Ludwigshafen. In der vierten Corona-Welle brechen sich die Inzidenzen Bahn. Gleichzeitig fallen Beschränkungen zugunsten von Weihnachtsmärkten weg. Hans-Friedrich-Günther, Geschäftsführer am Ludwigshafener Klinikum, ist wütend. Die Intensivstation wird wieder voller. Sein Ärztlicher Direktor Günther Layer erklärt die Relation zwischen Geimpften und Ungeimpften.
Herr Günther, Sie haben ordentlich Prügel bezogen im Frühjahr, als Sie ihre Mitarbeiter unter Druck gesetzt haben beim Thema Impfen. Jetzt wird eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wahrscheinlicher. Eine späte Genugtuung?
Hans-Friedrich Günther: Um Genugtuung geht es mir nicht. Unser Bestreben war immer, unsere Patienten und unsere Mitarbeiter bestmöglich zu schützen. Die Impfung ist einer der wesentlichen Bausteine für das Thema Sicherheit. Wir haben in unserem Krankenhaus inzwischen eine Impfquote von 93 Prozent. Die Impfung alleine reicht alleine aber erkennbar nicht aus. Mich macht das wütend, dass wir von der Politik Botschaften bekommen, die einfach nicht funktionieren.
Welche Botschaften sind das?
Günther: Die Botschaft zum Beispiel, dass 2G oder 3G ausreicht und wir selbst bei großen Veranstaltungen wie Fußballspielen oder Konzerten keine Maske mehr tragen müssen, obwohl wir uns problemlos auch an der frischen Luft infizieren können.
Da sagen die Aerosolforscher aber etwas anderes.
Günther: Nein, die sagen genauso, dass die Delta-Variante so ansteckend ist, dass man sich auch draußen beim Glühweintrinken infizieren kann.
Unsere Interviewpartner
Der 65-jährige Hans-Friedrich Günther ist seit 1. Juli 2014 Geschäftsführer des Klinikums Ludwigshafen. Im Jahr 2024 möchte der Jurist in den Ruhestand gehen.
Günter Layer (61) ist Chefarzt der Radiologie am Klinikum Ludwigshafen und Ärztlicher Direktor.
Das heißt, Sie kritisieren die Weihnachtsmärkte, die in Rheinland-Pfalz ohne Einschränkungen stattfinden.
Günther: Zu 100 Prozent. Das ist ein völlig falsches Signal. Das Signal, dass ich keine Regel mehr einhalten muss, weil ich geimpft bin, führt zu diesen Impfdurchbrüchen, die wir jetzt oft sehen. Das muss nicht sein.
Aber haben viele Politiker nicht von Beginn an vermittelt: Lasst Euch impfen, dann ist alles gut und das Thema Corona erledigt?
Günther: Absolut. Das war von Beginn an eine falsche Information. Wir haben keine ausreichend hohe Impfquote in Deutschland und eine hoch aggressive Variante. Deshalb müssen wir AHA-Regeln einhalten. Das müssen wir auch den Geimpften sagen. Und als zweites: Lasst Euch mit einer dritten Impfung boostern. Dafür gibt es zwei Gründe: Eigenschutz bei der Älteren und Fremdschutz für alle.
Wer liegt derzeit in Ihrer Klinik?
Günther: Das sind zu 50 Prozent geimpfte Patienten, auch auf der Intensivstation - 34 Menschen insgesamt. Es sind zwei unterschiedliche Gruppen - ganz alte Menschen, die früh geimpft worden sind und bei denen die Impfwirkung jetzt nachlässt, und eine zweite Gruppe, die sich trotz Impfung etwa bei ihren noch nicht geimpften Kindern infiziert haben. Sie infizieren sich und erkranken deutlich weniger schwer. Aber es gibt auch jüngere mit Vorerkrankungen, die es schwer trifft.
Herr Layer, bei diesen Zahlen werden viele sagen: Was, 50 Prozent? Was hat die Impfung uns eigentlich gebracht?
Günther Layer: Viel. Wenn alle in der Bevölkerung ungeimpft wären, dann hätten wir jetzt viel mehr Patienten. Die Inzidenz der Geimpften ist zehnmal niedriger als die Inzidenz der Ungeimpften. Bei uns würden nicht 30, sondern 100 Patienten liegen. Wir hatten vergangenes Jahr um diese Zeit doppelt so viele Patienten im Haus, obwohl die Inzidenz nur halb so hoch war. In der Relation ist es also durch die Impfung deutlich weniger schlimm. Aber am Ende werden wir wieder an Grenzen kommen, wenn die Zahlen steigen.
Herr Günther, was halten Sie von einer Impfpflicht für alle? Nach einer Umfrage sind 57 Prozent der Bevölkerung dafür.
Günther: Wir haben es in Deutschland geschafft, das Thema zu zerreden. Sie kennen meine Haltung.
Aber würde sie denn noch helfen in der jetzigen Situation? Bis ein Gesetz gemacht ist und alle geimpft sind, gehen Monate vorbei.
Layer: Es kommt spät, aber es ist kein Grund, es nicht zu tun.
Herr Layer, hat man den Menschen mit der Impfung nicht doch zu viel versprochen?
Günther Layer: Medizin ist zu kompliziert, um alles im Detail zu erklären. Es wäre gescheiter gewesen, die Botschaften in einer einfacheren Sprache rüberzubringen. Es ist natürlich schlecht, wenn Herr Lauterbach heute Abend in der TV-Talkshow etwas ganz anderes sagt, als morgens der Gesundheitsminister und übermorgen die Oberbürgermeisterin. Das verwirrt Menschen, weil Kommunikation von komplexen Themen schwierig ist.
Hans-Friedrich Günther: Die Politik macht eines: Sie kommt immer zu spät - und dann auch noch mit unpräzisen Botschaften. Es wurde nie pro aktiv gehandelt. Ich begreife nicht, wie man in einer einzigen Pressekonferenz feststellt, dass Altenheime und Krankenhäuser jetzt wieder hoch gefährdete Bereiche sind, in denen jeder jeden Tag getestet werden soll - und in der gleichen Pressekonferenz verkünde ich die Öffnung der Weihnachtsmärkte ohne jede Zugangsbeschränkung. Das ist eine Botschaft, die in sich widersprüchlich ist. Das macht uns, die wir am Ende dieser Kette stehen, einfach nur wütend und verzweifelt.
Wird die vierte Welle aus Ihrer Sicht der letzte Akt in dieser Pandemie sein? Und gibt es dann diesen Freedom-Day, wie ihn die FDP ins Spiel brachte, Herr Layer.
Layer: Freedom-Day ist dummes, populistisches Geschwätz. Das lehne ich ab. Derzeit kann niemand sagen, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Ich glaube, dass die vierte Welle nicht die letzte sein wird.
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