Lampertheim. Als im Jahr 1981 das Amt des Bundesbehindertenbeauftragten geschaffen wurde, war die Welt für Menschen mit Handicap noch eine andere - auch in Lampertheim: Die Kita Schwalbennest firmierte als „Sonderkindergarten“, Kinder mit Down-Syndrom kämpften um Einlass ins Freibad, und die Rampe vor dem Rathaus musste angeblich „nicht unbedingt da hin“. Wie schwierig die Zeiten einst waren für jene, die im Alltag nicht mithalten können, erläuterte Erster Stadtrat Marius Schmidt (SPD) im Rahmen des Workshops „Inklusion in Aktion“. Vier Stunden diskutierten in der Notkirche teils hochkarätige Teilnehmer die aktuelle Lage.
Für den Ersten Stadtrat, der zugleich als zuständiger Sozialreferent fungiert, beginnt Inklusion mit gelebter Öffentlichkeit. „Öffentlich ist nur, was jedermann zugänglich ist“, sagte der SPD-Kommunalpolitiker im Beisein des Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel. Viel sei erreicht worden seit jenen Tagen, als die „Aktion Mensch“ noch „Aktion Sorgenkind“ hieß.
Eben diese Initiative war es denn auch, die sich mit 110 000 Euro am Aktionsplan Inklusion beteiligte. Seit 2022 wird das von Lampertheimerinnen und Lampertheimern erarbeitete Konzept umgesetzt, fünf Arbeitsgruppen widmen sich den für die Zielgruppe besonders relevanten Themen. „Was wurde erreicht?“, „Wo wollen wir hin?“, lauteten die Fragen, die den Kern des Workshops bildeten.
Für die Arbeitsgruppe „Arbeit“ stellte Peter Hördt seinen Zwischenbericht vor. Der Fachberater der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber bei der Diakonie Bergstraße (EAA) hob ein Ereignis heraus, das im März Premiere feierte. „Die inklusive Jobmesse war ein voller Erfolg“, resümierte der Referent. Nachfrage- wie angebotsseitig sei „der Laden voll gewesen“. Der „unmittelbare und direkte“ Ansatz habe sich dabei als wirkungsvoller erwiesen als das einstige „Unternehmerfrühstück“, das nicht wieder aufleben soll. Nachholbedarf sieht Hördt in der Dokumentation freier Stellen für Menschen mit Beeinträchtigung.
Bei der Barrierefreiheit im ÖPNV geht es nur langsam voran
Ein klassischer Bereich der Inklusionsarbeit ist der Themenkreis Barrierefreiheit und Mobilität. Wie schwierig es immer noch sein kann, verdeutlichte Jochen Halbauer, Vorsitzender des Lampertheimer Behindertenbeirats und selbst auf den Rollstuhl angewiesen. Er berichtete, dass ein Teilnehmer, der aus Fürth im Odenwald nach Lampertheim kommen wollte, absagen musste: Der Schienenersatzverkehr war nicht barrierefrei.
Auch in der Spargelstadt sei der Öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) nur zum Teil im anvisierten Zustand: 19 von 97 Haltestellen seien frei von Barrieren, und auch am Bahnhof bestehe trotz zweier Aufzüge Verbesserungspotenzial. In Bezug auf DIN-gerechte Behindertenparkplätze sieht Halbauer die Ziele lediglich zu 30 Prozent erreicht.
Doch auch im Gesundheitssektor gebe es Hürden, weswegen eine Umfrage bei medizinischen Einrichtungen durchgeführt wurde. Zugang zur Praxis, Bewegungsfreiheit für Rollstuhlfahrer, ausreichende Türbreiten: Über derartige Daten sollen Menschen mit Handicap in Zukunft im Vorfeld informiert werden, so dass die „passende“ Arztpraxis ausgewählt werden kann. Die Rücklaufquote der Umfrage ist jedoch ausbaufähig.
Positiv wurde für Lampertheim die öffentliche barrierefreie Toilette genannt, außerdem das Inklusionscafé, das regelmäßig stattfindet. Nicht weniger bedeutsam ist nach Meinung der Beteiligten die „Barrierefreiheit in den Köpfen“. Unter der Moderation von Gernot Diehlmann tauschten in einer Podiumsdiskussion Jürgen Dusel, Tina Winter vom Bundesvorstand der Lebenshilfe sowie Matthias Golbeck, Referent des Hessischen Landesbehindertenbeauftragten, ihre Erfahrungen aus. Unerlässlich sei die Bewusstseinsbildung für die Situation von Menschen mit Behinderungen. Dies beginne im Kindesalter - frühzeitiger Kontakt könne helfen, Vorurteile abzubauen. Es gebe viele Beispiele gelungener Kommunikation.
Börse für alternative Wohnformen am 23. November
Fortschritte vermeldete Marius Schmidt für die Arbeitsgruppe Bildung, wohingegen im Bereich Wohnen noch Pionierarbeit anstehe. Eine Wohnbörse zu alternativen Wohnformen, speziell im inklusiven Kontext, findet am Samstag, 23. November, im Familienzentrum statt. Vorrangiges Ziel ist die Schaffung eines ambulanten Wohnangebots. Den Fragebogen zur individuellen Wohnsituation gab es vorab im Rahmen des Workshops.
Viel erreicht wurde bereits im Bereich Sport, Kultur und Freizeit. In Kürze nimmt das inklusive Musikensemble regelmäßige Proben auf. Auch der Inklusions-Sporttag unter maßgeblicher Beteiligung des Lampertheimer Kanu-Clubs (KCL) gilt als Erfolg. Eingeführt wurde der Inklusionspreis in Kooperation mit der Bürgerstiftung. In Arbeit ist ein Begleitdienst für Menschen mit Behinderung. Bedarfe bestehen einer Umfrage zufolge bezüglich Fußball, Tischtennis, Tanzen und Schwimmen sowie im Bereich Neue Medien.
Eigene Betroffenheit sei nicht alleiniges Kriterium für Fortschritt, so Schmidt. Das vielfältige Engagement in Lampertheim sei hierfür bestes Beispiel. Den Grad der Entwicklung verpackte er in eine Frage, die Mut macht: „Ist es nicht schön, wie normal es geworden ist, verschieden zu sein?“
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