Hirschberg. In den 80er- und 90er-Jahren spielte Pierre Littbarski seinen Gegenspielern Knoten in die Beine und verzückte mit seinem trickreichen Spiel die Fußball-Fans. Die Blicke waren stets auf den schmächtigen Offensivspieler gerichtet, der mit seinen Finten auf dem Platz, und Späßen neben dem Platz für Aufmerksamkeit sorgte.
Heute, 30 Jahre nach seinem Karriereende reiben sich die Menschen an der Bergstraße wieder verwundert die Augen, denn der Weltmeister von 1990 ist inzwischen in Hirschberg an der Bergstraße zuhause. Im Gespräch mit dieser Redaktion verrät “Litti“, was er an seiner neuen Wahl-Heimat schätzt, was er dem SV Waldhof für die Zukunft wünscht und wie er die EM im eigenen Land erlebt.
Herr Littbarski, was hat Sie in die Rhein-Neckar-Region geführt?
Pierre Littbarski: Das hat private Gründe und mit meiner Lebenspartnerin zu tun, die hier wohnt. Deshalb bin ich in die Nähe von Weinheim nach Hirschberg gezogen.
Ist das Leben an der Bergstraße für Sie beschaulicher?
Littbarski: Hier zu leben ist nicht vergleichbar mit Köln oder Wolfsburg, wo ich lange gelebt habe. Beschaulich klingt immer etwas negativ. Es ist sehr angenehm in der Region und mit einer guten Lebensqualität verbunden.
Wir gehen auch gerne mal durch die Weinberge oder genießen es, einfach am Neckar entlang zu fahren. Das ist für uns Qualitätszeit.
Was sind ihre Lieblingsorte?
Littbarski: Wir gehen natürlich gerne mal nach Heidelberg, auch Weinheim ist sehr schön. Wir sind nicht so, dass wir unbedingt jeden Tag Action brauchen. Wir gehen auch gerne mal durch die Weinberge oder genießen es, einfach am Neckar entlang zu fahren. Das ist für uns Qualitätszeit.
Viele ehemalige Spieler und Trainer leben ebenfalls hier, wem sind sie schon begegnet?
Littbarski: Markus Babbel, der in Viernheim wohnt, laufe ich natürlich schon mal über den Weg. Und Eckhard Krautzun aus Heppenheim habe ich schon auf dem Marktplatz in Weinheim getroffen – dem Anlaufpunkt für Leute, die gutes Essen mögen und an guter Stimmung interessiert sind.
In der Nationalmannschaft haben Ihnen stets Abwehrspieler aus der Region den Rücken frei gehalten. Was hat diese ausgezeichnet?
Littbarski: Seriosität, Qualität und das Wissen, was man einbringen muss, damit die Mannschaft erfolgreich ist. Mit Hans-Peter Briegel war ich erst kürzlich noch Essen, Karlheinz Förster treffe ich schon mal im Stadion. Und Jürgen Kohler und Paul Steiner, die beim Waldhof gespielt haben, sehe ich öfters bei Spielen der Nationalmannschaft.
Ich bin auch einer von denen, die dem SV Waldhof die Daumen drücken, weil es wichtig für die Region ist, dass die Mannschaft wieder höher spielt.
Waren Sie schon im Carl-Benz-Stadion in Mannheim zu Gast?
Littbarski: Nein, bei einem Waldhof-Spiel war ich noch nicht. Das muss ich unbedingt machen. Ich bin auch einer von denen, die dem SV Waldhof die Daumen drücken, weil es wichtig für die Region ist, dass die Mannschaft wieder höher spielt. Da ist ja ein großes Fanpotenzial vorhanden.
Apropos Potenzial. Tritt ihr Sohn Lucien in ihre Fußstapfen?
Littbarski (lacht): Vielleicht schaue ich mal, ob wir ihn in Mannheim unterbringen. Er sucht nach der Station bei Greuther Fürth II in der Regionalliga einen neuen Verein und hält sich bei den vertragslosen Spielern unter Peter Neururer fit. Junge Spieler – er ist 21 – muss man langsam aufbauen. Das ist immer wichtig. Und man darf nicht zu schnell zu viel wollen.
Wie sieht ihr Alltag heute aus?
Littbarski: Ich halte Vorträge sowie Motivationsreden für Führungskräfte von Firmen. Ab Donnerstag bin ich auf der MS Europa und analysiere dort zehn Tage lang die Finalspiele der EM mit Toni Schumacher zusammen. Mir wird nicht langweilig.
Pierre Littbarski
- Pierre Littbarski wurde am 16. April 1960 in West-Berlin geboren.
- Mit 18 Jahren wechselte „Litti“ zum 1. FC Köln, für den er – bis auf eine Saison bei RC Paris – bis 1993 über 500 Pflichtspiele (144 Tore) absolvierte. Danach zog es Littbarski als Spieler noch nach Japan.
- Als Nationalspieler stand Littbarski mit Deutschland in drei WM-Endspielen und wurde beim Turnier 1990 in Rom dank des 1:0-Siegs gegen Argentinien Weltmeister.
- Seine Trainerkarriere führte ihn unter anderem zum MSV Duisburg, zurück nach Japan und nach Australien. Beim VfL Wolfsburg, wo er von 2010 bis 2023 tätig war, übernahm Littbarski Aufgaben als Co-Trainer, Chefscout und Markenbotschafter. Auch in TV-Sendungen wie „The Masked Singer“ trat der Berliner auf. jab
Beim Achtelfinal-Sieg gegen Dänemark waren Sie im Stadion? Wie war Ihr Eindruck?
Littbarski: Die Stimmung in Dortmund war imposant. Kein Vergleich zu den Bundesliga-Spielen. Trotz des Regens und der Unterbrechung haben die Fans ausgelassen weitergefeiert.
Werden die Deutschen international durch die EM anders wahrgenommen?
Littbarski: Der generelle Tenor ist: Ihr Deutschen seid ja gar nicht so steif. Ihr seid absolut gastfreundlich und ihr habt anscheinend doch etwas südländisches Blut in euren Adern. Vollkommen anders als gedacht also. Das ist schon recht spannend.
Sie haben selbst 73 Länderspiele absolviert. Welche Bedeutung hatte es für Sie, bei einem Turnier für Deutschland zu spielen?
Littbarski: Das war für mich immer eine große Ehre. Es hat enorm Spaß gemacht und war das i-Tüpfelchen neben den Bundesliga -und Europapokalspielen mit dem 1. FC Köln. Da konnte ich mich in einer anderen Umgebung mit wirklichen Topspielern beweisen.
Mit welchem Spieler aus dem DFB-Team identifizieren Sie sich?
Littbarski: Je öfter ich zuschaue, umso mehr Lieblinge habe ich. Natürlich schaut man immer etwas auf den eigenen Spielstil, und das wäre in erster Linie Florian Wirtz und Jamal Musiala. Aber auch Typen, die bodenständig rüberkommen wie Niclas Füllkrug, finde ich gut. Insgesamt ist da ein Wandel zu erkennen, es macht wieder Spaß, der Mannschaft zuzuschauen.
Inwiefern kann man die EM mit dem Heimturnier von 1988 vergleichen?
Littbarski: Die Stimmung damals bis zum Aus im Halbfinale gegen die Niederländer war schon sensationell gewesen. Aber das heute ist noch mal eine Stufe höher. Diese Euphorie mit den Public Viewings gab es damals nicht. Wie sich die jungen Leute dafür begeistern, ist schon toll.
Wie stehen die Chancen für Deutschland im Viertelfinale gegen Spanien?
Littbarski: Es war schon beeindruckend, wie die Spanier auch gegen Georgien wieder gespielt haben. Sie spielen viel variabler als in den Vorjahren, es ist nicht mehr so das lange Ballgeschiebe von früher. Und sie haben speziell mit Nico Williams und Lamine Yamal zwei außergewöhnliche Außenbahnspieler mit viel Geschwindigkeit. Dazu noch spielstarke Mittelfeldspieler. Ich glaube, es wird ein 50:50-Spiel, das durch bestimmte Aktionen früh im Spiel in eine Richtung entschieden wird.
Sind die meisten Spiele der EM zu sehr auf Sicherheit angelegt?
Littbarski: Aus meiner eigenen Erfahrung sind bei einem Turnier vor allem das erste und auch das dritte Spiel von taktischem Verhalten geprägt. Das ist der Situation geschuldet. Insgesamt haben wir viele herzerfrischende Spiele gesehen, zum Beispiel Türkei gegen Georgien und auch die deutschen Spiele waren immer spannend. Dagegen war es bisher sehr anstrengend, England zuzuschauen. Insgesamt gefällt mir das Niveau besser als in den Vorjahren.
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