Festival des deutschen Films

Ehrenpreis für Regie-Legende Edgar Reitz in Ludwigshafen

Zwischen Sehnsucht und Realität: Wie Edgar Reitz das zutiefst deutsche Thema „Heimat“ neu definierte und damit internationale Maßstäbe setzte.

Von 
Hans-Günter Fischer
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Regisseur Edgar Reitz wird am Samstag, 23. August, in Ludwigshafen mit dem Ehrenpreis des Filmfestivals ausgezeichnet. © picture alliance/dpa

Ludwigshafen. Noch sein Großvater hatte als Schmied gearbeitet. Sein Vater war dann bereits Uhrmacher. Der Sohn aber wurde zum (Film-) Künstler – freilich zu einem, der stets wusste, dass das Kino „in den Zeiten der Mechanik“ seinen Siegeszug begann, wie Edgar Reitz einmal gesagt hat. In der Zeit um 1900, als die Pioniere dieser Kunst vor allem Tüftler und Erfinder waren, wie etwa Auguste Marie und Louis Jean Lumière in Frankreich. Auch Reitz selbst, der Sohn des Uhrmachers, war früher zeitweise als Konstrukteur aktiv und dachte beispielsweise über neuartige Projektionsverfahren nach.

Edgar Reitz: Digitaltechnik als Chance für Filmkunst

Das ist jetzt um die 60 Jahre her – und Edgar Reitz mit seinen 92 eine lebende Regie-Legende, die beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen einen Ehrenpreis erhält. Doch ein Relikt aus der mechanischen Epoche ist er keineswegs, die digitale Filmtechnik von heute sieht er hauptsächlich als Chance: „Wenn sich die Werkzeuge verbessern“, sei das unbedingt begrüßenswert. Selbst dass das Filmen mit dem Smartphone für die jungen Leute heutzutage oft schon wichtiger als Schreiben ist, findet der alte Herr gar nicht so schlimm.

Regisseur Edgar Reitz

In der Gemeinde Morbach kam er im November 1932 auf die Welt .

Nach dem Verlassen seiner „Heimat“ und dem Studium drehte Edgar Reitz zunächst vor allem Industriefilme .

Doch nach dem legendären Manifest von Oberhausen wurde er „Autorenfilmer“ - und der damit etablierte „Neue deutsche Film“ errang bald Weltgeltung.

Reitz‘ fiktionaler Erstling „Mahlzeiten “ wurde gleich ausgezeichnet – bei den Filmfestspielen in Venedig .

Kleine Abstürze gab es zwar auch: „Der Schneider von Ulm“, entstanden 1978, war ein kommerzieller Fehlschlag . Doch danach suchte der Regisseur nach seinen Wurzeln – und fand „Heimat “. 1984, 1992 und 2004 kamen die Hauptteile der Trilogie heraus.

Die Ehrenpreisverleihung auf dem Festival des deutschen Films findet am 23. August um 18 Uhr statt.

Aufgeführt wird dabei auch der neue Reitz-Film „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ , prominent besetzt mit Edgar Selge und Lars Eidinger.

Das Filmen wolle allerdings zeitig gelernt sein: auf der Schule. Doch woher die kompetenten Lehrer nehmen? Reitz denkt an die vielen Absolventen aus den Filmhochschulen, die oft größte Schwierigkeiten hätten, adäquate Aufträge zu akquirieren und ein Publikum zu finden. Aber „filmische Ästhetik und Grammatik“ an die Handy-Jugend weitergeben könnten.

Filmbildung von der Schule aus

Reitz war immer auch ein Pädagoge, und das nicht allein an universitären Einrichtungen. Bereits 1968 war er Filmlehrer an einer Münchner Mädchenschule - was ihn wiederum zu einem Film anregte. Und vor kurzem gar zu einer Dokumentation, in der er seine (mittlerweile wirklich schon recht „alten“) Schülerinnen wiedertraf. Man blickt in die Gesichter 70-Jähriger, die mittlerweile einiges von dem durchmessen haben, was man „Leben“ nennt. Ein bisschen Wehmut ist natürlich auch dabei.

Langzeitbeobachtungen sind die größte Stärke dieses Regisseurs, und ein Vermischen von Geschichte und Fiktion nimmt er bereitwillig in Kauf. Es geht wahrscheinlich gar nicht anders, Reitz erklärt: „Unser Gedächtnis ist ein Scherbenhaufen.“ Eine schlüssige Geschichte, eine „Story“, müsse ihm erst mühsam abgerungen werden, sie sei bereits deshalb halb fiktiv. Bisweilen seien die erfundenen Geschichten sogar „wirklicher“ als die Vergangenheit. Reitz‘ „deutsche Chronik“ namens „Heimat“, seine Hunsrück-Saga über den fiktiven Weiler Schabbach, ist dafür natürlich das perfekte Beispiel.

Die Wiederentdeckung des Begriffs „Heimat“ im Film

1984 nahm diese Erfolgsgeschichte ihren Anfang. Auch, weil Reitz einen Begriff entgiftete, der nicht nur durch die seichte, süße Kino-Unterhaltung aus den frühen Nachkriegsjahren Karies (im Hirn) verursacht hatte, sondern auch noch durch den Blut- und Boden-Satz der Nazi-Zeit kontaminiert war. „Heimat“ wurde wieder hoffähig. Große Geschichte durfte sich im Leben kleiner Leute auf dem Lande spiegeln – und verlor dadurch zum Teil auch ihren Schrecken. Edgar Reitz, der gegen Opas (oder Papas) Kino opponiert und 1962 das berühmte Manifest von Oberhausen unterschrieben hatte, eine Gründungsurkunde des „Neuen deutschen Films“, wollte natürlich keine heile Welt vorgaukeln.

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Immer hatte er dem Förster aus dem Silberwald die Stirn geboten. Doch dem Fernsehpublikum von damals konnte es durchaus erscheinen, dass er die Vergangenheit zwar nicht beschönigte, besagtes Publikum aber doch tendenziell mit ihr versöhnte. Es gibt eben diese tiefe Sehnsucht nach dem Ort, an den man hingehört. Nicht bloß in Deutschland, wie der riesige Erfolg, den „Heimat“ international erringen konnte (etwa in Italien), zweifelsfrei bewies.

Von Straßenfeger zum Opfer der Quotenjagd

Das Reitz‘sche Hunsrück-Epos hatte schon in dieser ersten Ausgabe elf Folgen, teilweise mehr als zwei Stunden lang. Und wurde hierzulande doch zum Straßenfeger, wie sonst nur die Auftritte der deutschen Fußballnationalmannschaft. Der Regisseur hatte in dieser Hinsicht Glück: Es gab noch kein Privatfernsehen, und beim staatlich finanzierten gab es Leute, die für Neuerungen offen waren. Insbesondere beim WDR in Köln. „Das deutsche Fernsehen war damals mit das beste in der ganzen Welt“, sagt Edgar Reitz noch heute. Ohne diese Qualitätsinstanz hätte es keinen „Neuen deutschen Film“ gegeben, ist er überzeugt. Doch ein paar Jahre später änderte sich alles: Der private Rundfunk wurde eingeführt, die Quote war von nun an Maß der Dinge. Reitz erkennt einen „ziellosen Überlebenskampf“, das Opfer sei die Filmkunst.

Edgar Reitz‘ filmische Reise durch die Zeit

Viele Regisseure hätten seither eine Riesenmühe, Geld für anspruchsvollere Projekte aufzutreiben. Reitz indessen hatte „Heimat“: „Wenn man in den Kosmos einmal eingedrungen ist, findet man immer wieder neuen Stoff.“ Jahrzehntelang war Edgar Reitz in diesem „Heimat“-Kosmos unterwegs, 2013 gab es dazu einen letzten, wunderschönen Nachtrag, der zugleich auch eine frühe Vorgeschichte war und in die Zeit des „Vormärz“ führte, eine Zeit der wirtschaftlichen Not und der politischen Erschütterungen kurz vor 1850.

Hier gelangen Reitz und Gernot Roll, dem Künstler an der Kamera, famose Bilder: Planwagenkolonnen vor dem weiten Horizont wirken wie Scherenschnitte, und das Funkeln eines Staubkörnchens am Webstuhl im hereinfallenden Sonnenlicht erzeugt echte Magie. Die punktuellen Kolorierungen in den gewaltigen Schwarz-Weiß-Bildern führen zu unvergesslichen Momenten, selbst die Deutschlandfahne leuchtet schwarz-rot-golden wie noch nie: auf einer kleinen Moselfloßfahrt, ausgeführt in diesem letzten „Heimat“-Film. Er heißt im Untertitel „Chronik einer Sehnsucht“.

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