Lampertheim. Bis Ende 2025 will das Unternehmen Amprion im Ried insgesamt 54 Strommasten für die Ultranet-Trasse im Ried aufstellen, dafür sollen 83 alte Masten weichen. Der Netzbetreiber will die Arbeiten für das Zwischenstück der umstrittenen Trasse zwischen Biblis, Lampertheim und Mannheim-Wallstadt im Oktober starten. Da ein Abschnitt der geplanten Starkstromleitung über Lampertheimer Gemarkung führt und wichtige Bauprojekte auszubremsen droht, hat die Stadt nun Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. „Wir kämpfen vor Gericht um eine Änderung des Planfeststellungsverfahrens“, sagt Bürgermeister Gottfried Störmer (parteilos) auf Anfrage.
Keine aufschiebende Wirkung
Die Klage vor dem höchsten Verwaltungsgericht der Republik erfolgt wenige Monate, nachdem die Bundesnetzagentur die Planfeststellung für die Trassenführung erteilt hat. Die Anwaltskanzlei W2K, die Lampertheim vertritt, sei optimistisch, dass der seit Jahren schwelende Streit zwischen Stadt und Bundesnetzagentur im Sinne Lampertheims entschieden werden könnte. Gleichwohl mahnt Störmer, die Entscheidung des Gerichts sei kaum vorhersehbar. Bei der vor wenigen Wochen eingereichten Klage gegen die Bundesnetzagentur geht es für Lampertheim um viel. Nach einer Regelung in Hessen, muss die Bebauung für dauerhaftes Wohnen mindestens 400 Meter von überirdischen Stromleitungen entfernt sein.
Als widersprüchlich empfinden Stadtverwaltung und Politik, dass für künftige Neubauten dieser Abstand zur Starkstromtrasse einzuhalten ist. Anders als für Bewohner von Bestandsbauten, gelte hier ein fragwürdiger Gesundheitsschutz. Die ausschließlich in Hessen geltende Regel sorge dafür, dass die geplante neue Trasse den Siedlungsbau empfindlich einschränken würde.
Berechnungen zufolge könnten etwa im „Gleisdreieck“ von einem 142 000 Quadratmeter großen Plangebiet nur 56 000 Quadratmeter bebaut werden. Das wäre weniger als die Hälfte. „Im langen Gräbel“ wäre nur die Hälfte der geplanten 96 000 Quadratmeter zu bebauen. Vor allem das ist der Grund, weshalb die Lampertheimer Fraktionen im Dezember einhellig für den Gang vor das höchste deutsche Verwaltungsgericht gestimmt hatten, sofern sich kein Kompromiss finden lässt.
Der Bürgermeister betont, man habe dem Netzbetreiber und der zuständigen Bundesnetzagentur auch Alternativen präsentiert. Sowohl eine diskutierte Erdverkabelung als auch eine mögliche Verlagerung der fraglichen Masten um 30 bis 60 Meter wurden von der Stadt ins Spiel gebracht. In der Planfeststellung ist davon keine Rede, obwohl die Stadt durch eine dieser Änderungen ihren Siedlungsbau wie geplant vorantreiben könnte.
Rathauschef Störmer geht davon aus, dass der Netzbetreiber eine Neujustierung der Strommasten scheut, weil dies wiederum Verhandlungen mit Grundstücksbesitzern, mehr zeitraubende Bürokratie und höhere Kosten bringen würde.
Verfahren auf Zielabweichung
Indes hat der Gang nach Leipzig keine aufschiebende Wirkung für das Bauprojekt, das in den kommenden Wochen startet. „Das ist leider nicht die erste Klage, mit der wir es zu tun haben“, sagt Amprion-Projektsprecherin Joëlle Bouillon. Nach ihrer Erfahrung sei es sogar möglich, dass sich die Leipziger Richter erst mit dem Fall befassen, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind. Sie betont die nationale Bedeutung der Starkstromleitung, die über 340 Kilometer von Osterath in Nordrhein-Westfalen nach Philippsburg in Baden-Württemberg führen soll. Die Trasse sei ein wichtiger Baustein der Energiewende. Über sie soll an der Küste produzierter Windstrom in den Süden geleitet werden.
Abseits des Leipziger Verfahrens wirbt der Lampertheimer Grünen-Stadtverordnete Helmut Rinkel aktuell im Hessischen Wirtschaftsministerium für Unterstützung. Er gibt zu bedenken, dass die im Landesentwicklungsplan vorgeschriebene Abstandsregel zur Neubebauung von 400 Metern zwar den Schutz menschlicher Gesundheit dienen soll, gleichwohl aber „deutlich über die Abstände hinausgehen, die erforderlich sind“.
Als Beleg sieht Rinkel eine Antwort des Landtags auf eine Kleine Anfrage im Jahr 2020. Darin heißt es, der Schutz menschlicher Gesundheit werde durch die Bundesimmissionsschutzverordnung sichergestellt. „Diese Verordnung sieht keine pauschalen Mindestabstände von Stromleitungen zu Wohnbebauungen vor.“ Vielmehr definiere die Verordnung Grenzwerte für elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder, die in jedem Fall eingehalten werden müssten. „Die im Landesentwicklungsplan festgelegten Abstandsvorgaben gehen deutlich über die Abstände hinaus, die erforderlich sind“, um in der Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegte Grenzwerte einzuhalten, heißt es zudem. Mittlerweile hat ein Staatssekretär des Hessischen Wirtschaftsministeriums auf Rinkels Bemühungen hin bestätigt, dass die Stadt „ein Verfahren auf Zielabweichung“ beantragen kann.
Ob und wann sich das grün geführte Ministerium auf die Diskussion einlässt, und womöglich sogar eine Ausnahme von der Sonderregel erwägt, ist allerdings noch offen.
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