Als Mann vom Bau und Ringkampfsportler ist Mostafa Nazari athletisch gebaut. In den Händen, die sonst fest zupacken können, hält er bei der „Nacht der Bibliotheken“ in Ladenburg einen Gedichtband. Daraus liest er „In Teheran ist es Nacht geworden“ von Frauenrechtlerin Maryam Fathi auf Persisch vor. Das allein hat etwas Rührendes. Noch größer ist der Beifall aber, als sich der junge Afghane bewegt auf Deutsch bedankt, bei Petra Fuhry, die die Übersetzung wiedergibt, und anderen Mithelfenden: „Danke, dass ich hier sein darf.“
Es ist das zentrale Motto „grenzenlos!“, das Büchereichefin Petra Göhring und ihr Team inspiriert hatte, zur ersten landesweiten „Nacht der Bibliotheken“ unterstützenswerte örtliche Vereine einzuladen. So liest die Heddesheimer Künstlerin Eva Martin-Schneider für die Menschenrechtsorganisation Amnesty ebenso erschütternde wie hoffnungsvolle Berichte politischer Gefangener vor. Rainer Ziegler macht mit dem Garangoverein vertraut, der seit 40 Jahren in Burkina Faso hilft. Und der Integrationshilfeverein Ladenburg INT.AKT präsentiert nicht nur jene gesellschaftskritische Poesie aus dem Iran, sondern auch Gesang von vier Mädchen aus der Ukraine, die das Ladenburger Carl-Benz-Gymnasium besuchen. Yuliia, Daryna, Nasty und Uliana erobern an diesem Abend Herzen. „Wir lieben es, zuhause Volkslieder zu singen, weil sie so emotional sind, und teilen das gerne“, sagen sie. Ebenso begeistert Maja Nielsen, die großartige Lesekünstlerin und Verfasserin der „Abenteuer“-Hörspiel- und Buchreihe.
Ausleihe bei der Samenbank
Eigentlich ist immer dienstags Bibliothekstags bei Familie Götze in Ilvesheim. „Da lese ich oft hier“, sagt die achtjährige Gwendolin – ein Fan der beliebten Buchreihe „Muffin-Club“ – ausnahmsweise am Freitag in der alten evangelischen Kirche. Dort ist seit 1983 die Gemeindebücherei daheim. Auch Lysann kommt – regelmäßig vorm Schachtraining – gerne zum Schmökern. An diesem Abend trifft sich die Neunjährige mit Rose. Die beiden sind sich einig: „Megacool, was die Bibliothek macht.“ Der gleichaltrige Robin interessiert sich für Pflanzen –und deshalb auch für die Saatgutbibliothek im Haus. „Ich mag Sonnenblumen“, erklärt er, warum er sich Samen „ausleiht“. Nach erfolgreicher Aufzucht will er reife Kerne zurückbringen. Das funktioniert auch mit alten Gemüsesorten, die auf diese Weise erhalten bleiben sollen.
Jugendliche der Musikschule steuern von der Empore aus Melodien bei. „Es ist eine tolle Gelegenheit, unsere Bibliothek bekannter zu machen“, sagt Büchereileiterin Caroline Rödel-Braune zufrieden. Höhepunkt ist die Lesung der Mannheimerin Iris Welling aus ihren Seniorenkrimis. „Alles vor Ort auf der Schönau recherchiert“, sagt die Autorin, die für spannende Stoffe steht, die jedoch nicht blutrünstig sind.
In Edingen beginnt die „Nacht der Bibliotheken“ nachmittags. „Wir wollen Aufmerksamkeit auf unsere Bücherei lenken“, sagt Mitarbeiterin Petra Kirchknopf. Die Premiere ist eingebettet in die Veranstaltungsreihe zur 1250-Jahr-Feier des Ortsteils Neckarhausen. Die Räumlichkeiten der Bibliothek dort seien jedoch zu klein, so Heike Vomend. Die Alte Schule in Edingen wirkt ideal. Die Einrichtung wird von Kindern und Jugendlichen zwischen eins und 17 besucht. Es gibt viele Spielmöglichkeiten schon für die Kleinsten. „Es soll keine Turnstunde sein, und manchmal muss ich um Ruhe bitten, aber ansonsten halten wir das locker“, erzählt Kirchknopf. „Ich finde die Bibliothek toll – auch um nur zu gucken, was es gibt“, sagt Mila. Die Achtjährige liest oft ihrem Vater vor, am liebsten aus den Abenteuern von „Bibi und Tina“. Sie habe den Ehrgeiz, „genauso gut zu lesen wie ihre zwei älteren Brüder“, sagt Milas Oma.
Etliche Großeltern brechen mit ihren Enkeln zur „kleinen Reise um die Welt“ auf. Bald erfüllt Lachen den Musikraum. Denn Dirk Nowakowski aus Edingen weiß aus 40-jähriger Erfahrung humorvoll zu fesseln. Er gehört zu „Erzähler ohne Grenzen“, die wie Ärzte weltweit in Krisengebieten zum Einsatz kommen, damit Menschen in Extremlagen besser durchhalten. „Beim Erzählen entsteht Gemeinschaft“, weiß Nowakowski. Unser Fazit der „Nacht“: Bibliotheken sind lebendige Orte der Begegnung, des zwischenmenschlichen Austauschs und der Kultur.
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