Mannheim. Diese Nacht hat sich allen ins Gedächtnis gebrannt, die dabei waren. In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar vor zehn Jahren sterben bei einem Brand im Hinterhaus von U 5, 3 drei Kinder - so viele wie noch nie in Mannheim seit dem Zweiten Weltkrieg. „Das ist haften geblieben, das war mit das Härteste, was ich je erlebt habe“, sagt Michael Fischer, der 36 Jahre bei der Feuerwehr arbeitet und damals der Einsatzleiter war.
„Das ist bei mir noch sehr präsent, weil es sehr belastend war“, sagt auch Andre Kühner (Johanniter), damals Einsatzleiter Rettungsdienst. So geht es ebenso Oberbürgermeister Christian Specht, der - seinerzeit Erster Bürgermeister und Sicherheitsdezernent - nachts an die Einsatzstelle eilt. „Ich bin ja oft rausgefahren, aber das habe ich noch am meisten im Kopf“, erinnert sich Specht an die „extrem belastende Situation“ der dramatischen Nacht.
Damals wirkt er aber - äußerlich - ganz ruhig. „Es war für uns hilfreich, dass er kam und die Leute beruhigt hat“, weiß Michael Fischer noch, wie Specht sich im Einsatzleitwagen informiert hat und in den RNV-Bus gestiegen ist, in dem die evakuierten Bewohner sich aufhalten dürfen.
Notärzte versuchten vergeblich, die Kinder wiederzuleben
Es ist 1.59 Uhr, als der Notruf bei der Feuerwehr eingeht. Nach nur sechs Minuten ist der erste Löschzug da, gleich darauf der zweite Löschzug. Die Feuerwehrleute erleben dramatische, erschütternde Szenen. „Ich habe sofort realisiert: Da kommt etwas auf uns zu!“, so Fischer heute über seine Ankunft an dem völlig verqualmten Haus. Nachbarn haben da bereits die brennende Zwei-Zimmer-Wohnung im dritten Obergeschoss des Hinterhauses aufgebrochen, Polizisten mit zwei Pulverlöschern die Flammen bekämpft.
Zwei Kinder sind im Freien, aber nicht bei Bewusstsein. Polizisten versuchen in der Einfahrt Herzdruckmassage und Beatmung, dann übernehmen Notärzte, darunter der spezielle Baby-Notarzt. Eine Dreiviertelstunde kämpfen sie in Rettungswagen um das Leben des Dreijährigen und seiner Schwester (7), aber vergeblich. Zunächst vermisst wird ein drittes Kind. Feuerwehrleute entdecken den zweijährigen Jungen in der brennenden, völlig verqualmten Wohnung - schon leblos. Ein Feuerwehrmann trägt das Kleinkind auf dem Arm herunter, es kommt mit Blaulicht ins Krankenhaus, auch dort ein langer, aber vergeblicher Kampf - es stirbt ebenfalls an Rauchvergiftung.
Einsatzkräfte aus Ludwigshafen und dem Rhein-Neckar-Kreis kamen zu Hilfe
Als sich das rund um die Einsatzstelle herumspricht, sieht man überall völlig entsetzte Gesichter. Die Mutter (22), die hier allein mit ihren drei Kindern lebt, erleidet einen Schock, muss ebenso ins Krankenhaus. Starr blickend stehen Nachbarn und Schaulustige in der Nacht vor dem einst sicher schönen, aber völlig heruntergekommenen Backsteinbau.
Auch ein Polizeibeamter und fünf Hausbewohner atmen zu viel Qualm ein und müssen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, vier Personen davon werden ins Krankenhaus gebracht. Neben den (damals nur zwei) Mannheimer Notärzten helfen der Ludwigshafener Notarzt und der Baby-Notarzt. Zwei Rettungswagen aus der Nachbarstadt und einer aus dem Rhein-Neckar-Kreis werden gebraucht, um die fünf Wagen aus Mannheim zu unterstützen.
Bis zu 34 Hausbewohner, teils nur notdürftig bekleidet, sind zu betreuen. Damit sie nicht länger im Freien stehen, bestellt Specht von der Rhein-Neckar-Verkehr (RNV) einen Bus, für die Gespräche der zwei Notfallseelsorger baut die Feuerwehr einen Container auf. „Die Zusammenarbeit vor Ort war gut, die Abläufe haben geklappt - aber es war so bitter“, seufzt Andre Kühner noch heute, „denn es war so unnötig.“
Ursache für den Brand in dem Wohngebäude in U5 war ein illegales Elektrokabel
Bei den Ermittlungen stellt sich nämlich laut Staatsanwaltschaft heraus, dass die Mutter, da in ihrer Wohnung kein Strom vorhanden war, ein Verlängerungskabel in der Wohnung des Bruders angeschlossen, in ihr Apartment geführt „und dort mehrere Geräte unfachmännisch verbunden“ hatte. Hierdurch sei es zu einer Überhitzung und dann zum Brand gekommen. Zwar wurde auch gegen den Bruder ermittelt, das Verfahren aber „mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt: „Ihm war nicht nachzuweisen, an der Verkabelung beteiligt gewesen zu sein“, heißt es.
Das Verfahren gegen die Mutter habe man „mit Zustimmung des Amtsgerichts wegen geringer Schuld und fehlenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt“. Das lässt das Gesetz zu, wenn Beschuldigte selbst besonders schwer betroffen sind - wie die Mutter durch den Tod ihrer Kinder. „Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Versäumnisse Dritter, etwa seitens der Stadt oder der Hauseigentümer, ergaben sich bei den Ermittlungen nicht“, so die Behörde.
Das Haus hatte auf der Liste sogenannter Problemimmobilien gestanden. In neun Wohnungen lebten 45 Menschen - meist Bulgaren, Rumänen und Vietnamesen - auf 50 Quadratmetern. Die Stadt hatte diese Wohnung kontrolliert und im November 2013 eine „unzulässige Elektroinstallation“ gerügt. Rauchmelder sind seinerzeit in Bestandsimmobilien noch nicht vorgeschrieben; diese Pflicht tritt erst Ende 2014 in Kraft. Weil das Haus aber als Problemimmobilie gilt, ist das im Einsatzleitrechner der Feuerwehr vermerkt - weshalb nach dem Notruf gleich zwei Löschzüge statt sonst einem ausrücken.
„Das war für uns wichtig, als wir den Einsatz besprochen haben“, sagt Michael Fischer heute: „Es hilft, dass wir alles Mögliche getan haben, dass wir uns keinen Vorwurf zu machen haben“, so der damalige Einsatzleiter. Die Kinder hätten „einfach keine Chance“ gehabt in dem völlig verrauchten Haus.
Die heute übliche psychosoziale Notfallversorgung bei der Nachbereitung des Einsatzes steckt damals noch in den Kinderschuhen. „Wir haben halt zusammen darüber geredet“, so Fischer, er könne so etwas aufgrund langjähriger Erfahrung dann schon wirkungsvoll verdrängen. „Aber die Bilder bekommt man nicht mehr aus dem Kopf“, und durch die Anfrage des „MM“ sei „alles wieder hochgekommen“ - etwas, was auch Andre Kühner sagt.
Stadt lernte aus der Katastrophe: Problemimmobilien werden gründlicher geprüft
Wenn es auch keine strafrechtlichen Konsequenzen aus dem Vorfall gibt - „wir haben Konsequenzen gezogen“, betont Specht. Die Stadt gehe mit der Polizei Gefahren im Zusammenhang mit Problemimmobilien durch „niedrigschwellige, proaktive und behördenübergreifende Kooperation“ an. Hinweisen gingen die Arbeitsgruppen Südosteuropa (AG „Ordnungsrechtliche Maßnahmen“ und AG „Integration und Hilfen“) „sehr zügig nach“. Dazu gebe es Begehungen vom muttersprachlichen (Rumänisch, Bulgarisch) Ermittlungsdienst Südosteuropa gemeinsam mit zuständigen Experten.
So könne man „potenzielle Gefahren für Leib und Leben frühzeitig erkennen“. Neben baurechtlichen oder brandschutztechnischen Mängeln, wie mangelhaften Elektroinstallationen, fehlenden Rauchmeldern, unzureichenden Rettungswegen, Heizen durch nicht zugelassene Geräte, gehe man auch Müllablagerungen und Schädlingsbefall nach.
Wo es Auflagen gebe, würden diese „engmaschig überwacht“, so Specht. Oberste Priorität habe, tragische Fälle wie den Brand 2014 zu verhindern. Seien 2013 in Mannheim 97 Problemimmobilien bekannt gewesen, wäre diese Zahl nun „deutlich zurückgegangen“: Derzeit seien sechs Immobilien gelistet, die überwacht würden, drei davon wegen Mängeln in Brandschutz, Baurecht oder Infektionsschutz.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-2014-sterben-in-mannheim-drei-kinder-bei-einem-brand-erinnerungen-an-die-katastrophe-_arid,2180102.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html