Festival des deutschen Films

Einige Verdachtsmomente: „Tatort“-Krimis beim Filmfestival in Ludwigshafen

Sind fünf der „Tatort“-Krimis im Programm des Ludwigshafener Filmfestivals tatsächlich „stilbewusste Meisterwerke“? Wir ermitteln.

Von 
Hans-Günter Fischer
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Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ermittelm im „Tatort“-Film „Das Verlangen“ im Umfeld des Residenztheaters. © C+P Film/Walter Wehner

Ludwigshafen. Es soll Menschen geben, die mit diesem Wort auch heute noch fast ehrfürchtig verfahren: Wann ist es erlaubt, von einem wahren „Meisterwerk“ zu sprechen? In der Filmkunst würden solche skrupulösen Qualitätsfanatiker den Ausdruck vielleicht auf die größten Arbeiten von Ingmar Bergman oder Stanley Kubrick anwenden – und sogar dort noch ein paar Haare in der Suppe finden. Aber skrupulöse Qualitätsfanatiker sterben allmählich aus. Im Übrigen befinden wir uns auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen, wo die Macher ihr Programm vermarkten müssen.

Etwa mit dem Label „Stilbewusste Meisterwerke“, das sie stolzen 27 Beiträgen des aktuellen Filmjahrgangs spendieren. Etwas skeptisch könnte man bei dieser Zahl schon werden. Und wenn auch noch gleich fünf neue „Tatort“-Fernsehkrimis „stilbewusste Meisterwerke“ sein sollen (und keineswegs Routineproduktionen), fühlt sich ein gestrenger Kunstrichter genötigt, zu ermitteln. Anfangsverdacht: Hochstapelei.

Edles Understatement beim Ermittlerduo Batic und Leitmayr

Erste Indizien werden sich vielleicht in „Das Verlangen“ finden lassen, einem Münchner „Tatort“. Es ist schon Fall Nummer 98 für die beiden Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr, so viele hat in der Geschichte dieser Krimireihe niemand aufgeklärt. Die 100 wollen sie noch voll machen, dann ist nach 35 Jahren Schluss. Miroslav Nemec und Kollege Udo Wachtveitl, die beiden Darsteller, sind im realen Leben schließlich schon eine geraume Weile jenseits der Pensionsgrenze. Einer der Nachfolger von Leitmayr und Batic wird dann „Kalli“ sein (Ferdinand Hofer), der bereits seit längerem ihr Assistent ist.

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Aber jetzt, in „Das Verlangen“, wird er noch charmant herumgeschubst. Denn Leitmayr und Batic können durchaus delegieren, und wenn „jemand mal“ die Drecksarbeit besorgen sollte, heißt der eben meistens „Kalli“. Das hat aber immer wieder etwas warmherzig Joviales, ist getränkt mit einer Ironie, die von den beiden Silberlocken gern auch auf sich selbst gemünzt wird, à la: „Mach‘ das, ich mach‘ auch was.“

Sie sind wie ein altes Ehepaar, betreten diesmal allerdings die richtig große Bühne: die des Münchner Residenztheaters. Dort ist eine aufstrebende Jungschauspielerin ermordet worden, mitten in der Aufführung von Anton Tschechows Stück „Die Möwe“. Und das Residenztheater ist in diesem Fall ein wahrer Intrigantenstadl: „Da hat jeder was mit jedem“, müssen Leitmayr und Batic feststellen, während sie eine Tofu-Wurst in der Kantine mümmeln.

Die sechs „Tatort“-Filme

  • „Das jüngste Geißlein“ (Sendeanstalt: SWR)
  • „Das Verlangen“ (BR)
  • „Dunkelheit“ (HR, mit nagelneuen Kommissaren)
  • „Ex-It“ (SWR)
  • „Mike & Nisha“ (SWR; der Lena Odenthal-Krimi aus Ludwigshafen (mit der Hauptdarstellerin Ulrike Folkerts) ist der einzige aus dieser Reihe, den die Macher „nur“ als „anspruchsvollen Unterhaltungsfilm“ bewerten, nicht als „stilbewusstes Meisterwerk“)
  • „Murot und der Elefant im Raum“ (HR)
  • Termine und Programmdetails sind unter www.fflu.de zu finden.

Viele Fallstricke lauern in diesem Haus mit seinem schummerigen Licht und seinen falschen Requisiten. Hat den Mord etwa der Star des „Resi“ zu verantworten, der von Ursina Lardi als ein wenig angejahrte eitle Bühnenkönigin gegeben wird? Wir dürfen es an dieser Stelle leider nicht verraten. Aber Lardi steht nur stellvertretend für ein ziemlich großartiges Fernsehfilmensemble, und auch Regisseur Andreas Kleinert inszeniert mit feiner Hand. Es waltet edles Understatement, nicht zuletzt bei Wachtveitl und Nemec. Es ist Tschechow, sollte also nicht „a bisserl zu viel Shakespeare“ werden, wie es einmal heißt. Mit einem Satz: Die „Tatort“-Folge „Das Verlangen“ ist tatsächlich (fast) ein Meisterwerk.

Team Stuttgart ermittelt in der Welt von Social Media

Ganz ohne Einschränkung kann das von „Ex-It“ nicht behauptet werden. Dieser Krimi kommt aus Stuttgart, wo das ebenfalls schon häufiger gesehene Ermittler-Tandem Thorsten Lannert und Sebastian Bootz (gespielt vom Duo Richy Müller/Felix Klare) seit 2008 amtiert und mittlerweile knapp drei Dutzend Fälle ihrer Lösung zugeführt hat. Dieser hier führt in die Influencer- oder „It-Girl“-Szene, das berühmt sein fürs Berühmtsein (sonst für nichts) eröffnet die bekannten Abgründe einer modernen, wenn auch nicht sozialen Medienwelt. Ein solches „It-Girl“ war auch „Pony“ Hübner - bis ihr „Dr. Frankenstein“, wie sie ihn einmal nennt, er ist zugleich ihr reicher Ehemann, sie vorsorglich vom Netz genommen hat. Was sie in einer tiefen Depression versinken ließ.

Harter Fall: Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) begeben sich im „Tatort“ aus Stuttgart in die Abgründe der (un-)sozialen Medienwelt. © SWR/Benoît Linder

Hat sie deswegen ihre Kinder umgebracht oder entführt? Erpresserbriefe tauchen auf, für Bootz und Lannert sind sie nicht leicht einzuordnen. Überhaupt gestattet sich die Handlung dieses „Tatorts“, der in Ludwigshafen seine Uraufführung feiert, manche raffinierte Wendung. Seine Dialoge wirken hin und wieder psychologisch überzüchtet, scheinen dann aus einem Drehbuchseminar für Fortgeschrittene zu stammen.

Regisseurin Friederike Jehn besticht zwar nicht nur mit der Parallelmontage der „Geständnisse“ zum Ende hin, aber der „eigentliche“ Schluss ist halb pompös (mit Mozarts „Requiem“), halb nebulös. So wird es denn auch bloß ein halbes Meisterwerk. Ein Meisterwerkle, sozusagen.

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