Lampertheim. Herr Schmidt, im Sommer mussten Sie die Kita Rosengarten schließen, nachdem niemand vom Personal und auch aus den anderen Kitas mehr bereit war, dort seinen Dienst zu verrichten. Eltern hatten von Vorfällen berichtet, bei denen sie das Wohl ihrer Kinder gefährdet sahen. Was wissen Sie mittlerweile, was tatsächlich passiert ist?
Marius Schmidt: Wir hatten es zu tun mit Konflikten im Team und mit der Elternschaft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, bei früherer Meldung derartiger Schwierigkeiten im Team und mit den Eltern wäre ein Eingreifen des Trägers vielleicht noch möglich gewesen. Wir haben alle Geschehnisse intensiv aufgearbeitet, wir haben Widersprüche gefunden, aber auch Übereinstimmungen in der Darstellung der Situation. Wir haben am Ende als Träger eine Entscheidung getroffen. Wir mussten feststellen, dass es keine Konstellation gab, wo ein Team nachhaltig, beständig und vertrauensvoll mit Träger, Eltern und Kindern zusammenarbeiten kann.
Deswegen war die Schließung der Kita in der Situation leider geboten, auch wenn es die letzte Maßnahme war, die wir ergreifen wollten. Nicht aus dem Rosengarten stammenden Gerüchten, es sei hier strukturelle, institutionelle psychische oder physische Gewaltanwendung geschehen oder von der Stadt gedeckt worden, möchte ich an dieser Stelle entgegentreten. Wir haben das aufgearbeitet und Dinge festgestellt, die gegen Meldepflichten des geltenden Kinderschutzkonzeptes gelaufen sind, keine Frage. Die arbeitsrechtliche Prüfung ist abgeschlossen, entsprechende Konsequenzen für die Mitarbeiterinnen wurden gezogen. Was es nicht gab, ist eine Gerichtsverhandlung. Auch das ist nur ein Gerücht.
Wir haben die Situation nicht unter den Teppich gekehrt, sondern es entsprechend bearbeitet
Aber das, was die Eltern auch im Gespräch mit dieser Redaktion vorgebracht haben - die blauen Flecken, die nicht versorgten Wunden, die ausgebüxten Kinder - ist schon passiert, oder?
Schmidt: Die ausgebüxten Kinder haben wir nie abgestritten. Dazu gab es schon Ende vergangenen Jahres auch unter meiner Beteiligung entsprechende Kommunikation. Wir haben damals Schwierigkeiten erkannt, wir haben den Zaun, um den es ging, erhöht. Wir haben die Situation nicht unter den Teppich gekehrt, sondern es entsprechend bearbeitet. Alles, was die Eltern in den Befragungen im Sommer vorgebracht haben, wurde geprüft. Manches hat sich als stichhaltig erwiesen, manches als in dieser Form so nicht bestätigt. Manches konnte aber auch nicht aufgeklärt werden, weil die Aufklärung schwierig war.
Oft haben wir den Satz gehört: „Kann ich nichts zu sagen.“ Wir müssen alle daraus für die Zukunft lernen: Solche Dinge müssen uns als Träger frühzeitiger, ehrlicher, klarer kommuniziert werden, damit wir eingreifen und solche Konflikte frühzeitig lösen können. Das ist das, was in Rosengarten nicht geklappt hat. Ich bleibe bei meiner Einschätzung: Bis wir ins Boot kamen, war der Karren schon sehr, sehr weit in den Dreck gefahren.
Welche Konsequenzen hat die Verwaltung jetzt gezogen - nicht nur für diese Kita, sondern für alle städtischen Kitas?
Schmidt: Jede unserer Einrichtungen hat ein Kinderschutzkonzept. Jedes Team ist verpflichtet, das zu behandeln und auch zu leben. In Rosengarten hatten wir die Situation, dass dieses Kinderschutzkonzept nicht korrekt in allen Facetten gelebt wurde. Wir haben die Konsequenz gezogen, dass wir als Träger noch präsenter in den Einrichtungen sein müssen. Die Hilfestellung bei Unsicherheiten in den Teams - insbesondere in Bezug auf herausforderndes Verhalten von Kindern - müssen wir verstärken. Ebenso müssen wir die Dokumentation intensivieren - auch von Elterngesprächen. Auch wenn das wieder mehr Bürokratie bedeutet.
Wir haben noch einmal verdeutlicht, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht und dass die Gefährdung desselben auch schon früh beginnt. Wir erleben im Moment aber auch eine Situation von erhöhter Anspannung auf Elternseite wie auf Seiten der Fachkräfte. Ich möchte an der Stelle nochmal grundsätzlich betonen: Unsere Erzieher und Erzieherinnen machen in einem nicht einfachen Arbeitsumfeld einen guten Job. Wir vertrauen ihnen. Aber wenn es Vorfälle gibt, steht für uns das Kindeswohl an erster Stelle und dann gehen wir dem auch nach. So wie wir es in Rosengarten getan, aufgearbeitet und zum Abschluss gebracht haben. Aber ja, es herrscht im Moment eine erhöhte Nervosität. Deswegen möchte ich aber auch allen Eltern sagen: Man kann bei uns die Kinder guten Gewissens in die Kita geben.
Sie sagen, Sie müssen näher dran sein, es müsse mehr dokumentiert werden. Aber wie kriegen Sie als Träger mit, wenn das nicht funktioniert?
Schmidt: Das ist der springende Punkt: Wir müssen als Träger informiert werden. Sei es über die Leitung, durch die Eltern oder aus den Teams. Das haben die Eltern in Rosengarten auch getan. Teamsitzungen finden regelmäßig statt und unsere Fortbildungsmöglichkeiten sind sehr gut. Wir haben auch in Supervisionen zum Thema Kinder mit herausforderndem Verhalten investiert. Wir machen Themenelternabende und arbeiten mit der Stiftung Achtung Kinderseele! zusammen. Was wir verstärken werden, ist die Präsenz unserer pädagogischen Leitung in den Einrichtungen, damit auch die Teams spüren: Ihr seid nicht allein. Außerdem haben wir eine Kita-App eingeführt, mit der wir die Kommunikation mit den Eltern verbessern.
Wohin wenden sich Eltern, wenn etwas in der Kita nicht gut läuft?
Schmidt: Das große Spezifikum in Rosengarten war, dass zu den Elternbeschwerden noch der Teamkonflikt hinzukam. Wenn in einer Kita etwas passiert, jedweder Art, das kann auch ein Mangel beim Catering oder eine Unzufriedenheit mit den Öffnungszeiten sein, ist die Leitung anzusprechen. Die hat dem Träger weiterzugeben. Es gibt aber auch immer die Möglichkeit, den Träger direkt zu informieren, der dann mit den Teams und den Eltern zusammen Lösungen sucht.
Marius Schmidt
Marius Schmidt wurde 1991 in Lampertheim geboren . Er ist verheiratet und hat eine Tochter, die demnächst ihren ersten Geburtstag feiert.
Seit 2021 ist Schmidt Erster Stadtrat in Lampertheim. Im Frühsommer dieses Jahres wollte er Bürgermeister seiner Heimatstadt werden, musste sich in der Stichwahl aber dem CDU-Kandidaten Alexander Scholl geschlagen geben.
Der studierte Politikwissenschaftler ist als Dezernent für Recht, Sicherheit, Ordnung sowie für Soziales und frühkindliche Bildung zuständig. Zudem ist er Geschäftsführer der städtischen Gesellschaft Biedensand-Bäder.
Seit 2009 ist Schmidt Mitglied der SPD . In Lampertheim engagiert er sich schon lange kommunalpolitisch. Er ist Vorsitzender der SPD Bergstraße und Mitglied der SPD-Fraktion im Kreistag Bergstraße. swa
Die Sorge von Eltern, dass die Leitung nicht alles direkt an den Träger weitergibt, ist durchaus berechtigt, wie der Fall Rosengarten zeigt.
Schmidt: In Rosengarten hatten die Eltern vielleicht das Gefühl, dass sich der Gang aufs Stadthaus nicht lohnt. Da kann ich nur sagen: Bei uns im Fachbereich 50 stehen alle Türen offen und wir nehmen das alles ernst. Wenn es eine frühere Information von Eltern oder aus dem Team gegeben hätte, hätten wir die ernst genommen.
Die Verunsicherung ist groß, auch nach weiteren Vorfällen in einer Bürstädter Kita und einer Schülerbetreuung in Bensheim. Kommen bei Ihnen jetzt aktuell mehr Meldungen an?
Schmidt: Der Fall Rosengarten hat Wellen geschlagen. Auch - das sage ich ohne Vorwurf - die daraus resultierende Berichterstattung hat Wellen geschlagen. Und es hat dazu geführt, dass im Augenblick eine sehr hohe Sensibilisierung, stellenweise auch eine Übersensibilisierung für diese Thematiken da ist. Ich habe die Hoffnung, dass das vielleicht einen Beitrag dazu leistet, dass wir alle einen stärkeren Fokus darauf legen, uns Gedanken über die konkrete Situation in den Kitas vor Ort zu machen. Unter welchen Bedingungen wird dort gearbeitet? Welche äußeren Einflüsse, die viel mit der Zeit zu tun haben, in der wir leben, prasseln auf diesen Bereich ein? Und was können wir alle tun, um die Situation zu verbessern? Ich will das, was passiert ist, auf keinen Fall schönreden. Aber vielleicht besteht jetzt die Chance, verständlich zu machen, was derzeit alles auf den Bereich frühkindliche Bildung einprasselt, welche Herausforderungen es da gibt.
War das, was in Rosengarten passiert, Ausdruck von Überlastung und Überforderung?
Schmidt: Gepaart mit einer gewissen Grundgereiztheit und einem Grundpessimismus, den wir in unserer Gesellschaft haben, hat das einen Beitrag geleistet, ja. Der ewige Personalmangel, die verstärkte Zahl von Kindern mit herausforderndem Verhalten, Krankheit, Weggänge - da tritt dann vielleicht eine Situation ein, mit der eine in der Gesamtheit erschöpfte Gesellschaft zusätzlich fertig werden muss. Das hat vielleicht dazu geführt, dass es so eskaliert ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es vor einigen Jahren ...
Vor Corona?
Schmidt: ...ja, auch vor Corona wäre es nicht so weit gekommen. Herr Harres - der Leiter des zuständigen Fachbereichs blickt auf 18 Jahre Arbeit bei der Stadt zurück - hat so etwas noch nie erlebt. Früher gab es auch Konflikte, aber sie sind anders gelöst worden. Der entscheidende Faktor, der zur Schließung geführt hat, war, dass das Team so auseinander gebröselt ist. Es kam gar nicht mehr dazu, gemeinsam mit dem Jugendamt, mit Leitung, Team und Eltern an einem Tisch eine Lösung zu finden.
Wie geht es denn jetzt weiter in Rosengarten? Sie wollen ja einen kompletten Neustart.
Schmidt: Den wird es auch geben. Wir haben für uns geprüft, was wir als Stadt wollen. Zum einen wollen wir zügig wieder starten und die 36 betroffenen Kinder sollen ein Rückkehrrecht bekommen. Wir wollen die Schwere der Situation aber auch nutzen, um die Kita Rosengarten konzeptionell neu auszurichten. Wir möchten die Kita zügig wieder öffnen - unter neuer Trägerschaft. Ausdrücklich nicht, weil wir dort kapitulieren, sondern weil wir glauben, dass das der nachhaltigste Neuanfang ist. Wir als Stadtverwaltung mit unserem Apparat sind außerdem nicht so schnell in der Lage, die Kita wieder neu aufzubauen wie das ein freier oder konfessioneller Träger kann. Deswegen haben wir diesen Weg gewählt und werden ihn den politischen Gremien vorschlagen und uns auf Trägersuche machen. Rosengarten selbst bietet wunderbare Möglichkeiten, auch mit der Kita ins Gemeindeleben hineinzuwirken. Da lässt es sich gut mit Vereinen oder der Landwirtschaft kooperieren, das Dorfgemeinschaftshaus und die Kita sind in einem Gebäude. Die Gebühren sind bei freien oder konfessionellen Trägern in Lampertheim übrigens gleich.
Warum kann ein freier oder konfessioneller Träger den Wiederaufbau schneller realisieren?
Schmidt: Die Kinderbetreuung ist in der Stadtverwaltung eine Querschnittsaufgabe, die fünf Fachbereiche hauptsächlich tangiert: Soziales, Finanzen, Technische Betriebsdienste, Immobilienmanagement und das Hauptamt, das für die Ausschreibung aller offenen Stellen in der Verwaltung zuständig ist. Ich hätte das vor Jahren schon gerne anders organisiert, nämlich mit einem Eigenbetrieb, der all diese Kompetenzen vereint hätte. Das war leider bisher nicht gewünscht. Dann wären wir wahrscheinlich nun zügiger. Ein freier Träger kann das fokussierter angehen.
Gibt es Interessenten oder schon konkrete Verhandlungen?
Schmidt: Wir bekommen immer wieder Anfragen von regionalen Trägern, die sich vergrößern und eine Kita in Lampertheim betreiben wollen. Auch für die nie gebaute Kita Oberlache gab es bereits Interessenten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim_artikel,-lampertheim-kindeswohl-gefaehrdet-lampertheim-sucht-neuen-traeger-fuer-geschlossene-kita-_arid,2337837.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim_artikel,-lampertheim-geschlossene-kita-in-lampertheim-schwere-vorwuerfe-gegen-leiterin-und-personal-_arid,2326590.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach Vorwürfen der Kindeswohlgefährdung in Kita: Ohne Vertrauen geht es nicht