Interview

Bürgermeisterin Reifenberg: Städte sind „ziemlich ausgelutscht“

Als für Kultur zuständige Bürgermeisterin in Ludwigshafen muss Cornelia Reifenberg Sparvorgaben umsetzen. Im Interview spricht sie darüber, nach welchen Kriterien das organisiert und wie der Wert der Kultur erhalten werden kann

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Stefan M. Dettlinger
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Bürgermeisterin Cornelia Reifenberg. © Martin Hartmann

Ludwigshafen. Frau Reifenberg, laut Ihrer Website ist es Ihr Anliegen, den Menschen in Ludwigshafen ein vielfältiges, niveauvolles Kulturprogramm zu bieten und für die Zukunftssicherheit und Gerechtigkeit der Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Kann das unter dem Sparzwang in Ludwigshafen gelingen?

Cornelia Reifenberg: So ein sportliches Ziel kann man nicht mit einem Spargedanken angehen. Gerade in Zeiten sozialen Umbruchs, wo wir Risse wahrnehmen, müssen wir ein vielfältiges Kulturprogramm für die Breite der Bevölkerung anbieten - für alle. Mit und durch Kultur können wir Fragen nach unserem Selbst stellen und damit das wichtige Thema unserer Identität verhandeln. Besonders Kinder und Jugendliche sind da wichtig. Denen müssen wir erst mal die Tür öffnen, wie beim Internationalen Straßentheaterfestival, das jetzt wieder stattfand. Das Schöne ist: Da geht man auf die Menschen zu, auf Straßen, Plätze, da entstehen keine Berührungsängste.

In der Argumentation der Kulturszene gegenüber der Politik ist sicherlich nicht förderlich, dass Kultur eine freiwillige Leistung ist. Wie freiwillig ist sie es aus Ihrer Sicht?

Reifenberg: Wir sprechen mit dem Land Rheinland-Pfalz seit 15 Jahren darüber und haben wiederholt angeregt, den Kulturauftrag bspw. in einem Kulturförderungsgesetz oder dem Grundgesetz als pflichtige Aufgabe zu verankern. Die Freiwilligkeit führt zu einer Abwertung. Man könnte die Kultur als eine existenzielle Aufgabe der Gesellschaft betrachten. Ich finde sie existenziell für den Menschen, sie ist das herausragende Merkmal, das uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Das ist eine Pflichtaufgabe wie Bildung. Leider sehen das die Aufsichtsbehörden nicht so. Aber wir müssen uns endlich von der Begrifflichkeit der Freiwilligkeit trennen, um der Verhandelbarkeit von Kultur entgegenzutreten und ihr zu der Wertigkeit zu verhelfen, die sie verdient.

Wie überzeugt ist denn die Stadtverwaltung, der Gemeinderat und Oberbürgermeisterin Steinruck von der Bedeutung der Kultur für eine friedliche Stadtgesellschaft?

Reifenberg: Die Grundüberzeugung ist da. Aber wenn der Rotstift in die Hand genommen wird, gibt es unterschiedliche Positionen, dann sind dem einen Straßenumzüge, Fastnacht und Kerwe wichtiger, dem anderen Hack-Museum oder Theater. Das Dilemma ist, dass wir seitens der Landesbehörden unter einem unerträglichen Spardruck stehen, weil die Finanzausstattung der Kommunen durch das Land nicht auskömmlich ist und es sich daher um ein strukturelles Defizit handelt. Wir werden trotz Übertragung weiterer Aufgaben gezwungen, Millionenbeträge einzusparen, obwohl jeder weiß, wie wichtig insbesondere Vereinsleben, Kultur und Sport für den sozialen Zusammenhalt sind.

Was machen Sie denn, wenn Frau Steinruck sagt, statt elf sind es nur noch zehn Millionen für Kultur?

Reifenberg: Um den Vorgaben des Landes Genüge zu tun, befinden wir uns in der Haushaltskonsolidierung - über einen Zeitraum von zehn Jahren. 30 Millionen Euro sollen erreicht werden, drei pro Jahr. Natürlich wird das schwierig. Wir werden versuchen, einen Anteil zu erbringen. Es gibt aber einen Konsens, dass wir städtische Einrichtungen nicht schließen wie Musikschule oder Stadtbibliothek. Das sind sehr bodenständige Bildungskultureinrichtungen. Ebenso Theater oder Hack-Museum. Vielleicht können wir eine Ausstellung im Jahr weniger machen und das Theaterprogramm etwas ausdünnen. Aber wir können nicht als zweitgrößte Stadt im Land das Theater oder Museum schließen! Wir müssen andere Wege finden.

Also in der Breite sparen...

Reifenberg: Ja, wir müssen die großen Einrichtungen kritisch durchgehen. Man kann auch die Einnahmesituation verbessern. Die Festspiele laufen gut, besonders der Tanz. Land und BASF fördern ja mit, aber inzwischen auch andere. Das ist nahezu immer ausverkauft, wir haben da ein weit in die Region ausstrahlendes Alleinstellungsmerkmal gefunden. Da kann man nicht sparen. Aber wir müssen das übrige Theaterprogramm attraktiver gestalten. Wir sind mit dem Pfalztheater Kaiserslautern wieder in einer engeren Kooperation, was Musiktheater anbelangt. Ich bedauere, dass das Nationaltheater Mannheim jetzt im September den letzten Auftritt hat. Ich fand das eine gute Idee, aber schwierig, das habe ich gesehen. Ich denke also, wir werden künftig eine Ausweitung von Kooperationen haben.

Infos zu Cornelia Reifenberg

Cornelia Reifenberg wurde 1958 geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sie studierte von 1976 bis 1984 Rechtswissenschaften und Romanistik in Freiburg, Genf, Mainz und Paris und schloss 1987 mit der Zweiten juristischen Staatsprüfung ab.

Von 1988 bis 1992 arbeitete sie als Verwaltungsjuristin in Mainz. Anschließend war sie bis 2003 Professorin an der Katholischen Fachhochschule Mainz. Dort lehrte sie Sozialrecht, Familien- und Jugendhilferecht und promovierte zum Thema Kindschaftsrecht und Europäische Menschenrechtskonvention. Von 2001 bis 2003 war sie Dekanin des Fachbereichs Sozialpädagogik und Mitglied im Senat der Hochschule.

Seit März 2003 ist sie für Kultur und Schulen zuständig, seit Juli 2003 auch für Jugend und Familie. Seit dem 1. Januar 2018 ist sie Bürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen. Reifenberg ist in vielen Vereinen, Kommissionen und Kuratorien aktiv. Sie setzt sich besonders für ein vielfältiges Kulturprogramm und für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen ein.

 

Der Zersplitterung der Gesellschaft wegen müsste man mehr Geld in Kultur investieren. Was muss passieren, damit es ein Einsehen gibt?

Reifenberg: Leider ist das Einsehen begrenzt. Bei Massenspektakeln wie Fußball ist das anders. Sport hat auch etwas Völkerverständigendes und Verbindendes - vergleichbar der Kultur. Beide können Nationen, Kulturen näherbringen. Ich wünsche mir, Kultur und Sport mehr miteinander zu vernetzen.

Sie sprechen von Massenveranstaltungen. Statt mehr Kultur für immer kleinere Gruppen könnte man auch weniger Kultur für viele machen. Ist das ein Weg für Sie?

Reifenberg: Das sehe ich so. Da wurde noch nicht viel ausprobiert. Warum kann nicht an Fußballereignisse Kultur andocken? Es wäre möglich, bei einem Ticket zu sagen, du bekommst mit einem 3-Euro-Aufschlag noch ein Kulturangebot. Da fehlen Erprobungen. Das wäre in Ludwigshafen etwa im Handball bei den „Eulen“ überlegenswert.

Wie viele Menschen sind da?

Reifenberg: Ich glaube über 2300. Über Sport kriege ich einen Großteil der Bevölkerung und bei der Kultur, wie Sie ja mit Recht sagen, wird es im Prinzip zunehmend versucht, aber es versickert dann auch immer in kleineren Adressatengruppen. Das kann nicht Sinn und Zweck sein.

Der Sport, vor allem Fußball, hat eine größere Lobby, findet aber nur am Wochenende statt. In der Zeit spielen Theater 20 Vorstellungen, da sind fast genau so viele Leute.

Reifenberg: Genau. Ich will auch nicht die Theater, die immer spielen, aushöhlen. Es geht um eine Steigerung der Aufmerksamkeit.

Eine niedrigschwellige Massenveranstaltung ist das Blies-Festival. Da waren Sie zuletzt Vorwürfen ausgesetzt, Sie hätten Ihren Sohn gewinnbringend eingebracht. Ist davon irgendwas hängengeblieben? Also bei Ihnen politisch?

Reifenberg: Nein, aber gerade bei ihm persönlich fand ich das sehr schade, denn er hat ja lediglich seine Kontakte unentgeltlich weitergegeben. Es gab eine Gesellschafterabsprache, dass er nicht an irgendeinem Gewinn beteiligt wird. Insofern fand ich seine Unterstützung nobel. Es muss ja auch nicht immer alles vergütet werden. Das Blies-Festival ist für junge Menschen und von solchen Veranstaltungen gibt es nicht viele in der Metropolregion. Wir sollten das fortführen. Aber wenn man etwas Neues beginnt, braucht man auch Leute, die die Szene kennen. Ich fand die Aufregung etwas künstlich. Inzwischen hat es sich gelegt.

Zurück zum Sparen. Auch private Gelder nehmen ab. Die BASF kürzt ihre Kulturförderung. Haben Sie sich zu sehr aufs Private verlassen?

Reifenberg: In den USA ist alles privat organisiert, während wir hier anders aufgestellt sind. Viele beneiden uns dafür. Unternehmen können Entscheidungen treffen, wenn sich die wirtschaftliche Situation ändert. Die BASF ist ein großer Kulturförderer. Wenn etwas wegfällt, suchen wir nach neuen Möglichkeiten, wie Kooperationen in der Region. Eine unternehmerische Entscheidung der BASF würde unser Kulturprogramm nicht grundlegend verändern. Mainz ist strukturell vielfältiger und erhält Unterstützung aus verschiedenen Unternehmenskreisen. Wir sind in erster Linie ein großer Industriestandort und bei globalen Krisen daher auch risikobehafteter.

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Stephan Alfter
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Eine Gefahr für Kommunen ist es, dass durch Sparmaßnahmen die Attraktivität der Stadt insgesamt abnimmt und dadurch dann Unternehmen Probleme haben, Personal zu finden, besonders auf höherer Ebene. Ist das der Fall in Ludwigshafen?

Reifenberg: Solch eine Spirale ist denkbar. Und die Stadt hat jetzt große Herausforderungen mit Großbaustellen, die die Innenstadt besonders betreffen. Gleichwohl kann man diesen Umbruch als Chance begreifen. In den Stadtteilen nehme ich wahr, dass die Leute zufrieden sind. Wir haben den Auftrag, mit Bildung und Kultur dafür zu sorgen, dass Ludwigshafen lebenswert und attraktiv ist. Die rheinland-pfälzischen Städte sollten Solidaraktionen starten. Von den 20 am meisten verschuldeten Städten in Deutschland sind zehn in Rheinland-Pfalz.

In so einem kleinen Land?

Reifenberg: Eben. Ich frage mich, ob dies dem Land eigentlich bewusst ist. Wir liegen seit Jahren beim Kulturfinanzbericht an letzter Stelle. Wir haben ja einen sehr engagierten Staatssekretär, Jürgen Hardeck. Der versucht vieles. Aber das Land sollte mit einer Dynamisierung etwa der Personalkosten einverstanden sein. Es kann ja nicht sein, dass, wenn die Tarife - aus guten und nachvollziehbaren Gründen - steigen, wir bei der Kunst sparen müssen. Irgendwann haben wir dann nur noch Menschen und kein Geld mehr für die Kunst.

Wie könnte Solidarität aussehen?

Reifenberg: Wir Kommunen sind immer allein in Haushaltsverhandlungen. Es wäre gut, über die Kommunen hinweg mit den Spitzenverbänden, dem Städte- und Landkreistag mal eine Aktion zu machen, wo alle OBs und alle Landräte geschlossen in Mainz protestieren.

Sie rufen zu zivilem Ungehorsam auf?

Reifenberg: Das klingt zu wild. Aber vielleicht kann man sich in Mainz in der Rheingoldhalle treffen und gemeinsam die Öffentlichkeit auf die prekäre Situation hinweisen. Uns geht es noch schlechter als den Landkreisen. Das muss erörtert werden. Das müssen die in Mainz einmal mitkriegen. Die Kommunen in diesem Bundesland Rheinland-Pfalz sind, sage ich mal, ziemlich ausgelutscht.

Klingt, als hätten Sie den Plan dafür schon in der Schublade.

Reifenberg: Ich könnte mir so einiges vorstellen.

Sollte auch die Region metropolitanischer denken? Wir sind mehr als 20 Jahre Metropolregion. Aber außer bei Enjoy Jazz, einem kleinen Theaterfest und einem Filmfestival passiert nicht viel.

Reifenberg: Wir haben ein Fundament, nach oben hin aber Luft. Es soll jetzt auch ein Gesprächsformat geben, wo die Kulturbürgermeisterinnen und der -bürgermeister gemeinsam Fragen der kulturellen und kulturpolitischen Entwicklung unserer Region erörtern. Das halte ich für gut und richtig. Wir hatten früher beispielsweise die Lange Nacht der Museen. Da ist dann ein Förderer weggebrochen. Vielleicht kann man das wieder aufnehmen.

Wäre nicht die Kulturhauptstadtbewerbung Heidelbergs ein Anlass, metropolitanischer zu werden?

Reifenberg: Klar, ich fand das damals auch schön und habe es sehr bedauert, als Mannheim die Bewerbung zurückgezogen hat. Wir hatten tolle Grundideen entwickelt, aber das könnte der Ansporn sein, wieder vernetzter zu denken und zu handeln.

Gibt es Signale aus Heidelberg?

Reifenberg: Bürgermeisterin Martina Pfisters Team arbeitet etwas aus, soweit ich weiß. Aber wenn so ein Ereignis stattfinden würde, dann gehe ich davon aus, dass auch in allen Kultureinrichtungen, Theatern und so weiter geprüft würde, inwieweit eine bessere Vernetzung möglich ist. Aber das braucht einen Anlass.

Warum denken wir nicht regional?

Reifenberg: Für Ludwigshafen habe ich das immer als ein Profitieren erlebt, wenn wir mit Mannheim oder Heidelberg zusammen was machen könnten, weil uns allein die finanziellen Mittel fehlen. Mannheim und Heidelberg sind finanziell doch anders ausgestattet in Baden-Württemberg. Von daher ist bei ihnen der Wille vielleicht kleiner. Und da besteht möglicherweise auch eine Konkurrenz, das ist vielleicht auch ein Grund.

Eine Vision: Wie ist die Kulturszene in Ludwigshafen und der Metropolregion in zehn Jahren aufgestellt?

Reifenberg: In Baden-Württemberg wird das qualitativ hohe Niveau und die Wertschätzung der Kultur auch in zehn Jahren vorhanden sein. Bei uns ist der Spardruck höher. Nicht glücklich finde ich es, dass Kultur im Ministerium für Familie, Frauen und Integration angesiedelt ist. Die frühere Kombination mit Bildung und Wissenschaft fand ich logischer. Es bedarf grundlegender Strukturveränderungen und das Verhältnis zwischen Kommunen und Land sollte von mehr Gemeinsamkeit geprägt sein, gerade auch in Bezug auf die Anerkennung der existenziellen Bedeutung der Kultur für die Menschen. Es sollte weniger auf die trennenden, sondern auf die die Menschen verbindenden Aspekte geschaut werden. Es ist nicht zu unterschätzen, wie wichtig die Kultur für den sozialen Zusammenhalt und die Demokratieförderung ist. In zehn Jahren werden wir aller Sparzwänge zum Trotz zum 33. Mal unser internationales Straßentheaterfestival feiern und unterm Strich den Status quo halten können. Ich hoffe, das trifft so auch auf die übrigen Kulturbereiche zu.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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