Ludwigshafen. Auf die Euphorie folgt schnell die Ernüchterung. Es ist der 24. Juni 2019, an dem die Ludwigshafener AfD ungewollt für bundesweite Schlagzeilen sorgt. Bei der Besetzung der Ausschüsse des frisch gewählten Stadtrats stimmen sechs der acht Fraktionsmitglieder für einen Vorschlag der SPD - und somit gegen die eigene Partei. Die AfD ist dadurch im Hauptausschuss, einem der wichtigsten Gremien, nicht vertreten, und wird in der gesamten Republik belächelt. Ein denkbar schlechter Start, war doch die Kommunalwahl mit 13,5 Prozent der Wählerstimmen ein voller Erfolg.
Mehr als zwei Jahre später wirkt dieser Fauxpas wie ein Sinnbild für die Partei vor Ort. Interne Querelen, Personaldebatten und Austritte reihen sich aneinander. Die AfD scheint sich mehr mit sich selbst zu beschäftigen als mit politischen Inhalten. Hinzu kommen Eklats wie die Stinkefinger-Affäre um Stadtrat Ralf Senck, der Jens Spahn bei dessen Besuch mit der vulgären Geste bedachte und sein Mandat inzwischen abgegeben hat. Was also läuft schief in Kreisverband und Fraktion?
Im Gespräch
- Johannes Thiedig ist seit August 2020 Vorsitzender der AfD-Stadtratsfraktion.
- Bei der Kommunalwahl im Jahr 2019 kandidierte er auf Listenplatz fünf. Er hat die Querelen von Beginn an miterlebt.
- Timo Weber war Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl und Vorsitzender des AfD-Kreisverbands.
- Nach parteiinternen Streitigkeiten trat er Ende 2020 aus der AfD aus
„Ständig rumgeärgert“
Einer, der es wissen muss, ist Johannes Thiedig. Der 44-Jährige ist seit August 2020 AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Dort wird die Partei mittlerweile nur noch von sechs Mitgliedern vertreten, nachdem in den vergangenen Monaten Nela Drescher und später ihr Lebensgefährte Hans-Joachim Spieß ausgetreten waren. Für Ralf Senck rückte Jörg Bendel in das Kommunalparlament nach. „Die internen Querelen haben die Arbeit der Fraktion von Anfang an beeinflusst“, konstatiert Thiedig im Gespräch mit dieser Redaktion. „In den ersten eineinhalb Jahren haben wir uns ständig mit Personalfragen und gegenseitigen Vorwürfen rumgeärgert, das war belastend“, räumt der Fraktionschef ein. Die inhaltliche Arbeit sei dabei deutlich zu kurz gekommen.
Machtwort des Landesverbandes
In Thiedigs Ausführungen fällt immer wieder der Name Timo Weber. Ex-Vorsitzender des AfD-Kreisverbands, Spitzenkandidat bei der Stadtratswahl 2019, damals designierter Fraktionschef. Auch er hat der Partei den Rücken gekehrt - und seitdem konsequent gegen sie geschossen, wie Thiedig behauptet. „Er hat sich regelrecht an uns abgearbeitet“, sagt der 44-Jährige.
Begonnen habe das alles während des Wahlkampfs zur Kommunalwahl. „Er hat da als Spitzenkandidat deutlich an Reputation verloren, war auf einem Egotrip und hat sich zu wenig eingebracht“, meint Thiedig. Bei den übrigen Bewerbern sei der Wunsch nach einem anderen Fraktionschef gewachsen. Letztlich habe sich Pascal Bähr bereiterklärt und sei mit sechs von acht Stimmen gewählt worden.
Spätestens da hing der Haussegen gewaltig schief. Weber gründete ebenfalls eine AfD-Fraktion, letztlich musste der Landesverband ein Machtwort sprechen, woraufhin er zurückzog. Über mehrere Monate fand im Ludwigshafener Kreisverband keine Kommunikation mehr statt, die Arbeit kam quasi zum Erliegen. Auch in der Fraktion.
Im Sommer 2020 kam es zu einer Rücktrittswelle im Vorstand des Kreisverbandes. Sechs von neun Mitgliedern legten ihre Ämter nieder. Es blieben Timo Weber, sein Stellvertreter Joachim Klingmann und Beisitzer Timo Böhme. Als sich die Mehrheit der Mitglieder bei einer Versammlung für eine Neuwahl und nicht für eine Nachbesetzung entschied, sei Weber wutentbrannt davongestürmt, berichtet Thiedig. Manfred Hartinger wurde Kreisvorsitzender. Im November 2020 trat Weber schließlich aus der AfD aus.
Der ehemalige Kreisverbandsvorsitzende schildert die Geschehnisse auf Anfrage anders als Thiedig. Er und seine Vorstandsmitstreiter Böhme und Klingmann seien aus den Ämtern gedrängt worden, weil sie einen gemäßigteren Kurs fuhren. „Wir waren eine gute Truppe und haben bei der Wahl ein super Ergebnis erzielt“, sagt er. Eine Strömung, ausgehend von der Jungen Alternative, habe einen Machtkampf heraufbeschworen und Pascal Bähr als Fraktionschef durchgedrückt. „Die wollten einen radikaleren Kurs fahren“, so Weber.
Der generelle Weg, den die AfD eingeschlagen habe - speziell in der Chemiestadt -, tue ihm weh. „Ludwigshafen ist ein Flügelhotspot“, stellt er fest. Das zeige sich an Personen wie Senck, der in der Vergangenheit mit einer griechischen Neonazi-Partei und mit dem Telegram-Chat des Querdenker-Anführers Atilla Hildmann in Verbindung gebracht wurde. „Er ist mehrfach negativ aufgefallen“, so Weber. Solche Personen dürften in der Partei keinen Platz haben.
Bei Bundestagswahl verloren
Thiedig hält dagegen: „Herr Senck ist kein Rechtsradikaler. Es ist generell Quatsch, dass wir Radikale sein sollen“, betont er. Der Taxiunternehmer habe aber ein Auftreten, das teilweise auch in der Fraktion kritisch gesehen worden sei. „Er ist ein kleiner Revoluzzer und Rebell, der gerne aneckt“, so der Fraktionschef. Gerade hinsichtlich der Corona-Pandemie habe er Ansichten vertreten, die die Fraktion nicht teile. Nach dem Stinkefinger in Richtung Spahn habe man ihm klar gemacht, dass so etwas als Stadtrat nicht gehe. „Er hat seine Konsequenzen gezogen, in der Partei ist er aber weiterhin.“
Ob die andauernden Querelen Auswirkungen auf die jüngsten Wahlergebnisse hatten, ist unklar. Bei der Bundestagswahl verlor die AfD in Ludwigshafen im Vergleich zu 2017 deutliche 3,7 Prozent (11,8). „Es mag sein, dass das Thema da etwas reingespielt hat, aber ich denke nicht entscheidend“, sagt Thiedig. Wichtig sei es jetzt, wieder mehr inhaltlich zu arbeiten. Dies sei Aufgabe des neuen Kreisverbandsvorstands, der Anfang des kommenden Jahres gewählt werden soll. Ob die Ludwigshafener AfD dann endlich zur Ruhe kommt, bleibt abzuwarten.
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