Cyberkriminalität

Interview mit Hackern: "Firmen erpressen? Wir liebten es!"

Mehr als eine Million Euro Lösegeld wollten Kriminelle nach Informationen dieser Redaktion von der Verwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises. Ein Schweizer Journalist hatte Kontakt mit ihnen. Eine Berufsgruppe würden sie nie angreifen

Von 
Stephan Alfter
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Symbolbild © Getty Images/iStockphoto

Ludwigshafen. Als Journalist mit Kriminellen aus dem Internet ins Gespräch zu kommen, ist nicht in allen Teilen einfach. Es gibt ja keine Telefonnummer, die man eben mal schnell wählt und am anderen Ende der Leitung nimmt jemand ab und sagt: „Hier ist die Hacker-Gruppe Vice Society. Was kann ich für Sie tun?“ Seit der Attacke mit Schadsoftware auf die Verwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises Ende Oktober zerbricht sich an vorderster Stelle das Mainzer Landeskriminalamt (LKA) den Kopf, wie es den mutmaßlichen Tätern auf die Schliche kommen kann.

Zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen schweigt man auf Seiten der Justiz beharrlich. Ruhig ist es auch auf Seiten der digitalen Einbrecher. Seit der Lösegeldforderung hat sich nach Angaben von Landrat Clemens Körner (CDU) kein Hacker mehr gemeldet. Ein Zeichen war es, als vor drei Wochen die zunächst verschlüsselten Daten unverschlüsselt im Darknet auftauchten. Auf drei Kontaktaufnahmen dieser Redaktion mit einer im Darknet angegebenen Mailadresse von Vice Society meldet sich seit über 14 Tagen niemand zurück.

Einfache Antworten der Kriminellen

Es gibt wenige Leute, die konkrete Verbindungen herstellen konnten zu diesen Kriminellen, die Diebstähle begehen, ohne dafür einen bestimmten Ort aufsuchen zu müssen. Einem Schweizer Journalisten ist es im Frühjahr aber gelungen, über zwei bis drei Wochen Kontakt zu halten zu einem Mitglied von Vice Society - per Mail. Zuvor hatten die Hacker eine Gemeinde im Kanton Waadt überfallen und erpresst. Dasselbe Muster wie in Ludwigshafen. Otto Hostettler, neben seiner journalistischen Tätigkeit beim Medienunternehmen Ringier („Der Beobachter“) auch Buchautor, hat seiner Kontaktperson sehr einfache Fragen geschickt. Am Mittwoch erinnerte er sich im Gespräch mit dieser Redaktion an den Mail-Austausch. Zum Beispiel wies er den Hacker darauf hin, dass es ja kein alltäglicher Job sei, Firmen und Behörden zu erpressen. Die Antwort: „Es schien uns interessant, also versuchten wir es mal - und wir liebten es.“

Kaum ethisches Empfinden

Die Erwiderungen bleiben über das ganze Interview hinweg ähnlich verstörend. Hostettler wollte wissen: „Bevorzugen Sie bestimmte Branchen oder Länder?“ Die Replik: „Wir greifen jede Firma an, zu der wir vollen Zugang erhalten können.“

Um mehr über die Struktur des Verbrechens zu erfahren, fragt der Schweizer: „Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?“ Darauf antwortet der unsichtbare Gesprächspartner: „Wir nennen es nicht Arbeit.“ Als es in dem Mail-Interview um ethische Grundsätze geht, fragt der Journalist, ob Vice Society auch Organisationen angreife und lahmlege, die beispielsweise den Hunger in Afrika bekämpfen, sich gegen Menschenhandel engagieren oder sich für Obdachlose einsetzen? Was der Hacker dann sagt, lässt nicht auf ein hohes moralisches Empfinden schließen. Er antwortet: „Ja, wenn es interessant für uns ist. Wir greifen aber keine Unternehmen an, die mit Tieren arbeiten. Zum Beispiel Zoos, Tierärzte und so weiter.“

Otto Hostettler führte ein Interview mit Hackern. Er und Abdelkader Cornelius haben auch ein Buch geschrieben: Underground Economy – Wie Cyberkriminelle Wirtschaft und Staaten bedrohen. © siehe Bildtext

Interessant ist der Teil des Gesprächs, das der Hacker und der Journalist führen, als es um geografische Angaben geht. Hostettler fragt: „Haben Sie je russische oder chinesische Ziele angegriffen? Der Hacker sagt: „In der Regel greifen wir westliche Ländern an.“ Das könnte einen Hinweis darauf geben, dass die Hacker eher im Osten zu Hause sind. Hostettler erfährt nicht viele Dinge, die herausragend im Sinne der Aufklärung sind, aber es ist ein kleines soziales Profil, das vor den Augen des Lesers entsteht. Er fragt etwa: „Was sind Ihre Träume? Was werden Sie irgendwann ihren Enkeln erzählen, was Sie hier machen? Darauf antwortet der Gesprächspartner: „Diese Fragen sind zu persönlich. Vergessen Sie nicht, dass Sie mit einer ganzen Gruppe sprechen. Jeder von uns hat seine eigenen Lebensträume.“

"Hacken ist unser Hobby"

Ob seine Familie wisse, dass er Firmen und Behörden erpresse, will der Journalist noch vom Hacker wissen. Die kurze Replik: „Nein.“ Eine letzte hier zitierte Frage betrifft das Lösegeld, das Vice Society jeweils verlangt. Hostettler fragt den Hacker: „Sie haben wohl bald ausgesorgt. Was machen Sie als Nächstes?“ Hacker: „Es ist keine Arbeit, es ist unser Hobby. Wir lieben, was wir tun. Es geht nicht nur ums Geld. Eines Tages werden wir vielleicht damit aufhören. Dann wird jeder seinen eigenen Weg gehen.“

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Tatsächlich geht es aber schon ums Geld, wie man an den besagten Lösegeldforderungen ablesen kann, die an die Verwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises gingen. Nach Informationen dieser Redaktion handelt es sich um einen Betrag, der die Millionen-Grenze überschreitet. Gezahlt hat der Kreis nichts. Nun muss er die Scherben aufsammeln: Immerhin funktioniert ganz aktuell die Telefonanlage wieder. Die Rechner bleiben aber aus. In den nächsten Tagen werden laut Landrat Körner Tausende Einwohner per Post darüber informiert, welche Daten von ihnen im Darknet aufgetaucht sind.

Die Ironie: Es sind nach den Worten Körners viele Ukrainer betroffen. Immerhin hat nun das Land Rheinland-Pfalz seine Unterstützung bei der Aufarbeitung und Einordnung des Hackerangriffs in Aussicht gestellt. Das teilte die Kreisverwaltung am Mittwoch mit. Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) habe bei einem Telefonat mit Landrat Clemens Körner (CDU) konkrete Hilfen vereinbart. Ein Kommentar dieser Redaktion hatte dies bereits vor Wochen als notwendig angesehen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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