Digitalisierung

50 Jahre Informatik an der Hochschule Mannheim - "wir haben unser Gedächtnis ausgelagert"

Mit Verspätung feiert die Hochschule Mannheim 50 Jahre Fakultät für Informatik. Mannheim war eine der ersten Städte, an denen das Fach gelehrt worden ist. Dekanin Föller-Nord erklärt, wie sich die Informatik verändert hat

Von 
Sebastian Koch
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Als die Informatik noch in den Kinderschuhen steckte: Studenten können in Mannheim seit dem Sommersemester 1971 Informatik lernen. © Fakultät für Informatik, Christoph Blüthner

Mannheim. Frau Föller-Nord, wie fühlt es sich mit 50 Jahren an?

Miriam Föller-Nord: (lacht) Für eine Fakultät ist das noch jung. Ich bin auch etwa in dem Alter - es fühlt sich immer noch frisch an.

Informatik gilt als Männerdomäne. Wieso sind Sie Informatikerin geworden?

Föller-Nord: Eigentlich habe ich Physik studiert und schon im Laufe meines Studiums viel programmiert und viele wissenschaftliche Analysen mit dem Computer gemacht. Auf dem Arbeitsmarkt hat es damals viele Physiker gegeben, die eine Stelle gesucht haben - aber weniger Informatiker. Deshalb bin ich in die Software-Entwicklung gegangen.

Sie sind vor 18 Jahren als Professorin an die Hochschule gekommen. Da war die Mannheimer Informatik noch viel jünger - was hat sich in den Jahren im Fach verändert?

Föller-Nord: Vieles. Mittlerweile ist die Informatik in unserem Leben omnipräsent. Als ich nach Mannheim gekommen bin, ist das mit Handys gerade so losgegangen. Davor war der PC für Büroanwendungen eigentlich der Klassiker. Geräte werden immer schicker und kleiner, können gleichzeitig aber auch immer mehr. Bei der Software geht es nicht mehr nur darum ,Hauptsache, sie funktioniert’, sondern sie muss leicht und gut bedienbar sein. Der User muss Freude daran haben. Diese Veränderungen spielen auch für uns eine große Rolle.

Dekanin der Fakultät für Informatik an der Hochschule und Professorin für Cyber Security: Miriam Föller-Nord im Gespräch mit Redakteur Sebastian Koch. © Christoph Blüthner

Welchen Stellenwert hat Informatik an der Hochschule?

Föller-Nord: Fragen Sie mich das als Dekanin der Fakultät für Informatik? (lacht)

Ja.

Föller-Nord: Die Informatik hat einen großen Stellenwert. Mittlerweile beinhalten alle Studiengänge, auch die, die nicht von der Fakultät angeboten werden, Vorlesungen zum Programmieren. Teilweise berufen sogar andere Fakultäten selbst Informatiker oder Softwareentwickler, die in Maschinenbau, in der Verfahrenstechnik, im Wirtschaftsingenieurwesen, ja sogar im Sozialwesen programmieren lehren.

Und wenn Sie ich nicht als Dekanin frage?

Föller-Nord: Ich beobachte, dass, obwohl fast überall Informatik drin ist, nicht immer Informatiker beteiligt sind. Gerade bei interdisziplinären Gebieten wie Mechatronik, Marketing, Internet of Things wünsche ich mir, dass unsere Fakultät öfter einbezogen wird.

Haben Sie im Alltag eigentlich selbst Probleme mit Informatik?

Föller-Nord: Ja, ich habe auch manchmal Schwierigkeiten. Und zwar immer dann, wenn die Software nicht gut gemacht ist.

Was heißt das?

Föller-Nord: Eine Software sollte intuitiv und leicht bedienbar sein. Wenn das nicht der Fall ist, hat auch ein Informatiker Probleme.

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Aber genau deshalb haben wir doch Informatiker oder…?

Föller-Nord: Der klassische Informatiker tut sich oft schwer damit. Der ist in seiner Technik- und Codewelt gefangen und hat nicht diesen Anwenderblick. Ein Studium sollte deshalb auch fächerübergreifend sein. In Mannheim arbeiten wir viel mit der Fakultät für Kommunikationsdesign zusammen.

Sie haben gesagt, Informatik sei fast überall drin. Ist die umfassende Digitalisierung, die wir erleben, für uns positiv?

Föller-Nord: Prinzipiell sehe ich das positiv. Die Informatik beziehungsweise die Digitalisierung ist in vielen Bereichen eine unheimliche Erleichterung. Wenn ich mich erinnere, wie wir Dinge recherchiert haben, als ich noch Jugendliche war: Das hat gedauert, war aufwendig, dann musste man in die Bibliothek, um Bücher auszuleihen. Heutzutage sind Wege kürzer, man hat das Lexikon in der Hosentasche. Aber man muss natürlich auch sehen, dass die Digitalisierung Gefahren verursacht, zum Beispiel Hacking, Spam, Phishing oder Online-Betrug. Und was ist, wenn der Strom ausfällt?

Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund! Wir haben eine Energiekrise. Was passiert in Zentraleuropa, wenn der Strom abgestellt wird?

Föller-Nord: Viel. Es geht fast nichts mehr. Das fängt bei Schlössern an, die mit elektronischen Karten funktionieren. Haben wir da Alternativen oder komme ich dann nicht mehr rein und raus? Wir machen uns stark abhängig. Das ist definitiv so.

Größte Fakultät an der Hochschule

 

  • Miriam Föller-Nord wurde 1967 in Bretten geboren. Sie studierte in Karlsruhe Physik und promovierte anschließend an der Universität Heidelberg.
  • Die Fakultät für Informatik ist die größte an der Hochschule. Etwa 800 Männer und Frauen studieren in Mannheim Informatik, davon fangen knapp 250 im Wintersemester an. Hinzu kommen 25 Professorinnen und Professoren.
  • Im Sommersemester 1971 führte die Fachhochschule, ein Vorgänger der Hochschule, den Diplomstudiengang Informatik ein. Die Hochschule feiert in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen der Fakultät für Informatik – wegen Corona ein Jahr später.
  • Zum Jubiläum gibt es mehrere Veranstaltungen, etwa am 30. September von 10 bis 18 Uhr einen Tag der offenen Tür

Die Informatik an der Hochschule gehört zu den ältesten in Deutschland. Nur an der TU München und der Technischen Hochschule Darmstadt wurde schon gelehrt, als zum Sommersemester 1971 in Mannheim, damals noch an der Fachhochschule, ein Diplomstudiengang Informatik angeboten worden ist. Was macht die Mannheimer Informatik eigentlich?

Föller-Nord: Wir haben einen reinen Informatik-Studiengang, der aber universell und breit ausbildet. Unsere Bachelor-Absolventen können eigentlich überall arbeiten. Wir bilden für Unternehmen, Verwaltung und andere Institutionen in der Region aus, aber auch überregional und international. Für eine Hochschule haben wir einen sehr renommierten Studiengang. Außerdem bieten wir Spezialstudiengänge an, zum Beispiel die medizinische Informatik, die Absolventen für medizintechnische Unternehmen oder Krankenhäuser ausbildet. Es gibt die Wirtschaftsinformatik, die ein Informatikstudiengang mit Wirtschaft ist. Da legen wir großen Wert drauf: Die Absolventen haben einen starken Informatikzug. In der Regel ist das umgekehrt und die Informatik hängt an BWL eben noch so dran. 2018 haben wir den Studiengang Cyber Security eingeführt. Das war wichtig, weil das Thema immer größer wird.

Sie gendern kaum, fällt mir auf - Sie sprechen viel von Absolventen, weniger von Absolventinnen …

Föller-Nord: … die gibt es auch!

… dabei stehen Sie als Frau an der Spitze der Mannheimer Hochschul-Informatik. Sind Sie, was das anbelangt, eine Pionierin?

Föller-Nord: Ich denke, für technische Fakultäten ist das eine Pionierrolle. Aber ich habe das nicht angestrebt - das hat sich ergeben. Ich mache mir wenig Gedanken darüber, dass ich eine Frau in einer Männerwelt bin. Aber ab und zu merke ich das schon: Wenn ich zum Beispiel auf Konferenzen gehe, schaue ich mich um und denke mir ,Ach, jetzt bist du wieder die einzige Frau hier’. (lacht)

Sie sagen also auch, dass die Informatik, auch mit Blick auf den 50. Geburtstag in Mannheim, noch eine Männerdomäne ist und Frauen eher die Ausnahme sind?

Föller-Nord: Bei denen, die schon längere Zeit ausgebildet und im Beruf sind, ist das so. Wir hoffen, dass sich das mit der Zeit ändert. Gerade in der medizinischen Informatik haben wir in Mannheim einen hohen Frauenanteil, der phasenweise bei 50 Prozent liegt. Auch in der Wirtschaftsinformatik und Cyber Security haben wir viele Frauen. In der reinen Informatik ist noch Luft - da liegen wir bei zehn bis 20 Prozent. Ich hoffe, dass sich da noch etwas tut.

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Wie gelingt das?

Föller-Nord: Ich bin total gegen eine Quotenregelung. Vielleicht ist es im statistischen Mittel ja tatsächlich so, dass Frauen einfach weniger Interesse an Technik haben? Man sollte nichts erzwingen. Mir ist wichtig, dass Frauen, die sich dafür interessieren, die gleichen Chancen haben und die gleiche Akzeptanz erfahren wie Männer. Es darf nicht heißen: ,Du als Frau? Informatik? Echt jetzt?’ Wenn eine Frau Informatikerin werden will, muss das möglich sein. Aber drängen sollte man niemanden, nur um Quoten zu erfüllen.

Haben Frauen in der Branche denn die gleichen Chancen?

Föller-Nord: Ja. Vielleicht gibt es vereinzelt noch Männer mit einem anachronistischen Bild, aber die sind die Ausnahme. Unsere Studentinnen kommen genauso gut unter wie Männer - wenn sie das wollen. Frauen und Männer haben die gleichen Voraussetzungen: Genauso wie es Frauen gibt, die vielleicht weniger geeignet sind, gibt es auch Männer, die das nicht sind.

Wann ist man denn für ein Informatikstudium geeignet? Was braucht man dafür?

Föller-Nord: Analytisches Denken. Ein Grundinteresse an Computern ist nicht schlecht (lacht). Um eine Software zu entwickeln, braucht man neben logischem Denken auch Kreativität. Man muss auch auf Kunden - und Kundinnen (schmunzelt) - eingehen. Informatik ist mehr als hacken. Man braucht Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz: Himmelhochjauchzen und zu Tode betrübt liegen in der Informatik oft nah beieinander.

Sie haben vom Lexikon in der Hosentasche gesprochen. Führt das dazu, dass wir schlauer werden, weil wir in kürzerer Zeit mehr Informationen abrufen - oder rufen wir mehr Informationen ab, das Wissen ist aber deshalb oberflächlicher als vor 20 Jahren?

Föller-Nord: Letzteres ist sicherlich nicht falsch. Früher hat man Fakten gepaukt. Das ist heute nicht mehr so nötig. Wenn ich den Inhalt in einer halben Stunde vergessen habe, google ich einfach nochmal. Ich muss mir Informationen nicht mehr so einprägen. Wir haben unser Gedächtnis im Prinzip ausgelagert. Ich kann mir vorstellen, dass unser Wissen deshalb auch oberflächlicher wird. Andererseits: Wenn einen etwas wirklich interessiert, kommt man auch schneller an mehr Informationen als früher.

Warum hängt Deutschland bei der Digitalisierung eigentlich immer so hinterher?

Föller-Nord: (lacht) Was antworte ich jetzt?

Sie sind die Expertin …

Föller-Nord: Tja … Ich glaube, es hängt viel mit Bürokratie zusammen. Es liegt auch am Datenschutz und der Angst vor der Informatik. Man lässt sich in Deutschland ungern auf den Wandel ein. Möglicherweise sitzen auch an entscheidenden Stellen Leute, denen die Informatik noch nicht geheuer ist. Eigentlich haben wir ja die Experten. Wir haben auch das Wissen. Aber die Hürden, das umzusetzen, sind hoch.

Zurecht?

Föller-Nord: Die Digitalisierung kann auch unheimlich viel Schaden anrichten. Deshalb ist es in Ordnung, dass es Regularien gibt. Ich wünsche mir trotzdem manchmal etwas mehr Mut zur Veränderung.

Hilft es, wenn Informatik und Digitalisierung in der Schule sowohl als Teil des Unterrichts als auch als eigenes Fach eine größere Rolle spielen?

Föller-Nord: Das wäre wichtig, ja. Dabei geht’s nicht nur ums Programmieren, sondern auch darum, das Umfeld zu verstehen. Jugendliche müssen erkennen, ob die Mail, die sie bekommen, echt ist oder Betrug. Natürlich muss aber auch der Umgang mit Geräten verstanden werden. Das ist unheimlich wichtig.

Aber wie setzt man das um?

Föller-Nord: Informatik gibt es an vielen Schulen schon lange als AG. Es wäre gut, wenn man das Fach im Lehrplan mit Mathe, Bio oder Chemie gleichsetzt. Informatik ist wichtig.

Viele Lehrerinnen und Lehrer stammen noch aus einer Zeit vor der Digitalisierung. Jugendliche wissen oft besser Bescheid als ihre Lehrer. Es fehlt wahrscheinlich auch an Kompetenzen, die es zum Lehren bräuchte - oder?

Föller-Nord: Das kann sein. Natürlich müsste die Ausbildung zum Lehrer gestärkt werden. Wenn Informatiker gut dotierte Jobs in der Wirtschaft bekommen, bleibt die Frage, wie viele sich für die Lehrertätigkeit begeistern.

Warum sollte man in Mannheim Informatik studieren?

Föller-Nord: Weil wir sehr anwendungsbezogen sind und Studierende so ausbilden, dass sie schon im Studium mit Firmen in Kontakt kommen, dort ihre Abschlussarbeit und ein Praxissemester machen. Uns zeichnet aus, dass wir im vierten Semester ein Projektsemester haben, in dem sich Firmen mit realen Aufgabenstellungen an uns wenden, die die Studierenden über das Semester bearbeiten. Studierende lernen praxisnah und anwendungsbezogen, was gebraucht wird.

50 Jahre Mannheimer Hochschulinformatik - welche Herausforderungen bringen die nächsten 50 Jahre?

Föller-Nord: (zögert) Die Informatik wird vielfältiger. Programmieren alleine reicht nicht mehr - wir müssen den Kontext besser kennenlernen und mit ihm umgehen können. Ich hoffe, dass wir in Mannheim am Puls der Zeit bleiben. Das heißt: Wir beobachten die Entwicklungen, dürfen aber auch nicht zu schnell auf Hypes aufspringen. Ein Informatikstudium muss auch Spaß machen. Unser Ziel ist, dass unsere Studiengänge weiterhin attraktiv und ausgelastet bleiben. Letzteres ist in vielen anderen Fächern nicht der Fall.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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