Geschichte

Ein Sklave aus Surinam wird zum geachteten Pfälzer Gastwirt

Es ist eine Geschichte, die unglaublich erscheint: Einen ehemaligen Leibeigenen aus Südamerika verschlägt es nach Mannheim und Ludwigshafen. Dort macht er eine erstaunliche Karriere

Von 
Konstantin Groß
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Ansicht von Ludwigshafen in den 1840er Jahren – ein junger aufstrebender Ort, in dem man es zu etwas bringen konnte, sogar als ehemaliger Sklave aus Lateinamerika, wie das Beispiel des Thomas van Vorden zeigt. © Marchivum

Mannheim/Ludwigshafen. Ihren Ursprung hat diese spannende Geschichte weit entfernt von der Kurpfalz: in Surinam, einem kleinen Staat am Atlantik nördlich von Brasilien, heute eine halbe Million Einwohner stark, von 1667 bis 1975 niederländische Kolonie. Bis Mitte des 19. Jahrhundert ist das Land geprägt von Sklavenwirtschaft auf riesigen Plantagen.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden jährlich um die 2000, in Spitzenjahren 4000 Menschen im wahrsten Sinne des Wortes versklavt: In Afrika gewaltsam gefangen genommen, ihrer Heimat und ihren Lieben willkürlich entrissen, ans andere Ende der Welt verfrachtet, auf Schiffen, unter schlimmsten Bedingungen; 1803 liegt die Sterberate auf der Überfahrt bei 14 Prozent.

Brutalität war an der Tagesordnung

Die Sklavenhaltung der Niederlande gilt im Vergleich zu Engländern und Franzosen als besonders brutal; der Dichter Voltaire thematisiert dies in seinem Schlüsselroman „Candide“ .

Haus Ludwigstraße 6 in Ludwigshafen, in dem die Gastwirtschaft van Vordens lag. Das Bild entstand erst 1910, als sie schon nicht mehr bestand. © Stadtarchiv Ludwigshafen

Zu den Versklavten in Surinam zählt auch ein Junge namens Thomas, geboren um 1816. Die Historiker Ulrich Nieß und Karen Strobel haben seine spannende Biografie recherchiert und 2021 publiziert.

Lange Reise von Surinam nach Köln

Besagter Thomas „gehört“ – es sträubt sich in einem, diesen Begriff zu verwenden, obwohl er seinen Rechtsstatus damals korrekt wiedergibt – der aus Köln stammenden Familie Fuchs, die in der Hauptstadt Paramaribo eine Druckerei führt. Er ist dem gleichaltrigen Sohn der Familie, Johan Fuchs, zugeordnet.

Thomas arbeitet im Haushalt und nicht auf einer Plantage, hat es damit noch verhältnismäßig gut getroffen. Im Hause Fuchs wird neben Niederländisch auch Deutsch gesprochen, womit sich erklärt, warum sich Thomas später in Deutschland problemlos sprachlich zurechtfinden wird.

Wirtschaftliche und familiäre Gründe erfordern 1835 die Rückkehr der Familie Fuchs nach Köln – und die Neuordnung des Verhältnisses zu ihrem bisherigen Sklaven. Die Familie möchte Thomas gerne als Diener behalten und ihn nach Deutschland mitnehmen; dazu muss sie ihn aus dem Sklavenstatus entlassen.

Mit 19 Jahren in die Freiheit entlassen

Laut einer Verordnung von 1831 ist die Freilassung von Sklaven möglich, sofern ihr Besitzer eine Kaution von 500 Gulden entrichtet – für den Fall, dass der Freigelassene sich nicht selbst ernähren kann und dem Staat zur Last fällt. Außerdem muss der bisherige Sklave einen Nachnamen erhalten, den er sich selbst erwählen kann, der aber niederländisch anmuten muss. Thomas wählt „van Vorden“. Warum, das ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

Thomas van Vorden in den späten 1850er/frühen 1860er Jahren in einem Ölgemälde. Der ehemalige Sklave hat es zu etwas gebracht. © Marchivum

Am 9. Juni 1835 wird Thomas van Vorden, damals 19 Jahre jung, freigelassen. Zwei Tage danach legt in Paramaribo das Schiff „Sophia Cicilia“ Richtung Amsterdam ab. An Bord die Familie Fuchs und Thomas van Vorden, der sie als Diener begleitet. Damit „eröffneten sich für ihn durch die Auswanderung nach Europa Chancen, die sich nur ganz wenigen ehemaligen Sklaven boten“, schreiben Nieß und Strobel.

Legendärer Name in der Kurpfalz

Bereits vier Jahre danach stirbt Thomas’ früherer Besitzer Johan Fuchs im Alter von 25 Jahren bei einem Kuraufenthalt in Wiesbaden. Damit endet auch das Dienstverhältnis bei dieser Familie. Thomas van Vorden übernimmt eine Anstellung bei einem Adeligen in Mannheim.

Sein neuer Arbeitgeber ist Alfred Jacob Maria Fortunatus Graf von Oberndorff (1802-1888). Die Oberndorffs haben in der Kurpfalz einen legendären Namen. In Neckarhausen gehört ihnen ein prachtvolles Schloss, in Schriesheim an der Bergstraße Weinberg und Strahlenburg.

In Mannheim residiert der Graf in einem Palais in O 2, 2, direkt am Paradeplatz. Der dreigeschossige Bau verfügt über einen großen Garten, der bis zur Straße vor dem Quadrat O 3 reicht. Der Graf hat acht Kinder. Warum hat er van Vorden angestellt? Es gibt nur Vermutungen. „In der Welt des Hochadels ist es üblich, eines Kammermohren zu bedienen, und Weltläufigkeit zu inszenieren“, schreiben Historiker über das Motiv.

Stadtrat entscheidet über Bürgerrecht

Im großherzoglichen Mannheim sorgt der Schwarze für einiges Aufsehen. „Er verkörperte die reale Begegnung der Stadtgesellschaft mit einer kolonialen Welt, die die meisten Einwohner Mannheims allenfalls aus Zeitungen, Reiseberichten und Büchern kannten“, so Nieß/Strobel.

Mit seiner Stellung wächst bei van Vorden das Selbstbewusstsein. Bald wünscht er für sich das Bürgerrecht, über dessen Gewährung der Stadtrat jeweils im Einzelfall zu entscheiden hat. Doch wie bei Migration oft, so herrscht bereits damals die Sorge, die Neubürger könnten der Stadt auf der Tasche liegen. Es wird eine Bürgschaft seines Arbeitgebers verlangt, wonach van Vorden „weder dem Staat noch der Stadt zu Lasten fallen könnte.“

Buch zum Thema Sklaverei

  • Der Aufsatz von Ulrich Nieß und Karen Strobel über van Vorden findet sich im Buch „Imperiale Weltläufigkeit und ihre Inszenierungen“, 2021 herausgegeben von Bernhard Gißibl und Katharina Niederau, 340 Seiten, Paperback 25 Euro.

 

Diesem Ansinnen kommt der Graf nach. Van Vorden wird Bürger von Mannheim. Und er wird auch familiär sesshaft. Er lernt Maria Louise kennen, die Tochter eines Försters. Die beiden werden ein Paar. Eine Tochter erblickt das Licht der Welt, sie erhält die Namen Josefa Wilhelmina Theresia. Das Kind wird in der Unteren Pfarrkirche St. Sebastian am Mannheimer Marktplatz F 1 getauft. Dies ist auch der Ort, an dem sich das Paar am 30. Mai 1847 das Ja-Wort gibt.

Auch beruflich beginnt eine komplette Neuorientierung. Van Vorden gibt seine Stellung beim Grafen auf, um sich selbstständig zu machen – auf der linken Rheinseite, im gerade gegründeten Ludwigshafen. In dessen Aufbauphase scheinen die Erfolgschancen noch größer. „Lu“ zählt damals ganze 1000 Einwohner.

Hausbau in Ludwigshafen

1848 eröffnet er in einem Haus zur Linken der Rheinbrücke eine „Spezerey“, in den 50er Jahren eine Zigarrenhandlung. „Er agierte hier als einer der führenden Kaufleute der Gemeinde“, schreiben Nieß/Strobel. Bald gehört er sogar zu den 20 wichtigsten Steuerzahlern Ludwigshafens. „Seine Agency weist ihn als vollwertiges und offenbar geschätzten Mitglied der Gruppe aus.“

Nach der Revolution von 1848 ist er unter jenen 15 Unternehmern, die in einer Petition an den König von Bayern stärkere staatliche Unterstützung Ludwigshafens einfordern. 1852 nimmt er an der Abstimmung über die Selbstständigkeit Ludwigshafens teil – „ein deutliches Indiz dafür, dass er sich auch politisch mit seiner Heimat identifizierte“.

Sichtbarste Zeichen seines Aufstieges ist 1853 der Bau des stattlichen dreigeschossigen Eckhauses in der Ludwigstraße (später Nr. 6), also im Herzen der Stadt. Mit seinem Stilmix aus Klassizismus und Neobarock sowie seinen kunstvollen Schmiedearbeiten ist es ein architektonisches Ausrufezeichen.

"Gaststätte "Zu den drei Mohren"

Im Erdgeschoss befindet sich die Gaststätte, darüber Fremdenzimmer und Wohnungen. Insgesamt zählt das Haus 20 Räume und eine Stallung im Hof. Die Gaststätte verfügt über einen Tanzsaal mit Bühne.

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Seiner Gaststätte gibt van Vorden den Namen „Zu den drei Mohren“, der heutzutage als nicht mehr politisch korrekt gelten würde. Er wählt ihn bewusst, um seine fremdländische Herkunft als Werbefaktor zu nutzen. Die Historiker Nieß und Strobel sehen darin aber auch eine Anknüpfung an christlich-religiöse Traditionen: „Der Name basiert auf der Adaption der Heiligen Drei Könige“, erläutern sie. Als einem Katholiken und ehemaligen Bürger von Köln, in dessen Dom der Schrein für die Heiligen Drei Könige liegt, sei ihm dieser Brauch wohl vertraut.

Das Gasthaus floriert. Der geräumige Saal ist, wie Zeitungsnotizen überliefern, Schauplatz von Veranstaltungen unterschiedlichen Charakters: Feste und Bälle, zur Fasnachtszeit viele Maskenbälle.

In der Gesellschaft angekommen

Die Familie van Vordern ist wohlhabend und angesehener Teil der Ludwigshafener Stadtgesellschaft. „Die Familie konnte sich in einer im Aufbau befindlichen Stadtgesellschaft etablieren“, schreiben die Historiker. Diese Stellung wird auch dadurch deutlich, dass von sämtlichen Familienmitgliedern Porträts in Öl angefertigt werden. Das des Vaters zeigt ihn in dunklem Anzug mit brauner Weste und weißem Hemd mit Stehkragen, an der linken Hand einen goldenen Siegelring, in der rechten eine Taschenuhr. Großbürgerlicher Habitus. Auch seine Unterschrift zeichnet sich durch einen „artifiziellen Duktus“ aus.

Doch dieses Glück währt nicht lange. Ob es die Strapazen der Kindheit sind? Oder das ungewohnte Klima? Van Vorden wird nur 46 Jahre alt und stirbt an einem Sonntag, 5. April 1863, abends gegen 19 Uhr. Seine Witwe schaltet im „Mannheimer Anzeiger“ eine Todesanzeige – auch dies ein zutiefst bürgerlicher Habitus. Die Beisetzung wird zu einem Stelldichein der Ludwigshafener Gesellschaft. Welch ein Aufstieg für einen ehemaligen Sklaven!

Entschuldigung der Niederlande nach 160 Jahren

Allerdings ist sein Weg ein Einzelfall. Und nur noch zu dieser Zeit möglich, als der Geist des Kolonialismus und der mit ihm untrennbar verbundene Rassismus Deutschland noch nicht ergriffen hat.

Zwei Monate nach dem Tode van Vordens, am 1. Juli 1863, wird in Surinam die Sklaverei abgeschafft. 160 Jahre später, am Montag dieser Woche, entschuldigt sich Ministerpräsident Mark Rutte im Namen der niederländischen Regierung für das durch Sklaverei verursachte Leid.

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