Finanznot

Rückzahlung von Gewerbesteuer in Ludwigshafen: Was wusste die Stadt?

Zu den Steuerrückzahlungen in Höhe von 170 Millionen Euro in Ludwigshafen sind noch viele Fragen offen. Was eine Kartellstrafe gegen die BASF damit zu tun hat und was ein Steuerexperte der Stadt vorwirft

Von 
Julian Eistetter
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Große Unternehmen in Ludwigshafen haben gegen Gewerbesteuermessbescheide geklagt. © Uwe Anspach/dpa

Ludwigshafen. Die Finanzlage in Ludwigshafen ist seit Jahren prekär. Verschärft wurde sie in diesem Jahr noch durch zwei massive Sondereffekte, die innerhalb weniger Wochen bekannt wurden und Gewerbesteuerrückzahlungen von insgesamt rund 170 Millionen Euro an Unternehmen vorsehen.

Die ungewöhnlichen Vorgänge in Kombination mit der dünnen Informationslage haben viele Fragen aufgeworfen. Was sind die Hintergründe der immensen Rückzahlungsforderungen? Wieso hat diese niemand kommen sehen? Und waren die beiden durch die Stadt vorgelegten und durch den Stadtrat beschlossenen Nachtragshaushalte überhaupt schon erforderlich? Wir haben Antworten auf die wichtigsten Fragen gesucht.

Worum geht es bei der ganzen Sache überhaupt?

In der vergangenen Woche hat der Ludwigshafener Stadtrat auf Antrag der Verwaltung einen zweiten Nachtragshaushalt für 2023 beschlossen. Der Jahresfehlbetrag liegt darin bei rund 200 Millionen Euro. Allein 170 Millionen Euro sind auf zwei „Sondereffekte“ zurückzuführen, über die die Verwaltung in den Vorwochen informierte. Gerichtsentscheidungen hätten dazu geführt, dass diese Summe an Unternehmen zurückgezahlt werden muss.

Gegen wen oder was wurde denn geklagt?

Die Festsetzung der Gewerbesteuer ist ein zweistufiges Verfahren. Anhand des Gewerbeertrags eines Unternehmens ermittelt das Finanzamt einen Messbetrag, der mittels Gewerbesteuermessbescheid an die Kommune geschickt wird. Diese multipliziert den mitgeteilten Messbetrag mit dem in der Stadt festgesetzten Hebesatz und kassiert in der Folge die fällige Summe. Im vorliegenden Fall wurde nun der vom Finanzamt ermittelte Gewerbesteuermessbescheid juristisch angefochten.

Sind der oder die Kläger und der genaue Sachverhalt bekannt?

Teilweise. Bekannt ist, dass Teile der Rückzahlungsforderungen auf einen Rechtsstreit zwischen der BASF und dem Finanzamt Ludwigshafen zurückzuführen sind. Darin geht es im Wesentlichen um die Frage, ob eine kartellrechtliche Strafe der EU gegen das Unternehmen dessen zu versteuernden Gewerbeertrag mindern kann oder nicht. Konkret: Wegen der Beteiligung an einem Kartell bezüglich des Vertriebs von Vitaminen wurde die BASF im Jahr 2001 mit einer Geldstrafe von 296 Millionen Euro belegt (die später noch abgesenkt wurde). Das geht aus einem Amtsblatt der EU hervor.

Das Finanzamt vertrat damals die Ansicht, dass die Geldstrafe den zu besteuernden Ertrag der BASF nicht mindert. Das Unternehmen klagte dagegen. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt gab 2018 zunächst der Finanzbehörde recht. Der Bundesfinanzhof (BFH) verwies das Verfahren im Dezember 2022 aber an das Finanzgericht zurück, da nicht ausreichend ermittelt worden sei, ob in den 296 Millionen Euro bereits ein Abschöpfungsanteil enthalten ist. Denn für den Fall, dass der vom Unternehmen zu unrecht durch das Kartell erzielte Gewinn bereits abgeschöpft worden ist, wäre eine erneute Besteuerung unrechtmäßig.

Dieser Fall kann aber höchstens für einen kleineren Anteil der Rückzahlungsforderungen von 170 Millionen Euro verantwortlich sein, da nur der Abschöpfungsanteil der Strafe abzugsfähig ist. Nach einer groben Schätzung des Mannheimer Steuerexperten und Verfahrensrechtlers Heinrich Braun würde dies maximal rund 27 Millionen Euro inklusive Zinsen ausmachen. Worauf die übrigen Rückzahlungsforderungen zurückzuführen sind, ist nicht bekannt.

Hätte die Stadt das Unheil kommen sehen müssen?

Nach Ansicht von Steuerfachmann Braun ist die Informationslage der Stadt Ludwigshafen nicht korrekt. Diese hatte gegenüber der Presse und dem Stadtrat betont, von den Sondereffekten völlig überrascht worden zu sein. Laut Braun sieht das Gesetzt in Paragraf 184 der Abgabenordnung (AO) und in Paragraf 21 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) umfassende Rechte für Kommunen in Steuerverfahren vor. So können diese an Betriebsprüfungen teilnehmen oder Akteneinsicht beim Finanzamt beantragen.

Im Anwendungserlass zur Abgabenordnung, Paragraf 184, heißt es zudem: „Die Finanzämter sollen aber die steuerberechtigten Gemeinden über anhängige Einspruchsverfahren gegen Realsteuermessbescheide von größerer Bedeutung unterrichten“. Eine Sprecherin des Landesamts für Steuern Rheinland-Pfalz sagt auf Anfrage, dass diese Verwaltungsanweisung - wie alle sonstigen - zu beachten sei. „Die Mitteilung erfolgt über ein entsprechendes Benachrichtigungsschreiben“, erklärt sie. Zeitliche Vorgaben , wann diese Information zu erfolgen hat, gebe es aber nicht.

Was sagt die Stadt zu den Vorwürfen?

„Das Finanzamt hat die Stadtverwaltung während der Amtszeit von Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck und Kämmerer Andreas Schwarz im Vorfeld nicht über den Sachverhalt informiert“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage. „Nach dem aktuellen Kenntnisstand wurde die Verwaltung auch nicht davor sowie in der Vergangenheit zu etwaigen Verfahren über Gewerbesteuerrückzahlungen unterrichtet.“

Die Stadt weist darauf hin, dass Kommunen generell keine Informationen zu juristischen Auseinandersetzungen zwischen der Finanzbehörde und den Steuerschuldnern erhalten. Denn auch die Finanzbehörden müssten das Steuergeheimnis wahren. Sobald eine rechtskräftige Entscheidung vorliege, müssten die Finanzbehörden einen entsprechend geänderten Gewerbesteuermessbetrag ermitteln und einen korrigierten Bescheid an die Kommune schicken.

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Liegt denn überhaupt schon eine rechtskräftige Entscheidung vor?

In der genannten Auseinandersetzung um die Kartellstrafe der BASF liegt noch keine rechtskräftige Entscheidung vor. Wie vorne beschrieben, hat der BFH das Verfahren nach Neustadt zurückverwiesen. „Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, und leider ist auch noch nicht absehbar, wann es zu einem Abschluss kommen wird“, sagt eine Sprecherin des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz auf Anfrage.

Was die Rückzahlungsforderungen der 126 Millionen Euro aus dem zweiten Nachtragshaushalt angeht, ist ein rechtskräftiger Beschluss ebenfalls unwahrscheinlich. Von diesen Forderungen hat die Stadt eigenen Angaben nach in Gesprächen mit Vertretern des Finanzamts erfahren. Ein Änderungsbescheid über den Steuermessbetrag sei bei der Verwaltung noch nicht eingegangen.

Waren die Nachtragshaushalte dann schon erforderlich?

Aus Sicht von Steuerexperte Heinrich Braun gab es für die Stadt „keinen Grund, einen Nachtragshaushalt 2023 zu beschließen - schon gar keine Kreditermächtigungen, mangels Fälligkeit“. Die Stadtverwaltung hält dagegen: „Wir haben seitens des Finanzamts Kenntnis von den möglichen Rückzahlungen erhalten und gehen aufgrund der gerichtlichen Entscheidung von einer hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit aus“, sagt der Sprecher. Daher sei die Verwaltung verpflichtet, buchhalterische Rückstellungen in der genannten Höhe zu bilden.

Wie geht es nun in der Sache weiter?

Zuletzt schaffte es das Thema bis in den rheinland-pfälzischen Landtag. Dort gab es seitens der Ministerin Doris Ahnen auf eine Anfrage aber nur spärliche Informationen. Eine Übernahme des Zinsanteils in den 170 Millionen Euro an Rückzahlungen seitens des Landes ist nicht vorgesehen.

Die Stadt will juristische Schritte gegen die Finanzbehörde prüfen. Und sie hat nun Akteneinsicht beim Finanzamt beantragt - ein Schritt, der früher hätte erfolgen können. Das Verfahren am Finanzgericht Rheinland-Pfalz könnte sich durchaus noch über Jahre ziehen, wenn man den bisherigen Verfahrenszeitraum betrachtet. Wann die Rückzahlungen überhaupt fällig würden, ist also völlig offen.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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