Mannheim. Morgens pünktlich um halb acht warten rund um das neue Mannheimer Stadtquartier Franklin Schulkinder auf die Abfahrt des Schulbusses. Aber wer ein Gefährt auf Rädern mit Scheinwerfern und Sitzplätzen erwartet, staunt nicht schlecht, wenn von den acht Haltestellen Kindergruppen zielsicher Richtung Schule „abfahren“. Ausgestattet sind mit Warnwesten und Stirnlampen sind sie von weitem gut zu sehen und erinnern im Dunkeln tatsächlich an einen kleinen Bus - nur eben zu Fuß. „Den Laufbus gibt es jetzt seit Anfang September“, berichtet Stefanie Heng-Ruschek. Sie ist die Verantwortliche für das Projekt und hatte die Idee, regelmäßige und strukturierte Laufgemeinschaften zur Grundschule zu organisieren.
Sie ist mit ihrer Familie im Spätsommer 2020 aus Frankfurt nach Mannheim gezogen. Früher seien ihre Kinder bereits immer alleine zur Schule gelaufen. Als sie in Franklin ankommt, ist Heng-Ruschek erstaunt, dass eine solche Routine hier gar nicht etabliert ist. Tatsächlich wohnen viele Kinder weit entfernt von der Schule und werden daher vermehrt von ihren Eltern im Auto zur Schule gebracht - und zwar einzeln. „Die Leute sind neu hergezogen und kennen ihre Nachbarschaft noch nicht“, erklärt sich Heng-Ruschek diesen Umstand. Aber: „Alle Kinder haben die gleichen Schulzeiten und können sich dann zusammenfinden, je nachdem wo sie wohnen.“ Für die Organisation eines Laufbusses die perfekten Voraussetzungen. Gesagt, getan: Im Frühsommer diesen Jahres beginnt die Planung. Unterstützt von der Jugendverkehrsschule Mannheim sowie der städtischen Entwicklungsgesellschaft MWSP kommt das Projekt Laufbus schnell ins Rollen.
Die beteiligten Eltern laufen und fahren Strecken ab, messen Zeiten von Haltestelle zu Haltestelle und entwickeln gemeinsam mit der MWSP Laufrouten. Pünktlich zum neuen Schuljahr kommen die Kinder schließlich auf sieben festgelegten Linien, die das komplette Areal in und rund um Franklin erschließen, morgens zur Schule und nachmittags wieder zurück. Dabei passieren sie mehrere Haltestellen, an denen andere Kinder zu festgelegten Uhrzeiten dazustoßen können. Die Fahrpläne sind auf der Website der Schule zugänglich und werden so auch eingehalten.
„Es gibt für jede Linie immer zwei Busfahrerinnen. Das sind meistens die älteren Kinder, die das Tempo bestimmen und darauf achten, dass sich alle an die Regeln halten“, erklärt Heng-Ruschek. Am letzten Freitag, vor den jetzt zu Ende gegangenen Weihnachtsferien, war bereits um zwölf Uhr Schule aus statt wie üblicherweise um 16 Uhr am Nachmittag. Heng-Ruscheks Tochter Sophia und ihre Freundin Aayah (beide acht Jahre alt) treffen sich mit ihrer Laufgruppe am vereinbarten Abfahrtsort vor der Schule. Sie sind beide Busfahrerinnen ihrer Linie und haben dafür sogar extra eine Ausbildung gemacht. „Sie haben das richtig geübt, wie sie sich an der Straße oder an Kreuzungen verhalten und in den ersten drei Wochen ist immer eine erwachsene Begleitperson mitgelaufen“, erinnert sich Stefanie Heng-Ruschek.
Auch die Jugendverkehrsschule begleite immer wieder Wege und unterstütze sie somit bei der Verkehrserziehung. Mittlerweile kennen die Kinder die Wege in und auswendig und sind selbständig unterwegs. „Meine Eltern können mich nicht zur Schule bringen, weil sie früher mit dem Auto zur Arbeit müssen“, erzählt Aayah. Sie ist daher von Anfang an beim Laufbus dabei. Als Busfahrerinnen wissen sie genau, wo es noch Verbesserungspotential gibt. „Manche Kinder machen Quatsch oder rennen vor uns“, kritisiert Sophia. Trotzdem: Dank des gemeinsamen Laufens knüpfen die Kinder Kontakte, kommen wach an der Schule an und nicht zuletzt wird die Selbständigkeit gefördert.
Denn das Franklin-Quartier befindet sich immer noch im Aufbau. An vielen Stellen fehlen Beschilderungen und Ampeln, auch Übergänge oder Zebrastreifen sind nicht noch nicht vollständig eingezeichnet. „Wir haben teilweise keine richtigen Gehwege, weil die Straßen noch nicht endausgebaut sind“, so Heng-Ruschek. Die Kinder müssen daher oftmals improvisieren oder die Straße benutzen. Aus diesem Grund kann auch die Fahrradbus-Linie, die von der weiter entfernten Siedlung Sullivan normalerweise zur Schule führt, momentan nur erschwert befahren werden.
„Die Wege sind so matschig, dass die Kinder letztendlich doch wieder mit dem Auto gebracht werden“, erklärt die Projektleiterin. Ein weiteres Problem hat dagegen wenig mit den örtlichen Gegebenheiten als mit den Bewohnerinnen und Bewohner zu tun. „Es hat sich so eingebürgert, dass die Autos auf den Gehwegen parken und somit die Laufwege der Kinder versperren. Die wiederum müssen dann auf der Straße laufen“, kritisiert Heng-Ruschek. „Wenn man die Leute anspricht, stößt man aber leider auf völlige Uneinsichtigkeit oder wird sogar beleidigt.“
Mittlerweile habe die MWSP Parkmöglichkeiten auf der Straße eingezeichnet - wer falsch parkt, wird abgeschleppt. Katka Klein, eine der insgesamt zehn Laufbus-Koordinatorinnen findet: „Es müsste noch besser kommuniziert werden, dass ein autoreduziertes Leben zum Wohnkonzept gehört.“ Dennoch: Die Frauen sehen großes Potential für Franklin, gerade weil noch viel zu tun ist. Stefanie Heng-Ruschek betont: „Wenn man Projekte wie den Laufbus umsetzt, trifft man ja auch auf Gleichgesinnte. Es ist toll, dass man das Leben so mitgestalten kann.“
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