Mannheim. „Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Juchacz.“ Am 19. Februar 1919 sprach mit Marie Juchacz erstmals eine Frau im deutschen Parlament. Sie betonte, dass Frauen nun als gleichberechtigt das Parlament ansprechen dürfen, und verwies auf das neu gewonnene Wahlrecht.
Doch die Sozialdemokratin legte mit diesem Satz den Grundstein für mehr. Sie war sozialpolitisch engagiert und gründete 1919 die Arbeiterwohlfahrt (Awo). Die unterstützte mit solidarischer Hilfe Millionen Menschen und wurde schnell eine deutschlandweite Organisation. Das war so nötig: Denn in ganz Deutschland hungerten zu dieser Zeit Millionen Menschen nach dem Ersten Weltkrieg und waren in Not.
Einige Jahre später wurde auch in Mannheim die Awo als ehrenamtliche Selbsthilfeorganisation aus der Arbeiterschaft heraus gegründet. Ihre Schwerpunkte waren die eingangs genannte Notlinderung, in Mannheim etwa Suppenküchen oder Nähstuben. Im Nationalsozialismus wurde die Awo aufgelöst, da sie sich nicht gleichschalten ließ und sich nicht der NS-Volkswohlfahrt anschließen wollte. So landete etwa der Mannheimer Awo-Gründer Richard Böttger in „Schutzhaft“. Viele Mitglieder in Deutschland wurden verfolgt, einige in Konzentrationslagern ermordet. Dennoch unterstützte die Awo auch in der Quadratestadt im Untergrund weiterhin Inhaftierte und Verfolgte.
Awo Mannheim: Von den Nazis verboten - und wiederauferstanden
Direkt nach Kriegsende 1945 erfolgte die Neugründung von unten heraus, aus den wenigen lokalen Strukturen, die die Nazis nicht zerschlagen konnten. Otto Bauder leitete nach 1945 lange Zeit die Awo und wird zu einer großen SPD-Persönlichkeit. Nun lagen die Schwerpunkte auf dem Unterstützen von Vertriebenen und Kriegsheimkehrern.
Seit den 1950er-Jahren wandelte sich die Awo zu einem professionelleren Träger sozialer Dienstleistungen. Neue Themen kamen auf, etwa die Altenhilfe ab 1970. Im Jahr 1979 richtete die Awo in Mannheim erstmals einen mobilen Sozialdienst ein - für ältere und behinderte Menschen. Themen, die in Mannheim die Awo umtreiben und zu Angeboten motivieren, sind außerdem ab den 80ern Langzeitarbeitslosigkeit, Beschäftigungsförderung, Zuwanderung. Die Awo auch in Mannheim passte ihr Leistungsportfolio so stets an den aktuellen gesellschaftlichen Bedarf an.
Doch es gibt auch Tiefpunkte. In den frühen 2000ern steht die Awo in Mannheim kurz vor dem Aus. Der „MM“ titelt am 3. September 2003: „Arbeiterwohlfahrt in finanziellen Nöten“. Erste Einrichtungen schließen, Mitarbeitende müssen auf Weihnachtsgeld verzichten. Doch die hiesige Awo berappelt sich.
Jahrzehnte prägt und führt der charismatische Vollblut-SPDler, Stadtrat und DGB-Kreisvorsitzender Max Jaeger dann die Awo in Mannheim. Auch sein Parteifreund und Seniorenratschef Claus-Peter Sauter prägt die Awo durch seine Führung nach ihm lange. 2010 stand dann die erste Frau an der Spitze, nicht unumstritten gibt Sabine Neuber aber schon bald wieder ihr Amt ab. Dann übernehmen Rolf Lang und Angelika Weinkötz und formen die Awo als Duo.
Awo-Chef Alexander Manz: Vielfalt ist unser Merkmal
Aktuell umfasst die Awo in Mannheim mit 35 Einrichtungen und Diensten rund 650 Mitarbeitende und hat 750 Mitglieder in ehrenamtlichen Ortsvereinen sowie 100 Freiwillige. Heute führt die Awo Alexander Manz, Betriebswirt und Awo-Eigengewächs, der schon seinen Zivildienst dort absolvierte.
Die Awo setzt sich für demokratische Werte und gesellschaftliche Vielfalt ein, betonen Manz und Awo-Pressesprecher Markus Sprengler beim Pressegespräch zum Jubiläum. Die Awo hat sich in der Nazizeit nie vereinnahmen lassen und stand zu ihren Werten, so Manz. Auch heute sei daher Vielfalt und deren Förderung zentrales Merkmal: Mitarbeitende aus 70 Nationen engagieren sich für Menschen unabhängig von Herkunft, sexueller Orientierung oder Geschlecht.
Die Awo stehe nicht über den Menschen, sondern geht mit ihnen gemeinsam den Weg, betont AWO-Chef Manz. „Wir wollen immer einzelne befähigen, dass sie uns nicht mehr brauchen und selbstständig ihr Leben bewältigen können“, sagt der Awo-Chef.
Wie Manz berichtet, war eine große Herausforderung für die Awo die Pandemie, weil es keine Vorerfahrungen gab. Manz: „Die Awo hat neue Krisenkonzepte entwickelt und ist heute besser auf Pandemien vorbereitet.“ Er betont außerdem: „Die Bedeutung sozialer Träger als systemrelevant wurde dadurch erst vielen deutlich.“ Man sei stolz darauf, systemrelevant zu sein.
Manz betont, der Wiedereinstieg in die vorschulische Kinderbetreuung war ein wichtiger Schritt. Außerdem die aktive Einbindung der Awo in kommunale Sozialpolitik. In der Jugendarbeit ist die Awo Mannheim aktuell einer der größten Anbieter. Ein weiterer Ausbau ist geplant, so Manz.
Auch in der Kinderbetreuung: Die Awo will sich stärker im Krippen- und Kindergartenbereich etablieren. Auch bei der stationären Pflege bemerkt die Awo eine hohe Nachfrage, aber auch Herausforderungen in der öffentlichen Wahrnehmung. Hier gelte es, Pflegeeinrichtungen als Orte des Lebens und auch Quartiersplätze stärken. Die Awo will zudem weiter neue Wohn- und Betreuungskonzepte entwickeln. „Wir haben eine Offenheit für gesellschaftliche Veränderungen und neue Bedarfe und passen uns stetig an“, so Manz. Gerade jetzt wurde etwa das Jugendwerk des Awo-Kreisverbands neu gegründet. Auch gibt die Awo mit einem neuen Podcast „Mannheim Social Club“ aktuell Einblicke in ihre Arbeit - und zeigt sich so auch sexy für neue potenzielle - und dringend benötigte - Fachkräfte im Sozialen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar 100 Jahre AWO Mannheim: Soziale Arbeit ist kein Selbstläufer!