Erinnerungskultur

Wie die neuen Straßennamen für Rheinau-Süd festgelegt werden

Vor der Entscheidung des Gemeinderates über vier neue Straßennamen in Rheinau-Süd, die am 11. Juli fallen soll, haben die örtlichen Siedler und der Arbeitskreis Kolonialgeschichte ihre gegensätzlichen Erwartungen formuliert

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Konstantin Groß
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Mannheim. Ein Abend im Siedlerheim „Seeblick“ in Rheinau-Süd. Die örtliche Siedlergemeinschaft hält ihre Jahreshauptversammlung ab, und der Schankraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Vorstand zieht positive Bilanz seiner Aktivitäten: Siedlerfest, Weihnachtsmarkt. Doch am wichtigsten ist ein Erfolg: Bei der Bürgerbefragung über den Ersatz für vier politisch belastete Straßennamen entspricht das stadtweite Ergebnis exakt dem Wunsch der Siedler. „Das war eine Überraschung“, bekennt der Vorsitzende Hans Held.

Kommentar Neue Straßennamen in Rheinau-Süd: Gemeinderat sollte dem Votum der Bürger folgen

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Denn Grund zur Freude herrscht vor Ort in den vergangenen Jahren nur selten. Drei bittere Niederlagen liegen hinter den Siedlern: Zunächst beschließt der Gemeinderat 2022 gegen ihren heftigen Widerstand die Umbenennung der Leutwein-, Lüderitz- und Gustav-Nachtigal-Straße sowie des Sven-Hedin-Weges. Bei der Neubenennung lässt das Stadtparlament, anders als von ihnen gefordert, 2024 auch keine See-Namen zu. Und schließlich sollen entgegen ihrem Willen nicht nur die Betroffenen in Rheinau-Süd, sondern alle Mannheimer abstimmen. Da schwant den Siedlern nichts Gutes.

Das Ergebnis ist daher eine Überraschung. Das stadtweite Resultat entspricht exakt dem Votum in Rheinau-Süd und damit den vier Namensvorschlägen der Siedler: Marco Polo, Ida Pfeiffer, Georg Balthasar Neumayer, Isabelle Eberhardt - und dies mit deutlichem Vorsprung.

Erleichtert ist daher der zuständige Bürgermeister, „dass sich die Belange der betroffenen Rheinauer mit den Wünschen der restlichen Stadtgesellschaft decken“, erklärt Ralf Eisenhauer und lobt: „Das ist sicher auch dem Engagement der Siedlergemeinschaft zu verdanken.“

Neue Straßennamen in Rheinau-Süd: Arbeitskreis Kolonialgeschichte verweist auf politische Stimmung

Weniger begeistert ist der Arbeitskreis Kolonialgeschichte, der dafür gekämpft hat, mit der Neubenennung „ein Zeichen gegen Kolonialismus und Rassismus“ zu setzen. Die Ursache sehen die Aktiven in der allgemeinen politischen Atmosphäre: „Die Abstimmung hat in einer Zeit stattgefunden, in der politische Weichen zur Beibehaltung neokolonialer Strukturen gestellt werden“, erklärt AK-Sprecherin Gertrud Rettenmaier: „Menschen aus anderen Kontinenten werden fern gehalten und gleichzeitig deren Länder ausgebeutet, um unseren Wohlstand zu sichern: durch Seltene Erden, Lebensmittel, Grünen Wasserstoff.“

Zudem: „Sicher gab es auch Stimmungsmache gegen unsere KandidatInnen, denen unglaubliche Dinge vorgeworfen wurden“, beklagt Rettenmaier. Vor allem gegen ihren aussichtsreichsten Vorschlag, Miriam Makeba. Sie sei Weggefährtin von Sekou Touré gewesen, 1958 bis 1984 Präsident von Guinea und laut „Spiegel“ einer der blutigsten Diktatoren Afrikas: „Der ’Spiegel’ ist nicht die seriöseste Quelle“, erwidert Rettenmaier: „Wir können nur auf existierende Biografien verweisen.“

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Allerdings gibt es nach wie vor Bedenken auch gegen die nun gewählten Personen: gegen Ida Pfeiffer wegen der Diktion ihrer Bücher (so spricht sie darin von „Wilden“), Isabelle Eberhardt wegen ihrer Nähe zu Exponenten der französischen Kolonialherrschaft in Afrika und auch gegen Georg Balthasar Neumayer.

Dieser nahm um 1860 als Geograf und Landvermesser an Expeditionen in Australien teil, dessen Ureinwohner bekanntlich gewaltsam verdrängt wurden. „Allerdings hatte er als Person nach heutigem Kenntnisstand nichts mit der Vertreibung der Aborigines zu tun“, betont die Stadt Mannheim auf Anfrage, räumt jedoch ein: „Sicherlich muss man die Präsenz von Europäern in Australien heute per se im Kontext des Kolonialismus betrachten“, schreibt Adnan Werning, Büroleiter von Bürgermeister Eisenhauer, und bestätigt: „Der Idee des Kolonialismus stand er nahe, was etwa seine Mitgliedschaft in der Deutschen Kolonialgesellschaft zeigt.“ Mehr kann die Stadt jedoch nicht sagen: „Tiefergehende Archivrecherchen sind in einem solchen Prozess nicht üblich und wurden vom Marchivum im Vorfeld nicht angestellt“, bekennt der Stadtsprecher. Daher könne „nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich durch neue Quellenfunde etwa in australischen Archiven künftig ein alternatives Bild von ihm ergibt.“

Marco Polo: Der Weltreisende starb vor genau 700 Jahren, 1324. Nun wird er Namenspate einer Straße in Rheinau-Süd. © Archiv

Insofern müsse man aber fragen, „ob Straßen wieder nach Personen benannt werden sollen, die durch eine Beteiligung an kolonialistischen Unternehmen belastet sind“, mahnt der Kolonialkreis: „Der Fehler mit Sven Hedin sollte sich nicht wiederholen.“ Die nach dem Hitler-Anhänger benannte Straße, die jetzt ebenfalls umbenannt werden muss, erhielt ihren Namen erst 1985!

Insofern hofft der Arbeitskreis Kolonialgeschichte auf das Stadtparlament: „Die GemeinderätInnen können immer noch für Straßennamen votieren, die Respekt und Wertschätzung für Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Orientierung und Religion ausdrücken“, schreibt der AK.

Genau dies befürchten die Siedler. So betont Siedlerchef Held: „Es ist ein eindeutiges Ergebnis. An diesem Votum kann es kein Vorbei geben.“ Gleichwohl traut er dem Frieden nicht, zumal es der bisherige Gemeinderat mit seiner grün-rot-roten Mehrheit sein wird, der darüber am 11. Juli befindet. Auf der Versammlung letzte Woche ging Held noch davon aus, dass dies der neue Rat sein werde, der am 9. Juni gewählt wird und von dem er sich eine andere Konstellation erhofft. Man möge daran denken, welche Partei in der Straßennamendiskussion welche Position vertreten habe, hieß es daher in der Versammlung ganz offen.

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Doch es gibt keinen politischen Akteur von Bedeutung, der das Ergebnis der Bürgerbefragung in Frage stellt. Schon gar nicht die Verwaltung. Noch vor dem Gemeinderatsvotum lässt sie den Bezirksbeirat darüber beraten - übrigens die erste öffentliche Diskussion dieses Gremiums in dem zweijährigen Prozess.

Festgelegt werden soll dort, welche der vier Straßen welchen Namen erhält. Als wahrscheinlich gilt, dass die Straße mit den meisten Anwohnern den Namen mit den meisten Stimmen bekommt. So könnte die Gustav-Nachtigal-Straße künftig Marco-Polo-Straße heißen. Auf der Siedlerversammlung kam aber auch der Vorschlag einer Auslosung auf; immerhin wurden auch die Häuser 1933 unter den Bewohnern ausgelost. Dies blieb eine Einzelmeinung.

Debatte über Kostenerstattung für Anwohner und Gewerbetreibende

Für die Beratung im Bezirksbeirat gilt Hans Held, der für die FDP im Gremium sitzt, übrigens nicht als befangen. Die Überprüfung habe ergeben, dass er nicht seine, sondern „lediglich die gemeinsamen Interessen einer Bevölkerungsgruppe vertritt“, wie die Stadt mitteilt. So will Held an der Sitzung teilnehmen, obwohl der Verein zur gleichen Zeit einen offiziellen Besuch in der österreichischen Partnergemeinde Seewalchen am Attersee unternimmt: „Da muss man Prioritäten setzen.“

Wie derzeit angedacht, sollen die alten Schilder noch ein Jahr hängen, um den Anwohnern Zeit zur Adressenänderung zu geben. In der Kommunalpolitik beginnt bereits eine Diskussion, wer die Kosten dafür trägt. Die Mannheimer Liste hat in einem Antrag an den Gemeinderat die Frage aufgeworfen, inwieweit die Stadt bereit sei, „Aufwendungen der betroffenen Anwohner für Adressänderungen, neue Ausweise und Reisepässe und vieles mehr zu übernehmen, auch wenn keine rechtliche Verpflichtung besteht.“ Dies gelte besonders für Gewerbetreibende mit ihren Geschäftsunterlagen, Internet-Auftritten und Werbemitteln.

Der AK Kolonialgeschichte bleibt auch weiterhin aktiv: „Aus dem Ergebnis ziehen wir den Schluss, dass wir unsere Arbeit fortsetzen wollen“, versichert Gertrud Rettenmaier. Es gebe noch ein großes Betätigungsfeld, etwa die städtische Gedenktafel für den Kolonialisten Gustav Seitz an einem Haus in Seckenheim, der sich der AK am 15. Mai in der Abendakademie widmen wird. Denn: „Das Ende der deutschen Kolonien war nicht das Ende von Rassismus und Ausbeutung anderer Kontinente.“

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