Mannheim. Er findet es "eine Sauerei, eine Schweinerei und irrsinnig": So schimpft Rolf Götz, der Sprecher der Feudenheimer CDU-Bezirksbeiräte - und er ist nicht allein. Sein Kollege René Leicht von den Grünen ist "entsetzt", Christiane Säubert von der Mannheimer Liste (ML) nennt das alles "sehr, sehr schade, unfassbar, unverständlich einfach nicht nachvollziehbar". Derart harte Worte fallen quer durch die Parteien, denn alle ärgert das, was in der Talstraße 44 passiert ist.
Die Bagger stehen bereit, die alte, nur zweistöckige Bebauung ist abgerissen, der Bauzaun mit Bildern der Planung des Neubaus versehen. Nach Angaben der Stadtverwaltung plant ein privater Bauherr hier ein Gebäude mit drei Vollgeschossen plus einem Staffeldachgeschoß mit zwölf Wohneinheiten. Die Firsthöhe wird bei 11,75 Metern über der Geländeoberfläche liegen. Eine Tiefgarage ist nicht geplant. Das Gebäude erstreckt sich entlang der Talstraße über die gesamte Grundstücksbreite (25,65 Meter) und hat eine Bautiefe von bis zu 13,50 Metern.
"Die Baugenehmigung wurde bereits erteilt", erklärt das Baudezernat der Stadt. Zuvor hatte es aber lange Verhandlungen mit dem Investor gegeben. Seit Januar 2020 zog sich das hin. Die Stadt fand, dass sich die Planung nicht in die vorhandene Umgebung einfügt, die städtischen Naturschützer betrachteten die 17 Meter hohe Rosskastanie als "schützenswert und gebietsprägend", wie es in einem Brief der Behörde heißt.
"Wir wollten, dass das geplante Wohngebäude so verkleinert wird, dass der prägende und erhaltenswerte Baum erhalten bleiben kann", erklärte das Dezernat von Umweltbürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne) nun auf Anfrage dieser Redaktion. Nachdem das Regierungspräsidium Karlsruhe aber die Zulässigkeit der Planung bestätigt habe, habe Mannheim den Bau zulassen müssen. "In der Konsequenz mussten wir die Rosskastanie zur Fällung freigeben", so die Stadt.
Das bestätigt auf Anfrage auch das Regierungspräsidium. Zunächst habe die Stadt das Bauprojekt abgelehnt - weil es sich nicht in die Umgebung einfüge, und unter Verweis auf die Baumschutzsatzung. Diese Sicht habe das Regierungspräsidium zunächst geteilt. "Nach einem Ortstermin kam das Regierungspräsidium zu der Auffassung, dass sich das Vorhaben bei einer Reduzierung des Baukörpers sowohl hinsichtlich der Kubatur als auch der Bautiefe einfüge", so die Sprecherin der Karlsruher Behörde. Die sah auch für den Erhalt der Rosskastanie keine Chance. "Gesichtspunkte des Baumschutzes haben grundsätzlich hinter einem bestehenden Baurecht zurückzutreten, sofern der Baum nicht durch eine vertretbare Verschiebung oder Modifikation des Baukörpers erhalten werden kann", erklärte die Sprecherin. Die Rechtsprechung setze die Hürden, solche Bauprojekte wegen eines Baums zu verhindern, "sehr hoch" an, so die Karlsruher Behörde.
Da nach Ansicht des Regierungspräsidiums "weder eine vertretbare Verschiebung des Baukörpers noch eine Modifikation in Betracht kam", müsse die Fällerlaubnis - mit Ersatzpflanzungen - erteilt werden. Diese Ersatzpflanzungen hat der Investor in einem Telefonat mit dem "MM" zugesagt, "auf eigenen Grundstücken in Mannheim", wie er sagte. Dafür schaffe er in Feudenheim Mietwohnungen, und der Baum in der Talstraße sei immerhin krank, sagte er, wollte aber nicht weiter Stellung nehmen.
Einst bekannte Gaststätte
"Der Bau ist 150 Jahre alt, hat Zwei Weltkriege überlebt, das ist Quatsch", entgegnet Rolf Götz. Er sei "fassungslos", dass die Fällung erlaubt werde, "und da ist sich der gesamte Bezirksbeirat einig", so Götz. Auch die SPD Feudenheim bedauere den Verlust dieses Baumes, so deren Bezirksbeiratssprecher Klaus Glas. "Eine gute Durchmischung eines Wohnortes lebt von integrierter Bepflanzung, vor allem im Hinblick auf den Klimawandel", argumentiert er, auch wenn dem "die dringliche Schaffung neuen Wohnraumes" gegenüberstehe. "Es bleibt zu hoffen, dass die Genehmigung zur Fällung der Kastanie sachlich korrekt begründet ist", sagt Klaus Glas.
Aus Sicht von FDP-Bezirksbeirätin Birgit Sandner-Schmitt lief das Verfahren schon deshalb nicht korrekt, weil "der Bezirksbeirat erst spät und zufällig, nämlich durch die Bauschilder, davon erfahren hat und somit vor vollendete Tatsachen gestellt war", wie sie kritisiert. Sie würde sich "von allen Beteiligten mehr Fingerspitzengefühl und einen respektvolleren Umgang mit der Ressource Baugrund und Einbindung in die Umgebung wünschen". Schließlich falle da nicht nur "ein wunderschöner, gesunder und fürs Mikroklima enorm wichtiger Baum, sondern auch ein großes Stück Feudenheimer Geschichte", verweist Sandner-Schmitt darauf, dass es sich bei dem abgerissenen Gebäude um ein Haus mit über 130-jähriger Tradition handelt. Einst als Gaststätte "Villa Hochburg" mit Ausflugslokal und Biergarten betrieben, war es Gründungsort mehrerer Sportvereine, unter anderem des TSV Badenia, später war dort ein Kino. Seit dem Abriss sieht man daher an der Wand des Nebengebäudes noch Wandmalereien.
"Trauer und Wut"
Laut René Leicht sind die Feudenheimer Grünen "entsetzt, dass es die Rechtslage zulässt, dass der Investor eine alte erhabene und gebietsprägende Kastanie dem Erdboden gleich machen darf", beklagt er sich. "Das erfüllt mich nicht nur mit Trauer, sondern auch mit Wut, weil dies kein Einzelfall ist", ärgert er sich und fordert daher eine Verschärfung der Baumschutzverordnung. Wenn es "um die Frage der Verträglichkeit mit dem Ortsbild und der Umwelt geht", müsse bei so einem Projekt die Stadt den Bezirksbeirat einschalten. Christiane Säubert vermutet indes, dass die Stadt die Meinung des Bezirksbeirats "sowieso nicht interessiert, sondern sie nur lästiges Beiwerk" ist. Einerseits habe sie "Verständnis für einen Investor, der in der Regel nicht aus Nächstenliebe Häuser baut, sondern um Geld zu verdienen", so Säubert: "Andererseits sollte gerade in einer Stadt, in der man mit Klimaneutralität wirbt und von Green Deals spricht, hier auch etwas genauer hingeschaut und strenger verfahren werden."
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Fällung der Feudenheimer Rosskastanie: Völlig unverständlich!