Ladenburg - Ausstellung „Mannheim – Izieu – Auschwitz“ in der Stadtbibliothek / 27 Bürger der Römerstadt deportiert

Nur acht von 27 Deportierten überlebten

Von 
Konstantin Groß
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Ladenburger Kantor Sally Rosenfelder (Mitte) mit seinen Schülerinnen und Schülern in den 1930er Jahren: Wer von ihnen mag den Holocaust überlebt haben? © Gross

Ladenburg. Im Publikum herrscht Betroffenheit. Manche senken den Blick, andere schütteln den Kopf, wieder andere blicken sich fassungslos gegenseitig an. Mit der Exaktheit des Historikers trägt Jürgen Zieher (kleines Bild rechts) die Daten vor, hinter denen sich unermessliches menschliches Leid verbirgt: Name, Alter, Tag der Deportation nach Auschwitz. Menschen in der Blüte ihres Lebens: 52, 46, 35 Jahre alt. Alle ermordet.

Der Vortrag des Experten, der sich seit 30 Jahren mit diesem Thema befasst, bildet den Rahmen zur Eröffnung der vom baden-württembergischen Europaministerium getragenen Ausstellung „Mannheim - Izieu - Auschwitz“, die bis 10. Dezember in Ladenburg Station macht. Denn unter jenen, für die 1940 in Mannheim der so beschriebene Leidensweg beginnt, sind 20 Erwachsene und sieben Kinder aus Ladenburg.

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Schrittweise Entrechtung

1940 - das markiert das Ende einer jüdischen Gemeinde, deren blühendes Leben Jürgen Zieher mit anrührenden Bildern illustriert. 88 Juden leben 1933 in Ladenburg, das sind 1,5 Prozent der damals 5100 Bürger zählenden Stadtbevölkerung, anerkannter Teil des Lebens vor Ort. Doch in einem schleichenden Prozess werden sie immer stärker diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt.

Einen ersten Höhepunkt erfährt diese Entwicklung am 10. November 1938, als SA- und SS-Männer die Synagoge stürmen und die Inneneinrichtung zerstören. Die Sprengung unterbleibt dann doch, um die angrenzenden Häuser „arischer“ Besitzer nicht zu gefährden. Elf jüdische Bürger werden vorübergehend in Dachau inhaftiert - ein Menetekel für das, was ihnen noch bevorsteht. Für die meisten Ladenburger Juden ist dies ein Zeichen, dass sie in diesem Land keine sichere Zukunft haben. 1939 emigrieren 18, 1940 gelingt weiteren vier die Flucht.

Am 22. Oktober 1940 folgt eine weitere Eskalation: die Deportation der badisch-pfälzischen Juden. Auch die verbliebenen jüdischen Bürger Ladenburgs sind ohne Vorlauf aufgefordert, innerhalb von 20 Minuten ihre Habseligkeiten zu packen und sich auf dem Marktplatz zu versammeln - im Herzen der Stadt. „Jeder hat dies sehen können, denn jeder musste tagsüber den Marktplatz passieren“, erläutert Zieher: „Ladenburg war ja viel kleiner als heute.“

Und da stehen sie nun, verängstigte Menschen im Alter von einem bis 85 Jahren, Säuglinge und Greise, 20 Erwachsene jeweils mit einem Koffer, und sieben Kinder. Lastwagen treffen ein, um sie zum Mannheimer Hauptbahnhof zu fahren. Es geht nach Gurs, einem großen Lager in den Pyrenäen. Schon den ersten eisigen und nassen Winter 1940/41 überleben 600 vor allem alte Menschen nicht, darunter die Ladenburgerin Mathilde Kaufmann (85).

Amerikanischen und schweizerischen Organisationen gelingt es, zumindest die Kinder aus diesem Lager zu retten und sie in einem Waisenhaus in Izieu unterzubringen. Die Trennung von ihren Kindern bedeutet für die Eltern Schmerz, aber auch Hoffnung, dass zumindest die Kleinen überleben. Doch auch in Izieu sind sie nicht sicher: 1944 lässt der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, 44 der 105 dortigen Kinder nach Auschwitz deportieren.

Die Ladenburger Kinder haben Glück: Alle, die zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung zwischen einem und 13 Jahre alt sind, überleben den Holocaust. Ihre Eltern und Großeltern nicht. Bis auf eine Ausnahme: Thelma Hirsch. Von den 27 Deportierten von 1940 überleben also nur acht.

In Ladenburg geht die Untat weiter: Das zurückgelassene Mobiliar der 1940 deportierten Juden wird in der Turnhalle versteigert. „Arische“ Nachbarn erstehen zu Schleuderpreisen Möbel und Kunstgegenstände. Die Villa einer jüdischen Familie übernimmt der Staat, heute befindet sich dort das Polizeirevier.

Antisemitismus heute wieder

Sogar hochaktuelle Aspekte weist das Thema auf. „Vor einigen Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass in Deutschland wieder Synagogen angegriffen und Juden in der Öffentlichkeit angepöbelt werden“, bekennt Bürgermeister Stefan Schmutz (kleines Bild links) in seiner persönlichen, daher eindrücklichen Rede: „Und der Höhepunkt der Dreistigkeit ist es, wenn sich bestimmte Initiativen von heute mit den damals Verfolgten vergleichen.“ Daher gelte es, solchen Geschichtsklitterungen etwas entgegenzusetzen. Insofern dankt er Jürgen Zieher dafür, diese Wanderausstellung nach Ladenburg geholt zu haben.

Schmutz erläutert auch, warum sie nicht im Museum oder im Stadtarchiv, sondern bewusst in der Stadtbibliothek stattfindet: „Eine Bibliothek ist Ort der Bildung, des Verstehens, der Aufklärung. Und unser Ziel heißt Aufklärung statt Fake News.“ Für Leiterin Petra Göhring ist dies in ihrer noch jungen Amtszeit die erste große Veranstaltung: „Keine leichte, aber eine sehr wichtige.“

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