Interview

BASF-Betriebsratschef Horvat: Bei Gas-Lieferstopp wäre fast komplette Belegschaft in Kurzarbeit

Von 
Bettina Eschbacher
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Die Klimawende müsse jetzt noch schneller gehen, fordert der BASF-Betriebsratsvorsitzende Sinischa Horvat. Von neuen Klima-Projekten werde der Standort Ludwigshafen profitieren, ist er überzeugt. © Uwe Anspach/dpa

Herr Horvat, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl zum Betriebsratschef im März. Zum Feiern war Ihnen wohl weniger zumute?

Sinischa Horvat: Nein, das ist eine verdammt schwierige Zeit im Moment. Die Betriebsratswahlen liefen wegen der Pandemie hauptsächlich per Briefwahl. Die Belegschaft anzusprechen war schwierig. Parallel dazu hatten wir Verhandlungen für neue Entgeltsysteme. Und der Corona-Krisenstab tagte weiter wöchentlich. Da kamen ständig neue Vorgaben aus den vier Bundesländern, die zu unserem Einzugsgebiet gehören. Wir haben die strengen Regeln im Werk noch beibehalten. Schließlich sind wir dank dieser Disziplin gut durch die Pandemie gekommen. Jetzt aber arbeiten wir am Ausstieg.

Bei Corona wäre also Entspannung angesagt, doch jetzt laufen in der BASF die Vorbereitungen für ein mögliches Gasembargo gegen Russland auf Hochtouren …

Horvat: Die Werksleitung hat Pläne mit unterschiedlichen Szenarien vorbereitet, für den Fall, dass die Gaslieferungen reduziert werden. Bis hin zum schlimmsten Fall, dass gar kein Gas mehr kommt. Bei bis zu 67 Prozent der bisherigen Lieferungen können wir den Standort noch ganz gut fahren. Wenn wir Richtung 50 Prozent kämen, würde es sehr, sehr schwierig – und darunter fast nicht mehr machbar. Dass der Standort Ludwigshafen komplett heruntergefahren wird, das hat es noch nie gegeben. Das macht man nicht in zwei bis drei Tagen, da geht es um mehrere Wochen.

Wie riskant ist das Herunterfahren eines Systems mit 200 Anlagen?

Horvat: Man muss zum Beispiel beachten, dass es beim Abstellen von Anlagen zu Druckschwankungen kommen kann. Das lässt sich gut abfedern. Aber auch bei einem Herunterfahren des ganzen Werkes passiert sicherheitstechnisch nichts. Das haben wir im Griff. Anlagen sind ja mit Notvorrichtungen ausgestattet, etwa für plötzliche Strom- oder Gasausfälle. Aber auch wir als Betriebsrat bereiten uns auf den „Worst Case“ vor.

Was heißt das?

Horvat: Wir haben seit zwei Wochen vorsorgliche Betriebsvereinbarungen in der Schublade: zur Vermeidung von Kurzarbeit und für den Fall von Kurzarbeit. Es ist klar, die Folgen eines Krieges lassen sich nicht wie ein technischer Ablauf planen. Aber wenn es zu einem Lieferstopp von russischem Gas kommen sollte, wollen wir vorbereitet sein. Das hat sich bei Krisen in der Vergangenheit bewährt.

Wie sehen diese Vereinbarungen aus, welche Schritte sind vorgesehen?

Horvat: Erst mal geht es um Vermeidung von Kurzarbeit, indem Mitarbeiter von betroffenen Einheiten auf andere, noch laufende Anlagen umgesetzt werden. Dafür haben wir Erfahrungen aus der weltweiten Finanzkrise 2008/2009, als zeitweise 600 Beschäftigte in anderen Einheiten aushalfen. Fahren wir auf Null herunter, gehe ich davon aus, dass nur noch wenige voll arbeiten, um die Anlagen zu warten oder Forschung zu betreiben. Ein Großteil der 39 000 Mitarbeiter in Ludwigshafen müsste dann sicher in Kurzarbeit. Noch glaube ich nicht, dass es soweit kommt. Ich gehe davon aus, dass die Gasverträge eingehalten werden. Aber im Moment erleben wir ja ständig, dass Dinge passieren, die wir nicht erwartet hätten.

Sinischa Horvat



  • Sinischa Horvat (geb. 1976) ist seit 2016 Vorsitzender des Betriebsrats des Werks Ludwigshafen der BASF SE, des BASF Europa Betriebsrats sowie des Konzernbetriebsrats.
  • Er ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der BASF SE.
  • Dort begann Horvat 1993 als Auszubildender für Prozessleitelektronik. Zudem studierte er Betriebswirtschaft.
  • Er ist in der Südwestpfalz aufgewachsen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. be

Sind Sie denn für ein Gasembargo der EU?

Horvat: Nein, aus Arbeitnehmersicht – und mit Blick auf die gesamte Industrie – bin ich dagegen. Die fehlenden Gasmengen lassen sich derzeit nicht kompensieren. Und dabei geht es mir nicht nur um die Kolleginnen und Kollegen hier in Ludwigshafen. Die komplette Wertschöpfungskette für die verarbeitende Industrie wäre gestört. Da kommt dann nichts mehr an. Die Pharmaindustrie bekommt viele Vorprodukte von uns. Es gäbe keine Medikamente mehr – wollen wir das? Die Autohersteller, die Lebensmittelbranche, alle brauchen chemische Vorprodukte. Deshalb ist es gut, dass über diese Wertschöpfungsketten jetzt eine Debatte in Gang gekommen ist.

Da sind Sie sich ja einig mit Vorstandschef Martin Brudermüller.

Horvat: Ja, es war wichtig, dass Martin Brudermüller und auch Michael Vassiliadis als IGBCE-Chef die Folgen so deutlich gemacht haben. Das hat vielen die Augen geöffnet.

Erst Corona, jetzt der Ukraine-Krieg – wie gehen Sie damit um, ständig im Krisenmodus zu arbeiten?

Horvat: Das ist schon schwierig. Wir sind alle in einem Hamsterrad, man rennt und rennt und muss sich jeden Tag auf ein neues Horrorszenario einstellen. Das Schizophrene ist: Das Geschäft brummt bisher, vielleicht fahren wir dieses Jahr ein weiteres Rekordjahr ein – während dieses Damoklesschwert über uns hängt. Und dann jeden Tag die Eindrücke aus diesem schrecklichen Krieg, die eigene Hilflosigkeit ...

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Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Horvat: Wir haben vor einigen Tagen vor fast 1000 Vertrauensleuten, unseren Multiplikatoren, erklärt, was genau bei einem Gasembargo passiert. Transparenz ist sehr wichtig, denn es ist schon ein Stück weit Verunsicherung da. Was hilft, ist die Erfahrung, dass wir in der BASF Krise können, das haben wir immer wieder bewiesen. Aber wir müssen uns auch vorbereiten auf die nächsten Jahre. Wenn wir kein russisches Gas mehr wollen, wird es nicht billiger. Hohe Investitionen für Erneuerbare Energien, für Windräder, Netzausbau, neue Technik im Werk werden fällig. Die Transformation im Unternehmen, der Umstieg von fossilen auf Erneuerbare, muss jetzt noch viel schneller gehen als bisher geplant. Sonst schaffen wir es nicht, dass der Standort Ludwigshafen wettbewerbsfähig bleibt. Da ist natürlich auch die Politik gefragt.

Wie realistisch ist ein schneller Umstieg? Viele Klima-Projekte im Konzern sind doch erst in der Erprobung?

Horvat: Bei vielen Projekten sind wir schon weit, etwa bei der Umstellung des Steamcrackers auf den Betrieb mit Ökostrom. Es muss dringend ein Windpark in der Nordsee her, der das Werk Ludwigshafen mit grünem Strom versorgt. Da gibt es bisher nur Absichtserklärungen. Ich bin trotzdem zuversichtlich, dass das gelingt. Zuerst müssen wir aber Brücken bauen, schauen, wo wir kurzfristig Alternativen zum russischen Gas herbekommen.

Kann das Werk Ludwigshafen von der Klima-Transformation profitieren?

Horvat: Ich sehe das als absolute Chance für Ludwigshafen, weil hier der Thinktank ist, der die neue Technik entwickelt. Und weil hier schon viele Pilotprojekte laufen oder geplant sind. Warum sollen wir die nicht auch gleich hier im großen Stil umsetzen? Wir werden aber in der Zukunft eine Debatte darüber bekommen, was uns Unabhängigkeit von Russland oder auch China und von den USA wert sein wird. Wird die Politik zum Beispiel unsere Gaspreise subventionieren? Denn konkurrenzfähig sind die künftigen Preise nicht.

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Die BASF wird von vielen für die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas mitverantwortlich gemacht. Sie hat seit den 1990er Jahren enge Verbindungen etwa zum russischen Energiekonzern Gazprom gepflegt und fördert über ihre Beteiligung Wintershall weiter Gas in Sibirien. Ist die Kritik an BASF gerechtfertigt?

Horvat: Wir sind jahrzehntelang gut mit russischen Gas gefahren, die ganze Wirtschaft hat seit den 60er Jahren davon profitiert. Das Gas war billig, keiner wollte Windparks oder LNG-Terminals. Die hätten wir schon vor 15 Jahren haben können. Aber niemand hat das System hinterfragt. Und niemand hat damit gerechnet, dass dieses System von einem Tag auf den anderen kippen könnte. Ich halte nichts davon, jetzt mit dem Finger auf die BASF zu zeigen. Es ist eine gesamtpolitische Aufgabe, sich von der Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen.

Im Herbst müssen Sie und die Gewerkschaft wieder mit den Arbeitgebern um mehr Geld für die Beschäftigten verhandeln. Wie soll das gehen?

Horvat: Wenn wir Pech haben, sind wir genauso nass wie im April, als wir den Abschluss verschoben haben, um Zeit zu gewinnen. Die Hoffnung ist, dass bis dahin der Krieg beendet und die Inflationsrate nicht mehr durch Spekulationen von Mineralöl- und Energiekonzernen aufgebläht ist.

Aber die Beschäftigten werden einen kräftigen Ausgleich für ihre explodierenden Kosten erwarten.

Horvat: Wenn sich die aktuelle Lage nicht ändert, wird es schwierig. Dann wird es zu massiver Unzufriedenheit in der Belegschaft kommen. Im Frühjahr konnten wir die steigenden Kosten noch durch eine kräftige Einmalzahlung ausgleichen. Aber wir wissen nicht, wie es im Oktober aussieht. Es ist alles möglich.

Ganz schön viel Druck für Sie …

Horvat: Der Druck ist hoch. Das habe ich schon zum Start der Tarifrunde gemerkt. So eine Runde habe ich noch nie erlebt. Die Angst vor einem Gasstopp hat bei den Arbeitgebern zu einer Schockstarre geführt – sie wollten überhaupt nichts vereinbaren. Obwohl die Geschäfte noch gut laufen. Und die Belegschaft hatte mir einen unendlich schweren Marschrucksack mitgegeben, mit hohen Erwartungen.

Immerhin haben Sie bei BASF SE einen Zuschlag bei den Nachttarifen durchgesetzt. Nicht schlecht in diesen schwierigen Zeiten, oder?

Horvat: Wir haben die Schichtzuschläge, die schon lange über Tarif liegen, um fünf auf 30 Prozent erhöht. Das ist ein wichtiges Signal für die Menschen, die jetzt und auch in Zukunft Schicht arbeiten. Es wird verdammt schwer, Personal für Wechselschichten zu bekommen. Wir haben viele offene Stellen, einfach weil viele junge Menschen nicht mehr Schicht arbeiten wollen.

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Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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