Lampertheim. Für die Menschen im Lampertheimer Stadtteil Neuschloß ist der Wald wie ein zweites Wohnzimmer. Viele Neuschlösser gehen aus dem Haus und stehen nach wenigen Schritten mittendrin im Grünen. Sie brauchen keine herbstlaubbunten Fototapeten an den Wänden. Das schätzen gebürtige Neuschlösser ebenso wie Zugezogene, für die die Nähe zum Wald bei der Haussuche in vielen Fällen ein entscheidendes Kriterium war.
Doch seit dem Mord an einer 36-jährigen Grundschullehrerin vor fast fünf Wochen ist die Idylle getrübt. Ein Täter wurde bisher nicht gefasst und die ermittelnde Mordkommission „1609“ beim Polizeipräsidium Darmstadt hat weiterhinwohl keine Vorstellung davon, was an dem besagten Montagmorgen am Freizeitgelände Heidetränke unweit des Lampertheimer Stadtteils passiert ist. Oder zumindest hat die zuständige Staatsanwaltschaft bisher keine weiteren Angaben zum Tathergang gemacht.
Diese bohrende Ungewissheit und die Tatsache, dass ein Mörder oder eine Mörderin frei herumläuft, verunsichert die Menschen in Lampertheim nach wie vor. Viele meiden seither Joggingrunden oder Spaziergänge im Wald. Das gilt auch für einige der Frauen und Männer, die sich auf Einladung der Evangelischen Johannesgemeinde Neuschloß am Donnerstagvormittag zu einem „Spaziergang durch Gottes schöne Natur“ am Ahornplatz treffen.
Getötete Frau in Lampertheim: Viele kennen die Familie der Ermordeten
Einmal im Monat macht sich die Gruppe auf den Weg. Drei Seniorinnen, die bis zur Corona-Pandemie regelmäßig ein Frauenfrühstück organisiert hatten, suchen im Vorfeld Texte und Gebete heraus, die sie im Verlauf des Spaziergangs vortragen. Die kleinen Wanderungen sind ein offenes Angebot. Es geht darum, sich zu begegnen, sich auszutauschen, gemeinsam innezuhalten und über die Themen nachzudenken, die durch die Text-Impulse gesetzt werden. Der bewusste Blick auf die Schöpfung steht dabei im Zentrum.
Auch an diesem Donnerstag hat die Organisatorin - die wie auch die Teilnehmer namentlich nicht genannt werden möchte - schöne, nachdenkliche, auch heitere Texte mitgebracht, die wunderbar zu diesem sonnigen Herbsttag passen. Es könnte alles wie immer sein, wäre da nicht diese Bluttat am 16. September gewesen. Seitdem ist auch für die sieben Frauen und den einen Mann nichts mehr wie früher. Viele von ihnen kennen die Familie der Ermordeten, ihre Eltern wohnen im Ort. Manche haben Kinder im gleichen Alter, kannten also auch das Opfer seit vielen Jahren. Und die meisten waren seither nicht mehr im Wald.
Doch es ist die Vertrautheit der Gruppe, die sie an diesem Donnerstagvormittag in der Verlängerung des Ahornwegs in den Wald hinein mitlaufen lässt. Viele kennen sich seit Jahrzehnten, wissen von den Sorgen, Nöten und Freuden des anderen. Da sind gute Gespräche in schöner Natur möglich. Dass an diesem Morgen ein Thema beherrschend ist, ist klar - auch weil die Zeitung dabei ist. Doch alle sind offen und gesprächsbereit, auch dankbar, dass darüber geschrieben werden soll, wie sie sich seither fühlen.
Tatort in Lampertheim-Neuschloß: Der Wald wird von Spaziergängern und Radlern genutzt
Für alle steht fest: Das macht etwas mit einem, wenn eine solche Tat vor der eigenen Haustür passiert. Und klar ist auch: Wenn das die Nachbarn schon so arg trifft, wie mag es dann den Angehörigen gehen? „Das kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt eine Frau. Ihr sei das schreckliche Ereignis sehr nahe gegangen und seither habe sie keinen Schritt mehr in den Wald getan, berichtet die 72-Jährige. Normalerweise sei sie regelmäßig auf den Wegen unterwegs - zu Fuß oder mit dem Rad. Nie sei etwas passiert, nie habe sie darüber nachgedacht, dass so etwas geschehen könnte. „Das war doch eigentlich toll“, findet sie. Diese Unbekümmertheit aber sei nun dahin. Es ist ein Mord geschehen, mitten im Wohnzimmer.
„Uns wurde die Sicherheit genommen“, sagt eine 69-Jährige. Es sei normal, hier im Wald jemand zu treffen. Spaziergänger, Gassigeher, Radler - man kennt sich in dem 1425-Seelen-Ort und wenn es nur vom Sehen ist. Das sei ja auch das Schöne. Hier stundenlang unterwegs zu sein, die Ruhe zu genießen, die frische Luft - bisher war das ohne Angst möglich, auch allein. Doch seit über vier Wochen ist ein mulmiges Gefühl steter Begleiter.
„Es wäre wichtig, dass der Fall gelöst wird“, sagt eine andere Frau. Die Ungewissheit - auch darüber, was eigentlich geschehen ist - ist das, was die meisten von ihnen beschäftigt. Und die Sorge, dass es wieder geschehen, ihnen selbst oder einem Liebsten widerfahren könnte. Diese Sorge ist groß.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim_artikel,-lampertheim-leichenfund-in-lampertheim-die-unbekuemmertheit-ist-dahin-_arid,2253488.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-leiche-gefunden-getoetete-frau-lebte-mit-familie-in-lampertheim-_arid,2243626.html?&npg
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim.html