Frankenthal.
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG) hat in der vergangenen Woche viele Menschen fassungslos zurückgelassen und ihr Vertrauen in den Justizapparat erschüttert. Der 19 Jahre alte Lukas V. ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden - knapp zwei Monate, nachdem das Frankenthaler Landgericht ihn zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt hat - wegen Mordes, Vergewaltigung mit Todesfolge und sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen.
Wegen eines Verstoßes gegen den sogenannten „Beschleunigungsgrundsatz“ ist der Mann nun nicht mehr in Haft. Das Verfahren zog sich hin, rund zwei Jahre lang wurde verhandelt. Seit März 2020 saß V. in der Jugendstrafanstalt Schifferstadt in U-Haft - ungewöhnlich lange. Dagegen hatte sein Verteidiger Alexander Klein nach dem Urteil Haftbeschwerde eingelegt. Mit Erfolg. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, - Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben Revision eingelegt - kann die Haftstrafe nicht vollstreckt werden. Die OLG-Entscheidung ist ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der 17-jährigen Zoe aus Frankenthal, die Lukas V. im März 2019 am Willersinnweiher in Ludwigshafen vergewaltigt und gewürgt haben soll. Zoe erlag einen Tag nach der Tat ihren schweren Verletzungen.
TV-Interview am Sonntag
Am Sonntag haben sich die Mutter und die Schwester des Mädchens in der Fernsehsendung „Stern TV“ an die Öffentlichkeit gewandt. „Ich bin enttäuscht von der Justiz“, sagte die Schwester des Opfers. Sie könne nicht in Worte fassen, wie wütend sie sei, sagte die junge Frau. V. habe die Möglichkeit erhalten, zu seiner Familie zurück zu kehren. „Zoe kommt nie wieder zurück.“ Christoph Hambusch, der Anwalt der Opferfamilie, die im Prozess als Nebenklägerin aufgetreten ist, saß neben den beiden Frauen im Studio und skizzierte grob den weiteren zeitlichen Ablauf. Zunächst werde die Urteilsbegründung zu Ende geschrieben und zugestellt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben dann - nachdem sie sich die Begründung der Kammer und das Protokoll angesehen haben - einen Monat lang Zeit, um ihre Revision zu begründen, die daraufhin an den Bundesgerichtshof wandert, der entscheiden muss, ob das Urteil Bestand hat, ganz oder teilweise aufgehoben wird. Sollte der BGH das Urteil kippen, muss das Verfahren komplett neu aufgerollt werden. Bis es allerdings zu einer Entscheidung kommt, muss V. nicht zurück in Haft. Und die dürfte frühestens im März 2023 fallen, falls Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Revision nicht beide zurückziehen.
Das bereitet der Speyerer Rechtsanwältin Katja Kosian Sorge. Im Prozess gegen Lukas V. vertrat sie zwei von drei jungen Frauen, die angaben, von V. vergewaltigt worden zu sein. Die Jugendkammer sprach V. von diesen Vorwürfen frei, verurteilte den Mann aber wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, da zwei der drei Mädchen unter 14 Jahre alt gewesen seien, als es zum Geschlechtsverkehr kam.
„Meine Mandantinnen sind in großer Sorge, dass er Kontakt zu ihnen aufnehmen und versuchen könnte, ihre Aussage mit Blick auf den BGH-Entscheid zu beeinflussen“, sagte Kosian.
Währenddessen wabern Angst und Wut auch durch das Netz. User in den sozialen Medien rufen zu Selbstjustiz auf, verbreiten ein Bild des Mannes, seinen vollständigen Namen. „Aufpassen: Mörder und Vergewaltiger“ steht darüber.
Andere Nutzer rufen zu Demonstrationen auf, wollen eine Petition starten, selbst etwas tun. Boulevardmedien haben Videos veröffentlicht, die Reporter vor dem Haus der Familie des Mannes in Ludwigshafen zeigen, sie berichten von verängstigten Nachbarn.
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