Ludwigshafen. Die Trauer hängt am Sonntag über Oggersheim wie eine bleierne Decke. Das kleine Meer aus Grablichtern, Kerzen und Blumen auf dem Bürgersteig in der Philipp-Scheidemann-Straße bildet einen Farbtupfer inmitten einer Menge überwiegend in Schwarz gekleideter Menschen. Der Reihe nach gehen sie in die Hocke, entzünden ein Licht, legen eine Rose ab oder halten einfach nur für einen Moment inne. In Gedanken sind sie bei den Opfern des brutalen Messerangriffs, der am Dienstag Ludwigshafen erschüttert und weit über die Region hinaus für Entsetzen gesorgt hat. Bei den zwei jungen Männern, 20 und 35 Jahre alt, die bei dem Gewaltakt ihr Leben lassen mussten. Angehörige weinen um ihre Söhne oder Geschwister, Weggefährten um ihre Freunde, viele nehmen Anteil.
1000 bis 1200 Menschen sind am Sonntag nach Schätzungen der Polizei zu einem Trauerzug für die Opfer der Bluttat zusammengekommen, die ein 25-jähriger Somalier verübt haben soll und deren brutale Details sprachlos machen. Unvermittelt soll der Mann mit einem 30 Zentimeter langen Messer auf die Handwerker losgegangen sein. Den 20-Jährigen tötete er laut Polizei mit mehreren Stichen in die Brust, den Älteren, der seinem Begleiter zur Hilfe eilen wollte, mit einem Stich in den Hals. Dem jüngeren trennte der Verdächtige dann nach bisherigen Erkenntnissen einen Unterarm ab und warf diesen auf den Balkon seiner Ex-Freundin, die in der Nähe lebt. Sie hatte sich vor kurzem von dem 25-Jährigen getrennt.
Um 12.20 Uhr gingen die ersten Notrufe bei der Polizei ein. Genau um diese Zeit versammeln sich nun am Sonntag Hunderte Bürgerinnen und Bürger am Tatort. Um 12.25 Uhr ruft die Organisatorin des Trauermarschs zu einer Schweigeminute auf. Stille legt sich über die Menge in der Straße, auch auf den Balkonen der umliegenden Mehrfamilienhäuser stehen schweigende Menschen.
Weg des Angreifers abgelaufen
Nach der Gedenkminute setzt sich der Trauerzug ganz langsam in Bewegung. Vorneweg geht die Organisatorin mit den Eltern des getöteten 20-Jährigen. Ein schier endloser Strom von Menschen schließt sich an. Durch eine Unterführung gehen sie in die Comeniusstraße, vorbei an zwei Kindergärten bis zum Drogeriemarkt Rossmann gegenüber der Endhaltestelle Oggersheim - dem zweiten Tatort. Es ist genau der Weg, den auch der Angreifer am Dienstag zurückgelegt hat. Im Drogeriemarkt griff er ein weiteres Opfer, einen 27-Jährigen, an, und verwundete ihn schwer. Der Mann ist inzwischen außer Lebensgefahr. Polizisten schossen den 25-Jährigen im Drogeriemarkt nieder. Er wurde notoperiert und befindet sich weiterhin im Krankenhaus. Am zweiten Tatort hält die Trauergemeinschaft abermals für eine Minute inne.
„Es war mir ein Anliegen, ein Zeichen zu setzen und Anteil zu nehmen“, sagt die Frau, die den Trauermarsch organisiert und angemeldet hat, im Gespräch mit dieser Redaktion. Ihren Namen möchte sie nicht in den Medien lesen, sie wolle sich selbst nicht in den Vordergrund drängen, sagt sie. Die 33-Jährige ist in Oggersheim aufgewachsen und wohnt in der Nähe des zweiten Tatorts. Die Opfer kannte sie persönlich nicht, und dennoch wollte sie aktiv werden. Dass so viele Menschen ihrem Aufruf folgen werden, damit hatte sie nicht gerechnet. „Aber es ist ein schönes Zeichen des Mitgefühls an einem sehr schweren Tag für uns alle“, betont sie.
Bei der Veranstaltung sei es der 33-Jährigen um ein Zeichen der Trauer und der Anteilnahme gegangen, nicht um ein politisches. Da der Verdächtige als Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist, entbrannten in den sozialen Medien nach der Tat Diskussionen um die Flüchtlingspolitik. Diese möchte die Organisatorin nicht kommentieren.
„Kann helfen, abzuschließen“
Immer wieder hört man am Sonntag Gespräche in diese Richtung. Mit Merkel habe alles angefangen, sagt ein Mann. Eine Frau trägt ein weites weißes Gewand, auf dem die Namen von Opfern stehen, die bei Verbrechen durch Zugewanderte gestorben sind. „Wo ist die Oberbürgermeisterin? Wo ist Malu Dreyer?“, fragt ihr Begleiter. Eine andere Frau widerspricht: „Wir leben hier alle gemeinsam in dieser Stadt. Die Nationalität ist dabei ganz egal. Wenn jemand ein Arschloch ist, dann ist er ein Arschloch.“
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„Das hier soll keine politische Veranstaltung sein und von keiner Partei missbraucht werden“, betont Reinhard Herzog, Notfallseelsorger, der aber auch selbst kommunalpolitisch aktiv ist. Die Trauer stehe im Vordergrund, und die große Anteilnahme der Ludwigshafener sei eine gute Sache. „Das Ablegen von Kerzen und Blumen tut gut nach so einer schrecklichen Tat. Es kann helfen, mit dem Geschehenen abzuschließen“, sagt er. Solche Rituale seien wichtig, um in die Normalität zurückkehren zu können. Und auch den Angehörigen tue der Zuspruch gut, sagt der Seelsorger.
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