Festival des deutschen Films

Filmfestival Ludwigshafen: Ina Weisses „Zikaden“ - Porträt einer Freundschaft

„Zikaden“ erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei unterschiedlichen Frauen. Der Film ist beim Ludwigshafener Filmfestival gleich doppelt nominiert.

Von 
Georg Spindler
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Ina Weisse. Ihr Regie-Debüt gab sie 2008 mit „Der Architekt“. © picture alliance / Henning Kaiser/dpa

Ludwigshafen. Jeder Film braucht Spannung. Und dieser hat sehr viel davon. Für Drive sorgen kontraststarke Schnittfolgen, die in packendem Wechsel die gegensätzlichen Lebenswelten zweier Frauen beleuchten. Anja lebt in prekären Verhältnissen, kümmert sich als alleinerziehende Mutter um ihre Tochter, jobbt als Spülhilfe in einer Küche, fährt mit dem Bus zur Arbeit. Isabell ist Architektin, parkt ihren Volvo vor dem Elternhaus; der Vater sitzt nach Schlaganfall im Rollstuhl, das Haus ist hell und weiträumig, sie versucht, die Pflege zu organisieren. Beide Frauen stecken in einer Krise.

Das ist der Ausgangspunkt von Ina Weisses Festivalbeitrag „Zikaden“, in Ludwigshafen für den Filmkunstpreis und den Publikumspreis nominiert. Seine Chancen stehen gut. Denn er begeistert mehrfach: In einer Zeit gesellschaftlicher Spaltung erzählt er, wie die zwei Protagonistinnen soziale Gegensätze überwinden und Freundinnen werden. Der Film zeigt dies in einer Machart, die durch das Gespür der Regisseurin für Dramaturgie und ihren Blick für Details besticht.

„Zikaden“ ist der vierte Langfilm von Ina Weisse als Regisseurin. © JudithKaufmann/LupaFilm

Und es gibt hier auch großes Darsteller-Kino zu erleben. Nina Hoss als Isabell und Saskia Rosendahl als Anja verkörpern ihre Rollen mit Präsenz, Nuanciertheit, Emotionalität. Stark auch der Auftritt von Weisses Eltern Rolf und Ina Weisse, die ihre Parts ohne jegliche Rührseligkeit spielen. Auch weitere Rollen sind exzellent besetzt: von Thorsten Merten als Betreiber einer Kegelbahn bis hin zu den Kindern, die als kleine Racker authentisch agieren.

Im Gespräch mit dieser Redaktion schildert Ina Weisse, von der auch das Drehbuch stammt, was ihr Ansatz bei „Zikaden“ war. Wollte sie die private Geschichte zweier konträrer Frauen erzählen? Oder ging es darum, gesellschaftliche Gegensätze exemplarisch zu thematisieren? „Mich hat die Frage interessiert“, antwortet Weisse, „ob eine Freundschaft zwischen diesen beiden Frauen, aus ganz unterschiedlichen Milieus, möglich ist.“ Beide, sagt sie, seien so damit beschäftigt, sich um andere zu kümmern, dass sie sich selbst vergessen hätten. „In diesen komplizierten Lebensumständen treffen die beiden Frauen aufeinander und geben sich Halt. Die Annäherung, wie sie sich gegenseitig beobachten, zurückweichen, verunsichert sind und wieder aufeinander zugehen, diese Zwischentöne haben mich interessiert.“ Nina Hoss und Saskia Rosendahl hätten dies großartig gespielt.

Packende Bild-Dramatik und detailreiche Ausstattung

Weisses scharfer Blick für Interieurs, vor allem als Ausdruck sozialer Verhältnisse, ist ein weiteres Thema unseres Gesprächs. Man sieht die schlechten Fliesen in Anjas Badezimmer, die verschlissene Tapete im Schlafzimmer, dem gegenüber stehen die hochwertigen Möbel und lichten Räume im noblen Haus von Isabells Eltern. Woher kommt diese Sensibilität? „Wie sich die Architektur auf den Menschen auswirkt, hat mich schon immer interessiert“, betont Weisse, deren Vater als Architekt einige Jahre Assistent von Mies van der Rohe war. In „Zikaden“ sei es darum gegangen, die Unterschiedlichkeit der beiden Milieus zu zeigen. Auf der einen Seite stünden die großen, fließenden Räume, auf der anderen Seite der beengte Wohnraum von Anja.

Ina Weisse: Karrierestart in Mannheim



  • Ina Weisse, geboren 1968 in Berlin, hatte ihr zweites Schauspiel-Engagement 1992-94 am Nationaltheater Mannheim . Ihr Kinodebüt hatte die vielfach prämierte Darstellerin 1996 in der Komödie „Echte Kerle“. Sie hat in nahezu hundert Kino- und TV-Filmen gespielt.
  • Ihr Regie-Debüt als gab sie 2008 mit „Der Architekt“. „Zikaden“ ist ihr vierter Langfilm als Regisseurin.
  • Der Film läuft in Ludwigshafen am 3. und 6. September, jeweils 15 Uhr.

Eine andere Qualität des Films ist seine fesselnde Bild-Dramatik, die spannungsvollen Kreuzschnitte sowie die Wechsel zwischen extremen Weitwinkelaufnahmen, die immer auch die Einbettung der Protagonistinnen in ihre soziale Umgebung zeigen, und Nahaufnahmen, bei denen die Emotionen der Figuren sichtbar werden. Da liegt die Frage nach dem Einfluss von Kamerafrau Judith Kaufmann auf der Hand. „Unsere gemeinsame Arbeit ist sehr vertrauensvoll. Sie hat einen besonderen, genauen Blick“, erklärt die Regisseurin.

Offenes Ende sorgt für ein reizvolles Finale

Eine Überlegung wert ist auch das offene Ende von „Zikaden“, das hier nicht verraten werden soll. Nur so viel: Am Schluss stirbt Isabells Vater, und man grübelt, ob jemand daran Schuld hat. Warum dieses Finale? „Ich denke“, so Ina Weisse, „das Ende wird den eigenen Erfahrungen entsprechend interpretiert werden, mit der jeweiligen Sicht der Zuschauenden auf die Figuren.“

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Schließlich noch eine Frage mit regionalem Bezug: Von 1992 bis 1994 war Weisse Schauspielerin am Nationaltheater Mannheim. Welche Erinnerungen hat sie? „Das Theater wurde damals renoviert“, erzählt sie. „Wir spielten zu Anfang der Spielzeit in einer Ausweichhalle am Rande der Stadt das Stück ,Komödie der Irrungen‘ von Shakespeare. Die Busse mit den Zuschauern hielten jeden Abend vor der Halle. Das Stück war immer ausverkauft. Auch bei größtem Unwetter. Das hat mich beeindruckt und gefreut. Dass die Menschen diese mühevolle Anreise auf sich nahmen und uns treu blieben.“

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