Rheinau

Gibt es bald eine Manga-Bell-Straße in Mannheim-Rheinau-Süd?

Wie sollen die historisch belasteten Straßen in Rheinau-Süd nach ihrer Umbenennung heißen? Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte Mannheim hat jetzt für einen Vorschlag geworben: Rudolf Duala Manga Bell

Von 
Konstantin Groß
Lesedauer: 
Der frühere Nachtigalplatz in Berlin heißt seit dem 2. Dezember 2022 Manga-Bell-Platz – nach Rudolf Duala Manga Bell und seiner Frau Emily. © dpa

Mannheim. Welche Straßennamen sollen auf die Gustav-Nachtigal-, die Leutwein- und die Lüderitzstraße sowie den Sven-Hedin-Weg folgen? Diese Frage diskutiert man nicht nur vor Ort, sondern auch in der Stadtgesellschaft, die ja im Herbst gemäß Beschluss des Gemeinderates darüber abstimmen soll. Der ehrenamtliche Arbeitskreis (AK) Kolonialgeschichte wirbt für Repräsentanten des antikolonialen Widerstandes. Seine jüngste öffentliche Veranstaltung widmete er Rudolf Duala Manga Bell, 1914 Opfer eines Justizmordes der deutschen Kolonialmacht in Kamerun.

Das Interesse ist groß. Die 50 Plätze im Saal im Bildungszentrum Sanctclara gegenüber der Jesuitenkirche sind besetzt. Wohl auch deshalb, weil der Arbeitskreis einen interessanten Referenten präsentiert: Jean-Pierre Félix-Eyoum, Großneffe von Rudolf Duala Manga Bell.

Mehr zum Thema

Geschichte

Umgang mit kolonialen Kulturgütern: „Mannheim ist Nachzügler“

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren
Erinnerungskultur

Countdown zur Straßen-Umbenennung in Rheinau-Süd läuft

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren
Erinnerungskultur

Bürger-Ideen für neue Straßennamen in Mannheim-Rheinau-Süd

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren

Der 72-Jährige ist in Kamerun geboren, lebt seit 1971 in Deutschland, derzeit in Erding bei München, ist bis zu seiner Pensionierung als Sonderschullehrer in Bayern tätig. Was seine Heimat ist? „Inzwischen natürlich Deutschland“, sagt er, „aber auch Kamerun. Denn dort liegen ja meine Wurzeln.“

Ab 1868 deutsche Missionare und Kaufleute

In seinem berührenden Vortrag entführt Félix-Eyoum die Zuhörer in das Land an der Westküste Afrikas, um ein Drittel größer als die Bundesrepublik. Ab 1868 lassen sich dort deutsche Missionare und Kaufleute nieder. Doch Ziel ist die formale Unterwerfung. Um diese endlich zu erzwingen, beschießt ein deutsches Kanonenboot im Sommer 1884 die Küstenstadt Duala; der Königspalast wird geplündert, Kunst- und Kultgegenstände werden geraubt.

Leiter dieser Operation ist ein gewisser Gustav Nachtigal. Am 12. Juli 1884 wird der „Schutzvertrag“ zwischen dem Deutschen Reich und mehreren Stämmen unterzeichnet. Die Häuptlinge ziehen aus ihrer militärischen Hilflosigkeit eine kluge Folgerung: Sie setzen auf Bildung, schicken ihre Söhne nach Deutschland zur Schule. Rudolf Duala Manga Bell, Enkel des Königs der Duala, kommt 1891 nach Aalen, dann 1896 nach Ulm auf eine Lateinschule.

Duala Manga Bells Großneffe Jean-Pierre Felix-Eyoum beim Vortrag. © K. Groß

1897 kehrt er, 24 Jahre alt, in seine Heimat zurück. Hier spitzt sich die Lage zu. Unter den Gouverneuren von Puttkammer und Theodor Seitz herrscht ein brutales Gewaltregiment; Kamerun wird bekannt als „Land der 25 Hiebe“. Denn das Züchtigen mit Nilpferdpeitschen, die lebenslang tiefe Narben hinterlassen, wird hier exzessiv angewandt.

Hinzu kommt die vor allem von Seitz propagierte Rassentrennung, auch siedlungsmäßig. Ein Plan sieht eine Stadt für Europäer vor, eine für Afrikaner. Wobei die Europäer die attraktiven Grundstücke am Fluss erhalten sollen, die Afrikaner jene in den moskitobelasteten Sümpfen stärker im Landesinneren. Das widerspricht nicht nur dem Vertrag von 1884, der den Einheimischen ihren Grundbesitz garantiert, sondern entzieht ihnen die Lebensgrundlage.

Kolonial-Arbeitskreis weist Vorwürfe aus Rheinau-Süd zurück

  • Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte Mannheim hat die Äußerungen des Vorsitzenden der Siedlergemeinschaft Rheinau-Süd über seine Arbeit zurückgewiesen. „Wir sind ehrenamtlich tätig“, sagte AK-Mitglied Hildegard Klenk in ihrer Begrüßungsrede bei der Veranstaltung über Duala Manga Bell im Bildungszentrum Sanctclara (siehe oben).
  • Auf der Mitgliederversammlung der Siedlergemeinschaft am 17. April hatte deren Vorsitzender Hans Held kritisiert, im Unterschied zu seiner Organisation werde der Arbeitskreis „von der Stadt finanziell unterstützt“ (der „MM“ berichtete). „Damit wird der Eindruck erweckt, dass wir sozusagen als verlängerter Arm der Stadt Mannheim agieren“, widersprach Klenk jedoch: „Dem ist nicht so.“
  • Nach ihren Worten erhält der Arbeitskreis lediglich „wie viele andere Initiativen auch“ Mittel aus dem städtischen „Aktionsfonds zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsradikalismus, Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiziganismus.“ Damit würden externe Referenten, Raumkosten und Flyer beglichen. „Für unsere eigene ehrenamtliche Tätigkeit bekommen wir nichts“, versichert Klenk: „Das bezahlen wir aus unserer eigenen Tasche. Das macht uns nicht arm. Und das ist uns das Thema auch wert.“
  • Held hatte außerdem im Hinblick auf seine Teilnahme an Podiumsdiskussionen kritisiert: „Ich werde immer eingeladen vom Kolonialkreis, als Alibifunktion.“ Klenk zeigte sich enttäuscht, dass das Ansinnen des Arbeitskreises nach einem Dialog „auch gegenüber denen, die unsere Namensvorschläge kritisch sehen“, nun derart negativ bewertet werde.

Protest gegen Vertragsbruch

Sie wehren sich - nicht mit Gewalt, sondern mit Petitionen. Bell, inzwischen König der Duala, aber durch seinen Aufenthalt in Deutschland geprägt, vertraut auf Parlamente und Gerichte. „Er glaubte an Recht und Gerechtigkeit“, formuliert sein Großneffe. Doch die meisten seiner Protest-Telegramme werden abgefangen oder schaffen es nur bis zum Kolonialamt. Eine Petition jedoch erreicht den Reichstag und dort, dass die Gelder für das Projekt ausgesetzt werden - allerdings nur kurz.

Bell wird festgenommen und beschuldigt, die deutsche Kolonialherrschaft beseitigen und durch die Englands ersetzen zu wollen, Hochverrat also. Das alles in der aufgeheizten Stimmung unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Die Gerichtsverhandlung ist eine Farce, Bells Pflichtverteidiger der Anwalt der deutschen Geschäftsleute, die von der Teilung der Stadt profitieren. „Parteiverrat nennt man das juristisch“, erinnert sein Großneffe.

Am 7. August 1914 wird Bell zum Tode verurteilt und bereits am Tag darauf gehängt - vor den Augen seines Volkes. Drei Tage lässt man den Leichnam in sengender Sonne hängen - als Warnung. In Deutschland interessiert das keinen mehr: Seit vier Tagen herrscht in Europa Krieg. Als Deutschland den verliert, wird der Großteil Kameruns französisch.

Ab 1960 ist das Land unabhängig und erinnert sich Bells, der zum Nationalhelden wird. Er ruht in einem Mausoleum, an dem die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul (Grüne), 2022 einen Kranz niederlegt. Denn im Zuge der Aufarbeitung der Kolonialpolitik beschäftigt man sich auch in Deutschland mit dem Unrecht an ihm. Derzeit liegt eine Petition beim Bundestag, das Urteil von 1914, das längst als Justizmord gilt, auch formal aufzuheben und Bell offiziell zu rehabilitieren.

Viele Städte tun dafür das Ihrige. Im Oktober 2022 benennt Ulm, wo Bell einst zur Schule geht, in Anwesenheit von Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) den Platz vor dem Justizgebäude nach Bell. Am 2. Juli 2023 wird Aalen folgen, sein erster früherer Wohnort. Auch in Berlin gibt es seit Dezember 2022 einen Manga-Bell-Platz - an Stelle des Nachtigalplatzes. Ein Vorbild für Mannheim, so ist man sich am Vortragsabend einig. „Die Deutschen sollten das nicht für uns tun“, mahnt ein junger Mann aus Kamerun, „sondern um ihrer selbst willen.“

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen