Mannheim. „Am liebsten“, sagt Einald Sandreuther, „wäre ich selbst gerne Künstler geworden.“ Jedenfalls hat der 89-Jährige in seinem Haus in der Pfalz einige Kunst- und Design-Objekten angesammelt - seien es so populäre Stücke wie Sessel von Mies van der Rohe, Eames oder Rietveld, Gemälde von weniger bekannten Urhebern wie dem Vogelstängler Walter Tauchert oder Hasso Halberstadt. Und eben von Hans Nagel, dessen monumentale Röhrenskulptur aus dem Stadtteil als 1:10-Modell bei Einald Sandreuther auf dem Treppenabsatz steht.
Wie es da hingekommen ist, erweist sich als ein interessantes Stück Stadtgeschichte. Denn Sandreuther war es, der als junger Architekt beim gewerkschaftseigenen Wohnungskonzern Neue Heimat in Mannheim einen einmaligen Auftrag bekommen hat. Er leitete die Planungen und Bau-Ausführungen des Stadtteils Vogelstang - und holte Freunde und Gleichgesinnte wie Hans Nagel für die Kunst am Bau mit ins Boot. Manche, wie der 2005 verstorbene Walter Tauchert, sind dann ein Leben lang in dem damals neuen, supermodernen Stadtteil geblieben.

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Sandreuther indessen zog weiter - im wahrsten Sinne des Wortes. Erst hatte er seine Büros im Einkaufszentrum Vogelstang, später im Innenstadt-Quadrat N 2, 10. Von dort aus betreute er die Planungen zur Neckarufer-Nord-Bebauung. Die drei 30-geschossigen Hochhäuser sowie die Terrassenhäuser am Neckar baute er noch als Angestellter der Neuen Heimat, die es dann bald aber nicht mehr gab. Zum Gesamtkomplex gehörte auch das Collini-Center, das aber von einer anderen Planergruppe betreut wurde.
Ein vierter, 50-stöckiger Turm?
Der Wohnungskonzern Neue Heimat ging pleite, und Sandreuther, der sich kurz zuvor selbstständig gemacht hatte und ein halbzerfallenes Barock-Gemäuer in der Pfalz zur Sanierung erworben hatte, musste sich nach neuen Auftraggebern umschauen. Vor allem am Neckarufer, so erinnert sich Einald Sandreuther, habe es viel Kraft gekostet, die Stadt Mannheim davon abzubringen, zu den drei heute bestehenden Hochhäusern noch einen vierten, 50-stöckigen Turm zu stellen.
Von Statik und Bautechnik her wäre das „wesentlich aufwändiger“ gewesen, zudem hätte man in den oberen Etagen die Fenster nicht öffnen können. Und außerdem gab es eine Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt der Alten Feuerwache stark machte. Sandreuther: „Ich habe damals planerisch nachgewiesen, dass es möglich ist, Hochhaus Nr. drei zu bauen und die Feuerwache zu erhalten.“ Und dass der vierte Turm mitten auf dem Alten Messplatz dann nicht mehr realisiert wurde - darum dürfte man heute froh sein, meint der frühere Chef-Planer.
Gelernt hatte Einald Sandreuther seinen Beruf bei Carlfried Mutschler, in dessen Namen er die gläserne Pfingsbergkirche baute - filigrane Betonarchitektur, auf die er besonders stolz ist. „Wir haben damals jeden einzelnen Baum so geschützt, dass er nicht beschädigt wurde.“ Dazu kam eine Änderung des Glockengeläuts, so dass die zuvor berechnete Statik des Kirchturms vor Ort an die neuen Gegebenheiten angepasst werden musste.
Dass heute viele von „seinen“ Gebäuden marode und sanierungsbedürftig sind, schmerzt den Architekten. „Es rächt sich, wenn man seine Häuser nicht ordnungsgemäß pflegt und instand setzt“, sagt er. Die Initiative, den lange vernachlässigten Nagel-Röhren wieder neuen Glanz zu verleihen, begrüßt er deshalb ganz besonders - und, dass so viele dabei mithelfen wollen. Immerhin war er damals der Auftraggeber Hans Nagels, der sein Brot zuvor mit dem Bau von Architekturmodellen verdiente.
Mit dem Fahrrad nach Brüssel
„Walter Tauchert und Hasso Halberstadt waren Schiffsbauer, die konnten schweißen“ - und so brachte Sandreuther die drei zusammen, damit sie Nagels Ideen realisieren konnten. Auf dem Platz im Stadtteil Vogelstang ist das seiner Meinung nach besonders gut gelungen. „Mit der Beleuchtung und den Wasserspielen war das ein sehr schönes Ensemble“, erinnert sich Sandreuther, der als Student 1958 mit dem Rad nach Brüssel gefahren war, um auf der Weltausstellung den Deutschen Pavillon von Egon Eiermann und Sep Ruf zu sehen, einer der Prototypen der Architektur des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg.
Auf der Vogelstang und am Neckarufer wollten Sandreuther und viele ebenfalls beteiligte bekannte Mannheimer Architekten etwas Neues schaffen, Orte, an denen sich die Bewohner wohlfühlen. Mit den vielen tausend Wohnungen, die trotz des mitunter in die Jahre gekommenen Umfelds sowohl auf der Vogelstang als auch am Neckarufer-Nord und im Collini-Center bis heute beliebt und auf dem Wohnungsmarkt nachgefragt sind, ist ihnen das auch gelungen.
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