Linie A. Nun hat die MVG Kapazitäten an Planern und Finanzmitteln frei, um sich wieder intensiv der B-Linie zuzuwenden.

Einspurige Gleisführung bringt endlich die Lösung

Und nun schlagen die Planer eine Variante vor, die sie bis dahin wegen der Enge der Meerfeldstraße als technisch unmöglich rigoros ablehnen: eine ebenerdige Lösung. Möglich wird das durch ein Verfahren, das erst kurz zuvor in Mainz und Karlsruhe installiert wird: der teilweise eingleisigen Führung, von den Fachleuten Gleisverschlingung genannt. Damit ist auch der Lindenhöfer Bezirksbeirat einverstanden, und sogar die Einzelhändler machen notgedrungen ihren Frieden mit dem Projekt.

Die Neckarauer haben ja ohnehin nie Probleme mit dem Bau der B-Linie – nur mit seiner ständigen Vertagung. Denn 20 Jahre lang wartet die zentrale Erschließungsstraße des Almenhofs, die Steubenstraße, in Erwartung der B-Linie auf eine attraktive Gestaltung. Als der Gemeinderat am 23. April 1991 dem Projekt endlich zustimmt, beginnen am 3. September 1993 die Bauarbeiten.

Auf der Trasse kommt modernste Technik zum Einsatz

Obwohl die B-Linie keine U-Bahn mehr ist, verlangt sie den Planern und Technikern dennoch zweierlei Eigenschaften ab: Ingenieurskunst und Organisationstalent. Sogar überraschende Probleme bringen die Bauleute nicht aus dem Zeitplan: Als man bei den Arbeiten entlang der Steubenstraße auf jede Menge vergrabenen Kriegsschutz stößt, wird dafür kurzerhand vor Ort eine Aufbereitungsanlage installiert.

Ungewöhnlich sind die Bauarbeiten auch schon deshalb, weil hier nicht einfach nur ein paar Schienen verlegt und mit Schotter aufgefüllt werden. Die Bahnstrecke ist vollgestopft mit modernster Technologie. Diese stammt unter anderem von einer Neckarauer Firma, der ABB Isodraht, der früheren Kabel + Draht. Die Bahnsteige werden erstmals in Mannheim mit einer LCD-Anzeige ausgestattet, deren Displays anzeigen, wie lange es noch dauert, bis die nächste Bahn anrollt. Die Länge der Bahnsteige entlang der B-Linie beträgt 60 Meter, damit jeweils zwei der modernen Stadtbahnwagen dort halten können. Doppeltraktion lautet dafür der Fachbegriff, den die Öffentlichkeit fortan lernen muss.

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Am 23. September 1995 ist es soweit: Vor dem Rheingold-Center wird die Einweihung der neuen Linie durch Landesverkehrsminister Hermann Schaufler (CDU) gefeiert. Die Vereine des traditionsreichen Stadtteils legen sich mächtig ins Zeug, die MVV wiederum nimmt kräftig Geld in die Hand, um ein abwechslungsreiches Programm auf die Showbühne zu bringen. Glanzvoller Höhepunkt wird am Abend ein großes Konzert des Nationaltheaters mit abschließendem Feuerwerk. Zwei Tage dauert das Fest, geschätzt 70.000 Menschen feiern mit.

Verlängerung bis zur Rheingoldhalle soll folgen

Unmittelbar nach Fertigstellung des Abschnitts bis zum Rheingold-Center machen sich Stadt und MVG an die Verlängerung bis zur Rheingoldhalle. 23 Millionen D-Mark sind veranschlagt, aber aus Sicht der Verantwortlichen unerlässlich: Denn auch entlang dieser potenziellen Trasse entsteht ein weiteres neues Quartier.

Junge Familien siedeln sich an, mit Kindern, die zur Schule oder zu ihren Freizeitaktivitäten gelangen müssen – ideale Kunden für den öffentlichen Nahverkehr. Zudem liegen entlang der Trasse Einrichtungen, die von Mannheimern aus anderen Stadtteilen erreicht werden wollen: eine Schule mit 800 Schülern (die Waldorfschule), ein Freibad (der Stollenwörthweiher), ein Veranstaltungszentrum (die Rheingoldhalle), der Reiterverein und nicht weit entfernt das Strandbad.

Bereits am 27. Juni 1995, also noch vor der Einweihung des ersten Abschnitts der B-Linie, fasst der Gemeinderat daher den Grundsatzbeschluss zu deren Verlängerung bis zur Rheingoldhalle. Mit Baubeginn wird damals für Frühjahr 1996 gerechnet, mit der Inbetriebnahme für Herbst 1997. Dass es dann doch zwei Jahre länger dauert, liegt an Problemen vor Ort.

Denn der von Baubürgermeister Niels Gormsen zu verantwortende Bebauungsplan von 1981 sieht nämlich gar keine Straßenbahn in der Rheingoldstraße vor – was zur Folge hat, dass die Häuser entlang dieser Straße mit ihren Vorgärten und Parkstreifen weit in die Straßenmitte reichen. Im Klartext: Es besteht kein Platz für eine ausreichend breite Trasse der Straßenbahn.

Widerstand der unmittelbaren Anliegen ohne Erfolg

Natürlich wehren sich die Anwohner dagegen, als plötzlich eine solche Trasse ins Gespräch kommt, dass die Tram acht Meter von ihren Fenstern entfernt vorbeifahren soll. Es gründet sich eine Bürgerinitiative, die innerhalb weniger Wochen 140 Anwohner vereint, nach ihren Angaben 75 Prozent der Betroffenen.

Ihr Protest bleibt dennoch erfolglos. Am Ende messen die übergeordneten staatlichen Genehmigungsbehörden wie auch die von den Anwohnern angerufenen Gerichte dem öffentlichen Interesse an einem optimalen öffentlichen Nahverkehr ein größeres Gewicht bei als den ebenfalls durchaus legitimen Interessen der Anwohner auf Erhalt ihrer Wohnqualität. Die Verlängerung der B-Linie vom Rheingold-Center bis zur Rheingoldhalle wird gebaut und am 25. sowie 26. September 1999 erneut mit einem großen Fest eingeweiht.

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