Mannheim. „Frauenhaus ohne Heimcharakter“ titelte der „MM“ und stellte Mannheims erste Zufluchtsstätte für misshandelte Frauen und deren Kinder vor. Das war im März 1981. Die Autorin des damaligen Berichtes traf sich jetzt mit zwei Pionierinnen, außerdem zwei späteren Geschäftsführerinnen des Schutzhauses, um den Blick zurück, aber auch nach vorn zu richten. Das Gespräch offebart: Vor vier Jahrzehnten wurde häusliche Gewalt entweder tabuisiert oder verharmlost und dabei häufig als feministisches Hirngespinst abgetan.
Im Gedächtnis ist Konstanze Wegner, Historikerin und langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete, geblieben, wie ein Stadtrat über das heiß diskutierte Projekt als „Freudenhaus“ witzelte, wie Kollegen spöttisch ein „Männerhaus“ forderten. Und Diplom-Pädagogin Doris Biereth-Pohl, die schon beim „Pro Familia“-Ortsverein als Finanzfrau Geburtshilfe geleistet hatte, erinnert sich gut daran, dass sich die Kommunalpolitik mit der „autonomen Frauenhausbewegung“ schwer tat. Schließlich stand von Anfang fest, dass der Zufluchtsort selbst verwaltet werden sollte.
Meilensteine
- 1976: Der Verein „Frauen helfen Frauen“ erarbeitet das Konzept für ein selbst verwaltetes Frauenhaus, das zunächst im Gemeinderat scheitert.
- 1981: Im März wird das autonome Frauenhaus, 36 Betten, in einem umgebauten Hotel mit geheimer Adresse eröffnet.
- 1987: Außenbüro Fraueninformationszentrum (FIZ), Adresse: Eichendorffstraße 66-68. Erste angemietete Übergangswohnung, weitere werden folgen.
- 2000: Beteiligung der Stadt am Projekt „Platzverweis“. Einrichtung einer „Clearingstelle“ als Opferberatung in Trägerschaft des Vereins Mannheimer Frauenhaus mit FIZ und dem Caritasverband/Heckertstift.
- 2001: Bezug eines neuen Gebäudes mit 21 Betten samt behindertengerechter Wohnung.
- 2005: Projektstart „Menschenskind“ zur Trauma- und Krisenbewältigung bei Kindern, die häusliche Gewalt erlebt haben, gefördert von der Aktion Mensch. Einstellung einer männlichen Honorarkraft speziell für die Jungenarbeit im Frauenhaus.
- 2010: Frauenhaus als Lehrbetrieb: Start einer erfolgreich absolvierten Ausbildung zur „Kauffrau für Bürokommunikation“.
- 2011: Einführung von Tagessätzen als Finanzierung. Das Mannheimer Frauenhaus feiert mit dem Caritas-Schutzhaus Heckertstift 30-jähriges Bestehen. Gemeinsame Aktionswoche und Fachtagung „Gewalt gegen Frauen mit Behinderung“.
- 2019: Nazan Kapan, Diplom-Sozialpädagogin und engagierte Sozialdemokratin, wird Frauenhaus-Geschäftsführerin. Vor ihr hat 15 Jahre lang Claudia Schöning-Kalender, promovierte Kulturwissenschaftlerin und SPD-Stadträtin (seit 2014), die Einrichtung als geschäftsführende Vorsitzende des Trägervereins geleitet.
- 2020: Polizei-Pilotprojekt „High-Risk“ zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Fragebogen zum Ermitteln von Hochrisiko-Fällen. Laut Polizeistatistik stirbt in Deutschland an jedem dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners.
„Wir haben nichts zu verlieren, außer unserer Angst“: Als 1976 mit diesem Leitsatz in Berlin das erste deutsche autonome Frauenhaus etabliert wurde, hatte der Mannheimer Verein „Frauen helfen Frauen“ ebenfalls ein solches Konzept erarbeitet - dieses wurde aber im Gemeinderat abgeschmettert. „Wir haben daraufhin den Verein auf eine breitere Basis gestellt“, erzählt Wegner. Obendrein kam argumentative Schützenhilfe von der kommunalen Familienfürsorge, deren Sozialarbeiterinnen von der Front wussten, wie schwer es war, für bedrohte Frauen samt Kinder einen Schutzort zu finden. 1980 gab der Gemeinderat , dem inzwischen Konstanze Wegner angehörte, „grünes Licht“ für ein Frauenhaus und bewilligte dafür neun Personalstellen, außerdem ein mietfreies Gebäude - damals ein heruntergekommenes ehemaliges Hotel auf dem Waldhof. Im März 1981 öffnete die Zufluchtsstätte mit geheimer Adresse und Kontakt ausschließlich über Telefon. Bereits im Mai war die Einrichtung mit rund zwei Dutzend Frauen und doppelt so vielen Kindern überbelegt, mussten sich bis zu sechs Personen ein kleines Zimmer teilen.
Früh zwei Anlaufstellen
Auch wenn es in anderen Kommunen früher gelang, die Idee eines Frauenhauses umzusetzen, so kann sich Mannheim als erste Stadt mit zwei Schutz-Anlaufstellen rühmen. Ebenfalls 1981 erweiterte nämlich der Caritasverband sein Konzept für das Heckertstift: Und so stand die umgebaute Oststadt-Villa ab Juli nicht nur allein stehenden, oftmals jungen Müttern mit Baby übergangsweise offen - auch misshandelten Frauen.
„Mit der autonomen Frauenhausbewegung beschritten wir Neuland“, blicken Konstanze Wegner und Doris Biereth-Pohl zurück. Es war die Zeit, als alle alles bestimmen wollten, aber unklar war, wer für was gerade zu stehen hatte, und ob die wöchentliche Hausversammlung Beschlüsse des Vereinsvorstandes kippen konnte. Solcherart Grundsatzfragen sind längst (vehement) ausdiskutiert. Hingegen machen bis heute Geldprobleme zu schaffen: Beim fünften Geburtstag beklagte das Frauenhaus, dass von den neun genehmigten Planstellen faktisch nur sieben finanziert waren. Die aufgrund der 1989 reduzierten städtischen Zuschüsse auflaufenden Defizite summieren sich innerhalb von drei Jahren auf satte 100 000 Mark, die man mit Benefizkonzerten zu decken versuchte.
Enorme Einbußen durch Corona
Inzwischen gibt es zwar eine Tagessatzfinanzierung, doch die hat aufgrund von Corona zu „enormen Einbußen“ geführt, wie Frauenhaus-Geschäftsführerin Nazan Kapan berichtet. Grund: Als Folge des Hygiene-Konzeptes fielen Aufnahmeplätze weg, zudem wagten während der Pandemie deutlich weniger Frauen den Absprung aus einer gewalttätigen Beziehung. „Aber jetzt sind wir wieder proppenvoll.“ Und da kann schnell das Problem auftauchen, dass Schutzsuchende abgewiesen werden müssen.
Wenn Frauenhäuser, ob in Mannheim oder anderswo, vorübergehend eine Aufnahmesperre verhängen, dann hat dies häufig mit dem Wohnungsmarkt zu tun. Nazan Kapan und ihre langjährige Vorgängerin Claudia Schöning-Kalender können unzählige Geschichten von Müttern und deren Kinder erzählen, die monatelang, manchmal über ein Jahr beengt in der Zufluchtsstätte ausharren mussten, weil sie für einen eigenständigen Neustart kein günstiges Mietdomizil fanden.
Seit den bewegten Gründungsjahren hat sich beim Frauenhaus viel getan (siehe Chronologie). In einem sind sich die vier Gesprächspartnerinnen einig: Zu den großen Veränderungen gehört, dass die Gesellschaft Gewalt hinter verschlossenen Türen nicht länger als Privatangelegenheit begreift. Möglicherweise bahnt sich eine ähnlich gravierende Zäsur an. Und die umschreibt Schöning-Kalender mit dem in den Niederlanden entwickelten Konzept „Sicherheit durch Sichtbarkeit“.
Familie wird miteinbezogen
Sie wie auch ihre Nachfolgerin finden „hochspannend“, dass in Alkmaar das „Oranje Huis“ nach dem Motto „Verstecken ist vorbei“ auf die Geheimhaltung des Standortes verzichtet, aber dafür die Unterkunft geflüchteter Frauen und Kinder mit Überwachungstechnik ausgestattet hat. Das Besondere: Beim „Oranje Huis“-Hilfesystem wird die gesamte Familie einbezogen, gehören Männerberatungen zum festen Angebot. Dass misshandelte Frauen und deren Kinder in einer Notlage nicht abtauchen müssen, stärke das Selbstbewusstsein, kommentiert Schöning-Kalender. Im nordrhein-westfälischen Espelkamp wagt das „Frauenzentrum Hexenhaus“ bereits einen Richtungswechsel. Motto des Modellprojektes: „Sichtbar - Sicher -Selbstbestimmt“.
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