Ladenburg. In Ladenburgs Altstadt erweckt das bisher noch in Waldsee bei Speyer wohnende Ehepaar Eva und Simon Heß ein im Kern rund 500 Jahre altes Haus zu neuem Leben. Der behutsame Umbau sei nervenaufreibend und benötige viel Zeit. „Aber wir wollten schon immer etwas Altes haben und wollen es möglichst so erhalten, wie es ist“, sagt der 34-jährige Unternehmer. Dieses unbedingte Ja zur Geschichte lässt Klaus Wirth von der archäologischen Denkmalpflege an den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen (REM) innerlich jubeln.
Zusätzlicher Grund für seine Freude: „Das hier ist auf jeden Fall etwas ganz Besonderes.“ Das Haus des legendären Ladenburger Architekten und Stadtbaumeisters Friedrich Kreiter, der von 1903 bis 1974 gelebt und in der Stadt etliche charakteristische Wohnhäuser geplant hatte, ist ein Kulturdenkmal. Die ältesten Teile stammen - nach bisheriger Annahme - aus dem 16. Jahrhundert. Doch laut Wirth könnte seine Entstehung noch weiter zurückliegen. Die straßenseitige Giebelfront wurde im 19. Jahrhundert im Stil des Klassizismus verändert, als die damalige Ackerbürgerstadt noch stark von der (Nebenerwerbs-)Landwirtschaft geprägt war. Das Gebäude steht direkt an der Stadtmauer der hochmittelalterlichen Siedlungserweiterung, von der im Garten noch Reste stehen. Von der Heidelberger Straße aus sind Stockwerkgesimse und die rundbogige Toreinfahrt Hingucker. Im Hof führen Rundbogenportale mit Beschlagwerk aus der Renaissance (17. Jahrhundert) ins Haus und in den Keller.
„Da geht’s vier Meter tief runter“, sagt Wirth mit leuchtenden Augen. Für ihn ist das Vorhaben ein Glücksfall: „Die Eigentümer stehen unserer Arbeit sehr positiv gegenüber, und ich denke, dass man sogar ein bisschen Kosten spart durch uns.“ Die Untersuchungen hätten Einsichten ergeben, die der Ladenburger Umbauarchitekt Helmut Medelsky und Bauleiter Peter Wahl sonst wohl nicht bekommen hätten. So sei jetzt klar, dass Mauerwerke aus dem 17. Jahrhundert älteres Fachwerk ersetzten, aber mit der rückwärtigen Giebelmauer nicht verzahnt seien. „Man kann also nicht die Fußböden in herkömmlicher Weise bauen, wie es möglicherweise geplant war, sondern muss weniger schweres, etwas flexibleres Material verwenden“, verdeutlicht Wirth: „Wir haben mit unserer Untersuchung dazu beigetragen, dass das eine oder andere möglicherweise anders geplant werden konnte, weil bestimmte Dinge bautechnisch nicht möglich sind.“
Eigentlich ist Ladenburg aufgrund seiner bedeutenden römischen Vergangenheit Hoheitsgebiet des Landesamts für Denkmalpflege (LAD). Doch aufgrund ihrer einschlägigen Erfahrung bekamen REM-Abteilungsleiter Wirth und Mitarbeiter Benedikt Stadler die Erlaubnis, „an der Nahtstelle zwischen Baudenkmalpflege und Archäologie“ tätig zu werden. Für sie und die ehrenamtlich Mitarbeitenden Rainer Kapp, Norbert Knopp, Jutta Neuhaus, Zhening Zhang ist es als erstes Haus, das unter Schutz steht und nach der Untersuchung erhalten bleibt, dennoch eine wertvolle Premiere. Wirth tritt nach mehr als 100 Jahren in die Fußstapfen von Hermann Gropengießer. War doch der Gymnasiallehrer und Prähistoriker fürs Großherzogliche Hofantiquarium Mannheim von 1908 bis 1912 in Ladenburg archäologisch erfolgreich in Erscheinung getreten.
Wirth: „Das ist nicht irgend so eine Hütte, sondern etwas Besonderes“
„Wir machen zugleich einen Schritt, das Verhältnis zwischen REM und Ladenburg wieder aufzupolieren, und die Grundlage für künftige Kooperationen mit der Stadt und dem Lobdengau-Museum zu legen“, sagt Wirth.
Er hatte sich von Anfang an gefragt, was die Auffüllungen unter den modernen Dielenböden wohl enthalten mögen. Tatsächlich finden sich teils grafitierte Reliefkacheln, darunter das Bruchstück eines großen barockzeitlichen Exemplars mit einem vollständigen Frauengesicht. Wirth erscheint klar: „Im Ober- oder Erdgeschoss stand ein wunderschöner, mehrgliedrig aufgebauter Kachelofen.“ Wirth und seine ehrenamtlich Mitarbeitenden finden außerdem Hinweise auf zwei Schwarzküchen, in denen auf offenem Feuer gekocht wurde.
Auch aufgrund der Bausubstanz stellt Wirth fest: „Das ist nicht irgend so eine Hütte, sondern etwas Besonderes.“ Zurück zum Rätsel der genaueren Datierung: Vom Garten aus erkennt der Fachmann unterschiedliche Bauphasen. In 2,50 Meter Höhe fallen vier Konsolsteine, auf denen einst Balken auflagen, ins Auge. „Das war wohl einmal die Innenseite eines früheren Gebäudes“, vermutet Wirth. Wie zum Beweis hatte das LAD ein altes Fundament gefunden, das auf den Vorsprung dieser alten Gebäudemauer aufgelegt worden war, und daraus geschlossen: „Die Funde aus den Verfüllschichten unter dieser Mauer sind hoch- und spätmittelalterlich.“
Vermutung: Baukörper ist älter als bisher angenommen
Wirth glaubt nun, dass vielleicht ein spätmittelalterliches Gebäude (15. Jahrhundert) an der Heidelberger Straße gestanden habe, das in der Renaissance abgebaut worden sei. Danach habe man zunächst die gesamte Grundfläche des Gebäudes tiefer unterkellert. „In der Mitte wurde eine Säule gesetzt, von der ein Kreuzgratgewölbe ausgeht.“
Im Abbruchschutt darüber fanden sich botanische Raritäten. Wirth interpretiert dies so: Man habe Reste des Vorgängerbaus kleingemacht und wiederverwertet: Im Keller seien zahlreiche solcher älteren Spolien verbaut worden. Was dafür ungeeignet gewesen sei, habe man zur Auffüllung der Fußböden verwendet. „Deshalb sind da, warum auch immer“, so Wirth, „große und Reste kleinerer Maiskolben sowie Walnussschalen, Kirschkerne und andere organische Reste mit hineingekommen“. Dazu müsse man wissen, dass ein damaliger Maiskolben im Vergleich zu heutigen Züchtungen sehr klein gewesen sei.
Wie sich das Fundmaterial zeitlich noch weiter differenzieren lasse, müssten weitere Untersuchungen zeigen - zum Beispiel am verwendeten Bauholz. Wirth glaubt, es mit einem älteren Baukörper zu tun haben als bisher angenommen. „Aber ob es Spätmittelalter, also 15. Jahrhundert, oder erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist, lässt sich im Moment noch nicht sagen“. 2024 will er beim örtlichen Geschichtsverein Heimatbund einen Vortrag über seine weiteren Erkenntnisse halten.
Darauf ist auch Bauherr Heß gespannt. Der selbstständige Geschäftsführer von MSK Pharmalogistic in Heppenheim hatte in der Oberstufe Geschichte als Leistungskurs belegt. „Die archäologischen Arbeiten haben uns nicht gestört - im Gegenteil: Wir sind begeistert davon, was zum Vorschein kam“, erzählt Heß. Bis jetzt hätten er und seine Frau das aufwändige Projekt, das allein zwei Jahre lang ausschließlich aus Planungsarbeit bestanden hatte, „nicht bereut“. Auch jetzt, da es an die herausfordernde Entkernung ihrer Wertanlage gehe, fühlten sie sich von Architekt Medelsky und Bauleiter Wahl „sehr gut betreut“.
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