Interview

Stadtbild-Streit: Ludwigshafener CDU-Mann Sertac Bilgin greift „Linksgrüne“ an

Könnten sich Leute mit Migrationshintergrund in der Stadtbild-Debatte von Friedrich Merz angegriffen fühlen? Der Unternehmer Bilgin widerspricht und sieht den Schlüssel zum Stadtbild woanders.

Von 
Stephan Alfter
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Sertac Bilgin ist CDU-Politiker und Bundestagskandidat im Wahlkreis Ludwigshafen-Frankenthal. Im Wahlkreis bekam er die meisten Stimmen, aber sein Mandat fiel der Verkleinerung des Bundestages zum Opfer. © Bernhard Zinke

Ludwigshafen. CDU-Mann Sertac Bilgin, Gewinner des Wahlkreises Ludwigshafen-Frankenthal bei der Bundestagswahl im Februar, hat sich mit einer öffentlichen Stellungnahme in der Stadtbild-Debatte klar an der Seite von Bundeskanzler Friedrich Merz positioniert. Die „linksgrüne Filterblase“ kritisiert er für die Demonstration auf dem Mannheimer Marktplatz.

Herr Bilgin, waren Sie schon mal am Ballermann?

Sertac Bilgin: Nein, da war ich noch nicht.

Was meinen Sie, was die Inselbewohner denken, wenn im Sommer die deutschen Touristen einfallen?

Bilgin: Wenn ich rumpöble, wenn ich irgendwo in die Ecke uriniere und mich asozial verhalte, dann regt man sich auf. Aber keiner würde sich aufregen, wenn ich ganz normal durch die Stadt bummeln würde.

Wir sprechen also vom viel diskutierten „Stadtbild“.

Bilgin: Das Stadtbild hat auch was mit Sicherheit zu tun. Fühlen sich die Frauen, die Einwohner dort sicher? Aktuelle Zahlen zeigen, dass sich Frauen in deutschen Großstädten oft nicht wohlfühlen. Ich habe gerade einen Artikel über Berlin-Neukölln gelesen. Wenn die Frauen dort abends weggehen, ziehen sie über ihre Abendgarderobe Jogginganzüge an, um nicht begrabscht oder bepöbelt zu werden.

Das ganze Problem hat sich mit den Jahren aufgebaut. Und weil jetzt Friedrich Merz diesen Satz benutzt hat, wird von der linksgrünen Blase versucht, ein Fass aufzumachen. Es hat doch etwas mit Meinungsfreiheit zu tun, wenn man sagt: „Hier stimmt was nicht.“

Sertac Bilgin



Sertac Bilgin (44) ist verheiratet und hat drei Kinder (19, 15, 9).

Er hat eine Ausbildung als Gas-Wasser-Installateur absolviert. Anschließend hat er eine zweite Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger hinter sich gebracht.

Nach einem Fernstudium hat er in Ludwigshafen einen kultursensiblen Pflegedienst gegründet. Sein Unternehmenn MKS-Medical GmbH beschäftigt allein im Pflegebreich 35 Personen.

Nebenberuflich ist er seit 2009 politisch in der CDU aktiv. Er ist auf allen Ebenen vom Ort bis zum Bund in Gremien vertreten. In Rheinland-Pfalz wirkt er als Dialogbeauftragter für seine Partei als Bindeglied zwischen migrantischen Kulturvereinen und der Landes-CDU.

Aber kommt es denn nicht auch darauf an, wie man es sagt, damit es nicht als rassistisch ausgelegt werden kann?

Bilgin: Ist man ein Rassist, wenn man diese Dinge adressiert?

Sie unterstützen Bundeskanzler Friedrich Merz und haben kürzlich sogar eine öffentliche Stellungnahme verschickt. Sie behaupten dort, dass es so viele Themen gibt, über die wir nicht mehr ehrlich sprechen. Ist es ehrlich, wenn man von „kleinen Paschas“ spricht und pauschal junge Männer aus dem arabischen Raum meint.

Bilgin: Wo fängt Rassismus an? Da wurde von Linksgrünen ein Fass aufgemacht. Und dann stellen die sich sonntags auf den Mannheimer Marktplatz und sagen: „Wir sind das Stadtbild.“ Bei der Demonstration habe ich kaum Menschen mit Migrationshintergrund gesehen – ausgerechnet an dem Ort, an dem Rouven Laur ermordet wurde. Das empfinde ich als widersprüchlich und respektlos den Polizistinnen und Polizisten sowie den Angehörigen gegenüber.

Sie meinen, an diesem Platz darf man nicht gegen Merz demonstrieren?

Bilgin: Doch, schon, aber die Aussage dann so aufzubauschen. Ich habe sehr viele Freunde, die auch einen Migrationshintergrund haben. Die haben ja auch gesagt, dass Merz recht hat.

Sie fühlen sich also nicht negativ angesprochen? Meint Merz denn nicht die Leute, die wie Sie und ich dunkle Haare und dunkle Augen haben?

Bilgin: Ich habe das so nicht verstanden. Eher im Gegenteil. Meine Kinder sind die vierte Generation unserer Familie hier. Nur weil ich nicht aussehe wie der Hans, der Michael oder der Martin, muss man mich nicht über einen Kamm scheren mit Leuten, die sich nicht an Recht und Ordnung halten.

Genau, aber das macht Friedrich Merz doch indirekt mit seinem Stadtbild-Kommentar.

Bilgin: Also nein, das denke ich nicht, dass er das jetzt so gemeint hat. Definitiv nicht.

Sie haben in Ihrem Schreiben von der „linksgrünen Filterblase“ gesprochen, von der „linksgrünen Gutmensch-vor-Ort-Rhetorik“. Im AfD-Sprech würde man noch „versifft“ hinzufügen. Warum machen Sie das?

Bilgin: Linksgrün ist für mich diese dauernde Schönheitsrhetorik. Die Grünen reden immer alles schön. Und die Linke wirft dem Bundeskanzler Rassismus vor, nur weil er das sagt, was viele denken.

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Aber er sagt es ja nicht konkret. Er spricht nur vom Stadtbild und lässt diesen Begriff als Metapher stehen. Jeder darf jetzt alles reininterpretieren. Warum hat er nicht gesagt: „Wir sind schon weit gekommen auf dem Weg, illegale Migration zu bekämpfen?“

Bilgin: Er hat es halt so formuliert und so definiert, um dieses Problem mal anzustoßen und ihm einen Namen zu geben.

Es brauchte aber keinen neuen Namen. Es geht um Migration. Es gibt doch fast kein anderes Thema mehr. Zugespitzt: Wenn der illegale Ausländer aus dem Stadtbild verschwindet, dann gibt es keine Probleme mehr in Deutschland?

Bilgin: In meinem Kulturkreis haben die Leute das richtig verstanden haben. Wir reden hier über illegale Personen.

Als ein Journalist Herrn Merz gefragt hat, wie er das mit dem Stadtbild meint, hat der Bundeskanzler zu ihm gesagt: Fragen Sie mal ihre Töchter. Das war wieder keine konkrete Aussage.

Bilgin: Das kann ich Ihnen als Vater auch beschreiben. Meine Tochter ist 15 Jahre alt. Sie ist ja sehr selbstbewusst, aber bei manchen Sachen sagt sie dann: „Papa, kommst du mit?“ Es ist halt ein Gefühl.

Um was geht es genau?

Bilgin: Um die Blicke von den jungen Männern. Wie soll ich mich verhalten, wenn was passiert? Mein Sohn ist 18. Als er am Bahnhof in Ludwigshafen angekommen ist, als er aus Brüssel zurückkam, hat er gesagt: „Papa, hol mich ab. Papa hol mich ab, schnell!“

Vor was hatte er Angst?

Bilgin: Wenn er nachts auf dem Bahnhof ist, dann gibt es dort halt Gruppierungen von jungen Leuten.

Was sind das für Leute gewesen?

Bilgin: Das waren überwiegend junge Männer mit dunklerer Hautfarbe.

Alles illegale Migranten?

Bilgin: Das weiß ich nicht und das möchte ich keinesfalls behaupten – es geht mir hier nicht um Herkunft, sondern um aggressives Gruppenverhalten.

Ich will nochmal darauf zurückkommen, dass Sie in ihrer Rhetorik eher die Linksgrünen als politischen Hauptgegner sehen und nicht die AfD auf der rechten Seite. Was ist denn ein Gutmensch?

Bilgin: Also meine Sprache ist immer offen, immer ehrlich und geradlinig. Es steht immer Klartext. Das ist das Wichtigste, was ich vermitteln möchte.

Klartext, der für andere beleidigend sein könnte.

Bilgin: Wo fangt hier die Beleidigung an? Ich komme aus der Pflege. Ich bin es gewohnt, offen und ehrlich zu sprechen. Ich pflege Menschen, die eventuell noch einen Monat zu leben haben. Ich habe auch Patienten, die ich seit 15 Jahren pflege. Wir pflegen aktuell die Menschen, die dieses Land aufgebaut haben – den Wohlstand hier.

Ich bin aber gleichzeitig Generalsekretär vom türkisch-deutschen Unternehmerverband. Ich weiß, wie viele Millionen Steuergelder hier bezahlt werden von Migrantenunternehmen, die hier auch Arbeitsplätze bieten, die auch hier ihre Steuern bezahlen. Ich habe viele Leute gefragt, meine Ehefrau, meine Kinder, den Freundeskreis. Alle sagen: Was ist das Problem mit der Aussage von Merz?

Was ist denn das eigentliche Problem aus ihrer Sicht?

Bilgin: Ich sehe in den kommenden zehn Jahren noch ein ganz anderes Problem im Stadtbild. Bildung ist das größte Schlüsselwort. Bildung öffnet die Kultur, Bildung öffnet den Menschen. Bildung und die Sprache öffnen auch den wirtschaftlichen Aspekt. Wir kommunizieren hier auf Deutsch.

Aber schauen Sie mal in die Kitas rein. Wir haben kein verpflichtendes Kita-Jahr. Wir haben kein Verpflichtungsjahr für die Bildung, also für die Deutschkenntnisse. So bauen wir Menschen auf, die uns später im Sozialsystem Geld kosten. Für mich ist es wichtig, Menschen in das Land zu integrieren. Bilden wir doch die Fachkräfte aus, bitte. Wir haben doch das Potenzial. Wir sind doch das Land der Dichter und der Denker. Wir haben keine Rohstoffe, wir haben kein Öl, wir haben kein Gold. Unser Rohstoff ist unser Wissen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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