Reportage - Wie ist es wirklich auf der Intensivstation? Die Suche nach Antworten führt ins Ludwigshafener Klinikum.

Ludwigshafen: Wie eine Corona-Station um jeden Atemzug kämpft

Von 
Stephan Alfter
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Kraftakt auf der Intensivstation: In zusätzlichen Anzügen, Hauben und Schutzbrillen kümmern sich fünf Pflegerinnen darum, dass eine narkotisierte Patientin vom Bauch auf den Rücken gedreht wird. © Stephan Alfter

Ludwigshafen. Dramatische Szenen spielen sich ab: Zwei Notärzte in Rot-Kreuz-Jacken rennen neben einem Krankenbett her. Einer hält eine Flasche mit Kochsalzlösung in der Hand, um den Kreislauf der Patientin zu stabilisieren. Schwingtüren fliegen auf und zu. Aus allen Ecken Warnsignale und Sinustöne von teuren medizinischen Anlagen. Gleißend helles Licht überall - Geschrei in der Schwarzwaldklinik ... Wer sich eine Intensivstation mit Coronapatienten vorstellen möchte, muss von solch populären Fernseheindrücken genau jetzt Abschied nehmen.

Es ist der Donnerstagmittag dieser Woche, 12.06 Uhr. Stationsleiter Jens Zewe (45) und sein Stellvertreter Steffen Jugowetz (36) tauschen sich kurz über die aktuelle Lage aus. 16 Patienten befinden sich auf der operativen Intensivstation des Ludwigshafener Klinikums, die damit so gut wie ausgelastet ist. Hier erholen sich normalerweise Menschen nach schweren Eingriffen - beispielsweise im Zusammenhang mit Krebs. Während der nicht enden wollenden Pandemie ist die Situation aber anders. Auf nicht dringende Operationen wird wieder verzichtet, um die Kapazitäten der Intensivmedizin nicht zu sprengen. Auf der Station herrscht eine konzentrierte Atmosphäre. Um jeden Atemzug wird hart gekämpft.

Corona im Klinikum Ludwigshafen

  • Das Klinikum Ludwigshafen verfügt insgesamt über 976 Betten.
  • Es gibt 51 Intensivbetten, die auf drei verschiedene Stationen verteilt sind. Nach Auskunft des Geschäftsführers Hans-Friedrich Günther wurden während der Corona-Pandemie keine Intensivbetten abgebaut.
  • Von den etwa 3100 Mitarbeitern im Klinikum sind nach jüngsten Angaben vom Freitag inzwischen rund 95 Prozent geimpft.
  • Laut Zahlen vom Freitag gibt es aktuell 59 Patienten, die einen positiven Corona-Test haben. Davon liegen 13 auf Intensivstationen.
  • Von den Covid-positiven Patienten haben laut Mitteilung einer Krankenhaussprecherin zwei Drittel bisher keine Impfung bekommen.
  • Drei Patienten werden derzeit an Ecmo-Geräten beatmet. Dabei wird Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert. Ecmo-Geräte kommen nur bei bestimmten Konstellationen und Indikationen zum Einsatz.
  • Im Labor wurden seit Beginn der Pandemie mehr als 350 000 Covid-Tests durchgeführt.

„Kresimir Z. (Name geändert) ist noch hier“, stellt eine junge Pflegerin fest, die nach dem Urlaub in den Dienst zurückkehrt und auf ihre Kolleginnen trifft. Sie meint einen 62-jährigen Mann, über den auf einem weißen Blatt Papier knapp folgendes vermerkt ist: 30. Liegetag, OP: plastische Tracheotomie, Sars-CoV2-Infektion mit Pneumonie, Delir, Ernährung: Smofkabiven und Restoric.

Das ist fachchinesisch für Laien, aber dahinter verbergen sich klare Handlungsanweisungen für insgesamt 72 Mitarbeiter auf der Station, die im Schichtbetrieb arbeiten. Was die Worte bedeuten, erschließt sich dem Betrachter beim Blick durch die Glasscheibe von Kresimir Zs Zimmers. Dort liegt seit Wochen ein Mann, dem ein Loch in den Hals operiert werden musste, um ihn zu beatmen. Delir heißt nichts anderes, als dass sein Bewusstsein gestört ist. Er wird künstlich ernährt. Geschlossene Augen, geöffneter Mund. So sieht Siechtum aus. War er geimpft?, wird man sich nach Monaten der Diskussion über den Sinn einer Immunisierung gegen das Corona-Virus fragen. Die Antwort heißt: Nein.

Wie die Beatmung funktioniert, erklärt der stellvertretende Stationsleiter Steffen Jugowetz „MM“-Redakteur Stephan Alfter. © Klinikum

Im Ludwigshafener Klinikum halten sich aktuell 59 Menschen auf, bei denen man eine Corona-Infektion nachweisen konnte. 13 dieser Patienten müssen auf einer der drei Intensivstationen im Haus versorgt werden. Besucher sind im Klinikum nur in Ausnahmefällen zugelassen - zum Beispiel, um Abschied zu nehmen. Bekommt die junge Frau aus Zimmer fünf bald Besuch?

Wegen ihres Alters gilt ihr die besondere Aufmerksamkeit des Autors. Gerade mal 26 Jahre hat Dasha M. (Name geändert) bisher gelebt. Vor Tagen schon ist sie in einen tiefen Schlafzustand versetzt worden. Per Piepton teilt das Infusionsgerät in diesem Moment mit, dass Ketamin nachgefüllt werden sollte - eines von gleich mehreren Narkosemitteln, die in vergleichsweise hohen Dosen in die Venen der Patientin gedrückt werden. Steffen Jugowetz packt eine dicke Spritze aus und sorgt für Nachschub. Das Piepsen der Gerätschaften im Zimmer hört auf. Das weiße Blatt Papier, auf dem auch für Dasha M. in kurzen Stichworten die medizinische Wahrheit steht, bleibt unbarmherzig. Sie wird invasiv beatmet und künstlich ernährt. Noch an diesem Tag - so sieht es der Plan vor - soll auch bei ihr eine Tracheotomie erfolgen. Ein Schnitt in den Hals. Der Zustand der deutlich übergewichtigen Frau hat sich seit 26. November permanent verschlechtert. Das war der Tag, an dem sie positiv getestet wurde. Inzwischen liegt sie seit 14 Tagen im Krankenhaus. Ob sie überlebt, kann und will niemand der Pflegekräfte sagen, als wir eine Stunde später erneut in ihr Zimmer müssen.

Eines der wichtigen Geräte auf der Intensivstation macht eine Blutgas-Anlayse. © Stephan Alfter

Petra Bauchhenß (46) arbeitet seit 1997 auf der Intensivstation und hat in dieser Zeit viele Dinge gesehen. Die Corona-Pandemie ist auch für sie eine bisher nicht vergleichbare Erfahrung: „So schlimm wie jetzt war es noch nie. Die schweren Verläufe sterben oft“, weiß sie. Patienten kämen auf die Station und seien mitunter innerhalb von zwei oder drei Tagen tot. Jens Zewe berichtet von der psychischen Belastung seiner Mitarbeiter. „Jeder, der hier arbeitet, weiß, dass der Tod dazu gehört“, sagt er. Gleichzeitig stelle er fest, dass Kolleginnen, die bisher mental stark wie ein Baum gewesen seien, nun weinend vor ihm stehen.

Steffen Jugowetz geht kurz nach draußen, um einige Züge an seiner E-Zigarette zu ziehen. Er deutet auf ein kleines Projekt in einem Beet. Gestrüpp haben die Pflegerinnen entfernt und dort einige kleine persönliche Gegenstände drapiert. „Das ist in der Pandemie entstanden“, sagt er. Für ihn ein Hinweis auf gewachsenen Zusammenhalt unter den Kollegen - und ein Indiz die Suche nach Ablenkung in den Pausenzeiten. „Wir kriegen das alles hin“, wird er später über die Arbeitsbelastung sagen, aber teilen Sie den Leuten da draußen in ihrem Artikel mit, dass sie sich impfen lassen sollen.

Jugowetz packt die E-Zigarette weg und widmet sich einem 75-jährigen Mann mit türkischen Wurzeln, der neu auf die Station gekommen ist. Etwas erschrocken öffnet der zierliche Herr die Augen, als der Pfleger den Katheter kontrolliert. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet der noch verschlafene Patient knapp mit „wunderbar“ - was auf einen feinen Sinn für Ironie schließen ließe. Er ist einer der wenigen Leute, die überhaupt sprechen können auf dieser Station. Gerne würde man ihn fragen, was er über Corona-Impfungen denkt. Allein: Es ist der falsche Augenblick. Derweil zischt in rhythmischen Zügen eine High-Flow-Sonde an seiner Nase. Auf diese Weise können ihm bis zu 60 Liter Sauerstoff pro Minute zugeführt werden, denn auch er ringt um Luft. Ein Bild, das sich ins Gehirn brennt an diesem Donnerstag im Ludwigshafener Klinikum.

Die Intensivstationen bildet den Fokuspunkt der Pandemie. Das wird erst jenen bewusst, die erlebt haben, welch einen langen Geduldsfaden ein schwerer Krankheitsverlauf erfordert. Die sechs Patienten auf der Station von Steffen Jugowetz liegen mitunter seit vielen Wochen hier und werden sich im Falle einer Genesung an die Zeit gar nicht erinnern können. Fünf von sechs sind nicht geimpft. Beim Blick in den Spiegel wird Dasha M. eines hoffentlich nicht ganz fernen Tages feststellen, dass ihr Gesicht voller blutunterlaufener Druckstellen ist. 16 Stunden pro Tag muss sie auf dem Bauch liegen. Bei einigen führe das zu Schädigungen, die eine ästhetische Behandlung notwendig machten, weiß Jugowetz, der unter der Schutzbrille inzwischen schwitzt. Ein kleiner Fieberschub macht der Station nun etwas sorgen. Es ist 14.46 Uhr, als der Blutdruck bei Dasha M. plötzlich absackt. Rote Lämpchen leuchten auf. Eine Dosis Noradrenalin schafft Abhilfe. Mit einem Puls von 100 schläft Dasha M. weiter. Ihr Brustkorb hebt sich im von der Beatmungsmaschine vorgegebenen Rhythmus.

Im Gemeinschaftsraum ist erstmal Essen angesagt: „Schon wieder Spaghetti-Bolognese“, sagt eine Kollegin. Über Corona möchte in der Pause niemand sprechen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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